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Die Kamera als Ventil

Wenn Maryam Mohammadi die Worte fehlen, greift sie zur Kamera. Das Porträt einer iranischen Künstlerin, die in Graz eine neue Heimat gefunden hat.


Wenn man 18 Jahre alt ist und die Berufswahl vor der Tür steht, warten die Eltern gerne mit Rat an der Schwelle. Meine Kinder werden Ärzt/innen, ist sich die Mutter von Maryam Mohammadi sicher. Auch ihr Vater ist überzeugt. Überzeugt, dass der eigentliche Wunsch seiner Tochter den sicheren Herzinfarkt seiner Gattin bedeuten würde. Denn nachdem die Eignungsprüfung für die medizinische Fakultät zur Zahnärztin in spe nicht klappt und dem Iran auch eine Krankenschwester, die kein Blut sehen kann, vorenthalten bleibt, beginnt Maryam Mohammadi ihren eigenen Weg zu gehen. Und der führt sie auf die Teheraner Kunstuniversität. Immerhin will sie Künstlerin werden. Weil sie jahrelang Theater gespielt hat, denkt sie zu-nächst noch an eine Karriere als Theaterautorin, aber ein Professor empfiehlt ihr Film oder Fotografie. Die Entscheidung fällt auf die zu diesem Zeitpunkt noch mit Analogkameras Vorlieb nehmende Lichtbildkunst. Nur ein Semester lang will es Mohammadi probieren, doch schon bald findet sie sich täglich mehrere Stunden in der Dunkelkammer wieder. Der Raum und die Fotografie werden für sie zur Entdeckung. Endlich hat sie ein Ventil, um sich von ihrer Wut zu befreien. Im muslimisch geprägten Teheran wächst sie in einer Umgebung auf, in der Frauen diskriminiert werden. Es ist naheliegend, dass sie die Rolle der Frau in der Gesellschaft zum Kernthema ihrer Arbeit erklärt.


„Ich bin ein sehr ruhiger Mensch. Meine Freunde haben immer gemeint, ich sei ein bisschen fad, weil ich nicht viel rede, aber die Fotografie spricht für mich. Ich glaube, das ist einfach mein Charakter", erzählt sie. So gern sie schreibe, habe die Fotografie doch mehr Kraft, um aufzuzeigen; sei geeigneter, um sichtbar zu machen, was sie fühle und weswegen sie leide. Mit 34 Jahren hat Mohammadi schon viel gefühlt und gelitten. Und deshalb in ihrer Heimat zunächst Straßenkinder oder Prostituierte fotografiert, ist später durch Afrika, Syrien und Libyen gereist, hat dort gearbeitet. Seit 2009 ist Graz ihr Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. Auch weil sie in Europa, im tschechischen Ústí nad Labem um genau zu sein, ihren Doktor macht. Frauenrechte mögen im Nahen Osten ein größeres Problem sein, aber auch in Österreich fehlen ihr manchmal die Worte. „Grantig", sei sie oft, wie sie in bestem Steirisch zu verstehen gibt. Und dann greift sie zur Kamera. In der Fotoserie „Woman" etwa porträtiert sie 18 verschiedene Berufe, in denen Frauen und Männer derselben Arbeit unter denselben Voraussetzungen nachgehen. Ein Bäuerin, eine Feuerwehrfrau oder eine Näherin sind zu sehen - sie alle eint, dass sie weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Arbeiten wie diese haben dazu beigetragen, dass sie in Graz bereits einen Namen hat. Weiters startet sie gerade ein Projekt mit Migrant/innen oder Analphabet/innen.


Ausgezeichnete Bildsprache

All das blieb nicht unbemerkt - und brachte ihr den Kunstförderungspreis 2013 der Stadt Graz ein. Dass es so weit kommen würde, hätte sie in ihren ersten Wochen in der steirischen Landeshauptstadt nicht erwartet. „Das erste Jahr in Graz war sehr schwer, ich kannte weder die Stadt noch die Menschen. Wenn man an einen neuen Ort kommt, gleicht es immer einem Blind Date", vergleicht die Künstlerin die Stadt mit einer Person. Aus dem Blind Date wurde eine vier-jährige Beziehung, die noch immer intakt ist. „Sehr oft verstehe ich mich sehr gut mit Graz, aber manchmal habe ich auch mit der Stadt zu kämpfen. Dann will ich sie nicht sehen. Zum Beispiel, wenn ich mit rassistischen Äußerungen konfrontiert werde." Dennoch möge sie Graz, die Stadt habe Farbe, auch wenn sie dann doch etwas klein sei. Immerhin leben in ihrer Heimat, der iranischen Hauptstadt Teheran, mehr als acht Millionen Menschen. Ihre Mutter erfreut sich dort bester Gesundheit. „Sie hat keinen Herzinfarkt bekommen, weil ich Künstlerin geworden bin", lächelt sie, „ganz im Gegenteil: Sie ist sehr stolz auf mich. Und mein Bruder hat ihr ohnehin ihren Wunsch erfüllt: Er ist Arzt.

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