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Zum Tode Vadim Glownas: Der milde Extremist

Der Regie-Gigant Sam Peckinpah trieb ihn, selbst einen Film zu drehen, sein Debüt "Desperado City" gewann einen Preis in Cannes: Vadim Glowna war als Schauspieler und Filmemacher ein Besessener, der sich bei seiner Arbeit sanft, aber stets beharrlich nach der letzten Wahrheit streckte. Von Peter Luley


Es war kein ganz unheikles Thema, um das es bei unserem Interview im Sommer 2006 in Berlin gehen sollte: "Das Haus der schlafenden Schönen", Vadim Glownas letzte Regiearbeit fürs Kino. Frei nach dem Roman des japanischen Autors Yasunari Kawabata erzählt der Film von einem Etablissement, in dem sich alte Männer gegen Geld eine Nacht lang neben narkotisierte nackte Mädchen legen können – in ebenso artifiziellen wie expliziten Bildern. Ein Stoff, der es unumgänglich machte, den Künstler mit dem Vorwurf der Altherrenphantasie zu konfrontieren. Wie würde er darauf reagieren, gereizt, genervt, unwirsch?


Was für eine Fehleinschätzung! Gelassen, bereitwillig, mit mildem Lächeln verteidigte der Autor, Schauspieler und Regisseur sein Werk. Mit seiner markanten, leicht rauen und sanften Singsang-Stimme sprach er über das "ewige Thema Alter", das etwas mit Verfall zu tun habe, mit Todesnähe, aber auch "mit einer gewissen Freiheit, an moralische Tabugrenzen zu stoßen". Er genieße nun "eine andere Form von Gedanken- oder Phantasiefreiheit. Und was ist verwerflich daran, dass man an die Jugend denkt?" Wenn man Vadim Glowna zuhörte, wie er über den "Multi-Mix an Gefühlen" referierte, den der Filmstoff in ihm auslöse – Schock, Scham, Frust – welche literarischen Konnotationen er damit verband und wie sehr er sich über die "zehn bis 15 Kopien" freute, mit denen der Film in die Kinos kommen sollte, dann konnte kein Zweifel bestehen: Hier handelte kein kühler Pragmatiker aus Voyeurismus-Kalkül, sondern ein Filmbesessener, dem es darum ging, mit einer Geschichte etwas zu wagen, zu existenziellen Gefühlen vorzustoßen.


Glowna konnte meisterlich Anekdoten erzählen, und das wusste er auch. Nicht umsonst hat er seine ebenfalls 2006 erschienenen Lebenserinnerungen mit "Der Geschichtenerzähler" überschrieben. Es ist ein Buch, das mit einer dem Autor eigenen entwaffnenden Offenheit ein außergewöhnliches, in all seinen Facetten wenig bekanntes und auch radikales Künstlerleben aufblättert: Glowna beschreibt darin seine frühe Kindheit in ärmsten Verhältnissen im schleswig-holsteinischen Eutin – inklusive der Rauferei, die ihm seine zum Markenzeichen avancierte schiefe Nase einbrachte. Er schildert seine wilde Jugend in Hamburg und seine kleinen Tramp-Fluchten nach Paris, wo er vorübergehend die Idee hatte, bei Marcel Marceau zu studieren, um Pantomime zu werden. Dort lebte er "wie ein Clochard" auf der Straße. Und dann, zurück in Hamburg, wurde er 1961 nach nur drei Monaten Schauspielausbildung von Gustaf Gründgens am Hamburger Schauspielhaus engagiert.


Tour de force der Selbstentblößung


Fast noch beeindruckender als die schiere Fülle großer Persönlichkeiten, mit denen Glowna im Laufe seiner Karriere zusammenarbeitete – auf der Bühne unter anderen mit Peter Zadek und Claus Peymann, vor der Kamera mit Romy Schneider sowie für Claude Chabrol und Bertrand Tavernier – ist die Mischung aus Naivität und Kühnheit, mit der er immer wieder erfolgreich versuchte, auf Künstler, die er verehrte, zuzugehen, um mit ihnen zusammenzuarbeiten.


Unter all diesen Begegnungen, das räumte er auch im Interview ein, war die mit US-Regisseur Sam Peckinpah eine der prägendsten: Kurz nachdem Glowna 1975 in Rom erfolgreich für einen Part in Peckinpahs Kriegsfilm "Steiner – Das Eiserne Kreuz" vorgesprochen hatte, hätte er den amerikanischen Regie-Berserker fast wieder vergrätzt, weil er ihm – sein Standing überschätzend – einen Vorschlag für die Ausgestaltung einer Szene machte. Doch letztlich konnte er ihn mit Chuzpe und Einsatz von sich überzeugen – woraus eine bis zu Peckinpahs Tod im Jahre 1984 währende Freundschaft entstand.


Peckinpah, so beschreibt es Glowna in seinen Memoiren, war es auch, der ihn mit ein paar herausfordernden Worten ("Mach selbst einen Film, dann weißt du vielleicht besser, was es heißt") zu seiner ersten Regiearbeit trieb: 1980 legte Glowna "Desperado City" vor, eine raue Milieu- und Außenseiterstudie über das Hamburger Rotlichtviertel St. Pauli, in der unter anderem seine damalige Frau Vera Tschechowa sowie Witta Pohl und die Prostituierte Domenica mitwirkten.


Es ist in gewisser Weise bezeichnend, dass der stets als "Vielspieler" apostrophierte Glowna ausgerechnet für diesen heute nicht mehr allzu präsenten Film seine vielleicht größte Auszeichnung erhalten hat: die Goldene Kamera für den besten Erstlingsfilm 1981 in Cannes. Für seinen furiosen Auftritt in Oskar Roehlers "Die Unberührbare" (2000) hingegen, einer Tour de force der Selbstentblößung, blieb es bei einer Nominierung für den Deutschen Filmpreis und dem Preis der deutschen Filmkritik.


Ein wenig hat Vadim Glowna die Außenseiterrolle, die er in vielen Filmen mit so viel Inbrunst interpretiert hat, wohl auch in seinem Leben kultiviert. Verbittert aber hat er dabei nicht gewirkt – eher milde in sich ruhend und dankbar für die Möglichkeit, mit seiner Arbeit an Tabus zu rühren und den Kern der Dinge freizulegen.


In der Nacht zu Dienstag ist Vadim Glowna im Alter von 70 Jahren in einem Berliner Krankenhaus einer kurzen schweren Krankheit erlegen.


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