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Filme über den Hambacher Forst: Trommeln im Wald

Zwei sehenswerte Dokumentarfilme widmen sich dem Widerstand gegen Rodung und Braunkohleabbau in NRW – der eine mit enormer Intensität, der andere als hintergründige Langzeitbeobachtung. Von Peter Luley


Aus der Luft verfolgt die Kamera, wie sich ein riesiger Schaufelradbagger ins Gelände fräst. Dann schwenkt sie über die kargen abgetragenen Flächen des Tagebaus. Eine Einblendung informiert, dass von den 5000 Hektar, die der Hambacher Forst 1978 umfasste, noch 500 übrig sind – gegen deren Rodung "eine Gruppe unbeugsamer Waldbewohner*innen" seit 2012 Widerstand leiste.

Schnitt in ein Baumhaus, von wo aus Neuankömmlinge mit Indianergeheul begrüßt werden. Ein Gitarrist klampft ein Widerstandslied, eine Aktivistin fährt Einrad auf einer Hängebrücke, die Sonne scheint. Dann wieder Schnitt: auf Polizisten in dunklen Uniformen, jetzt gleitet die Kamera über eine schier endlose Kette von Mannschaftswagen.

Filmautor Lukas Reiter macht kein Hehl aus seiner Parteilichkeit, zeigt von Anfang an klar, worum es ihm geht: um ein Sittenbild des Widerstands, ein Denkmal für die Aktivisten, die sich in David-gegen-Goliath-Manier der vom Energiekonzern RWE forcierten Räumung des Forsts entgegenstellen. Sein in der ZDF-Reihe "Das kleine Fernsehspiel" entstandener 84-minütiger "HAMBI – Der Kampf um den Hambacher Wald" konzentriert sich auf den September 2018, als die Polizei beginnt, sich mit Motorsägen und Hebebühnen zu den Baumhäusern vorzuarbeiten und die Bewohner förmlich aus den Wipfeln herauszuoperieren.

"HAMBI" – Der Ton wird zusehends rauer

Reiter verzichtet auf jeden Off-Kommentar, lässt die eingefangenen Szenen für sich sprechen. Der Lohn dieser Eindeutigkeit war offensichtlich das Vertrauen der Porträtierten; mehr Nähe, als Reiter erreicht hat, kann man kaum herstellen.

Während die Polizei zunächst noch eine Kunstaktion toleriert – ein selbst ernannter "Meister der Bilder" will mit Leinwand und Staffelei ins "Gefahrengebiet" –, wird der Ton zwischen Uniformierten und Protestierenden zusehends rauer. "Wir sind friedlich, was seid ihr?", skandieren die Aktivisten in Richtung der Beamten, oder auch: "Es gibt ein Recht auf Dienstverweigerung" und "Wo, wo, wo wart ihr in Chemnitz?" Die Ordnungshüter teilen ihrerseits den Waldbesetzern über Megafon mit, dass die Baumhäuser nicht den "einschlägigen brandschutzrechtlichen Vorschriften" entsprächen und daher bei Nichtverlassen eine "Räumung in Anwendung des unmittelbaren Zwangs" vorgenommen werde.

Aus dieser ständigen Konfrontation, teils unterlegt vom rhythmischen Trommeln der Widerständler, zieht der Film seine untergründige Spannung. Denn obwohl der Gesamtausgang bekannt ist, entfaltet jede einzelne Auseinandersetzung ihre eigene Dynamik. Selbst als am 19. September der Student Steffen Meyn während eines Polizeieinsatzes von einer Hängebrücke 20 Meter in die Tiefe stürzt und stirbt, wird dem Camp nur eine kurze Trauerzeit gewährt, bevor die Räumung fortgesetzt wird.


"Widerstand im Hambacher Forst" – eine Langzeitbeobachtung

Mit dieser Intensität kann "Widerstand im Hambacher Forst – Die rote Linie", der zwei Tage später im WDR läuft, nicht mithalten. Doch der 90-Minüter von Karin de Miguel Wessendorf hat andere Qualitäten – zuvorderst das Gewicht einer Langzeitbeobachtung.

Seit 2015 begleitet die Regisseurin die Proteste gegen die Rodung des Forsts und die Zerstörung der angrenzenden Dörfer und hat bereits zwei Reportagen darüber gedreht. Aus diesem Material sowie hineinmontierten Ausschnitten aus lokalen Nachrichtensendungen entwickelt sie eine Chronologie des Widerstands, die eben auch die Anfänge einschließt, lange vor dem Klimasommer 2018 und der "Fridays for Future"-Bewegung.

Das ist manchmal etwas dröge – und sagt doch viel über die Mühsal des Protests und den Marsch durch die Institutionen aus. Auch Karin de Miguel Wessendorf kommt ohne Kommentierung aus, und auch sie geht in den Forst – einer ihrer Protagonisten ist der Baumhausbewohner Clumsy, ein anderer der Naturführer und Waldpädagoge Michael Zobel. Aber sie schaut auch in andere Milieus. So begleitet sie Antje Grothus, Anwohnerin aus Buir und Mitglied einer Bürgerinitiative, bis in die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission. Und sie zeigt die Verzweiflung eines Familienvaters, der sich nicht aus seinem Heimatdorf Immerath vertreiben lassen will, das inzwischen dem Tagebau gewichen ist.

Verhalten optimistisch

Immerhin können sich beide Filme ein verhalten optimistisches Ende gönnen – dank des kurz nach der Räumung vom Oberverwaltungsgericht Münster erlassenen Rodungsstopps bis 2020, und weil der Widerstand gegen Abholzung und Kohleverstromung längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Wobei in "Die rote Linie" nicht der Hinweis fehlt, dass auch das von der Kohlekommission avisierte Ausstiegsdatum 2038 nicht reichen wird, um die Klimaziele zu erreichen.

"HAMBI – Der Kampf um den Hambacher Wald", Montag, 23.9., 0.00 Uhr, ZDF (und bereits ab 20.9. in der Mediathek). "Widerstand im Hambacher Forst – Die rote Linie", Mittwoch, 25.9., 22.55 Uhr, WDR (und ab 48 Stunden vor Ausstrahlung bis zum 1.10. in der Mediathek)


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