Für den schwulen Fußballprofi Robbie Rogers waren es nur ein paar kleine Schritte. Aber sein Comeback für die Los Angeles Galaxy könnte Großes bedeuten. Die Geschichte eines außergewöhnlichen 26-jährigen Amerikaners.
Die Worte, die das Leben von Robbie Rogers verändern werden, sind seit November abgespeichert. ‚Letter Of Life' heißt das Dokument, das auf dem Schreibtisch seines Laptops liegt. Bis zum 15. Februar 2013. An diesem Tag trifft er sich in Ost-London mit Freunden und der Brief seines Lebens wird wieder einmal zum Gesprächsthema. „Stell ihn online oder hör endlich auf darüber zu reden", sagen seine Freunde zu ihm. Kurze Zeit später tut er es wirklich. Ganz spontan. Er postet die exakt 361 Wörter mit dem Titel „Der nächste Schritt" auf seiner Website, klappt seinen Laptop zu, macht sein Handy aus und denkt sich: „Hab ich das wirklich gerade getan?"
Otto Baric und die richtigen Männer
Er hat. Robbie Rogers, der 25-jährige amerikanische Profi-Fußballer aus Kalifornien, dessen Vertrag bei Leeds United im Jänner aufgelöst wurde und der bereits 18 Mal im amerikanischen Nationalteam spielte, hat sein Geheimnis öffentlich gemacht. Er ist schwul. „Ich kann mein Leben nur richtig genießen, wenn ich ehrlich bin", schreibt er in diesem Blog-Eintrag, „ich bin jetzt ein freier Mann". Und er findet auch jene Worte, die fast von ihm erwartet werden: „Es ist Zeit für mich, zurückzutreten." Seine Geschichte geht um die Welt. Weil Fußball ein Teamsport ist, wo man in der Dusche über leichte Mädchen spricht. Weil man richtige Männer braucht, um zu siegen, wie zumindest Menschen wie Otto Baric glauben. Weil Homosexualität im Männer-Fußball leider eben noch immer Tabu ist.
Die traurige Geschichte des Justin Fashanu Das musste der Engländer Justin Fashanu auch erfahren. Der erste öffentlich schwule Profi-Fußballer der Welt bekannte sich 1990 zu seiner sexuellen Orientierung. 80.000 Pfund zahlte ihm die Sun für die Exklusivrechte seines Outings, sein Bruder John, ebenfalls Profi, bot ihm dieselbe Summe, sollte er weiter schweigen. Auch Justin entschied sich für die Wahrheit. Die Folge waren aber weder mehr Akzeptanz für homosexuelle Fußballer, noch weitere Outings. So traurig es klingen mag, die Fußballwelt schien damals noch nicht bereit für ein Interview, das die Gesellschaft eigentlich verändern hätte können. Justin Fashanu konnte in der Folge nie mehr an seine Leistungen von früher anknüpfen, spielte in den USA, Schottland, Schweden und sogar in Neuseeland, ehe er ein zweites Mal in den USA angekommen als Jugendtrainer anheuerte. Bald wurde er beschuldigt, einen Minderjährigen sexuell missbraucht zu haben. Er dementierte, hörte von einem angeblichen Haftbefehl gegen ihn und nahm sich 1998 das Leben. Zu einer Anklage wäre es aus Mangel an Beweisen nie gekommen. Fashanu hatte sich seit seinem Outing verfolgt gefühlt, Fashanu war an seinem Outing zerbrochen.
Ein historisches Comeback
Robbie Rogers soll das nicht passieren. „Das Outing macht mich glücklich", erzählte er ein Monat nach seinem Website-Update der New York Times. „Ich war bei den Olympischen Spielen, ich habe Titel gewonnen, aber meiner Familie im vergangenen Herbst die Wahrheit zu sagen, war das Beste, was ich in meinem Leben getan hab. Und der Brief auf meiner Website war das Zweitbeste." Doch so gut der Schritt für ihn war, so viel ändert er auch. Er steht plötzlich in der Öffentlichkeit, wird zum Vorbild in einer vielerorts pseudotoleranten Gesellschaft, die ganz genau weiß, dass es statistisch gesehen eigentlich in fast jeder Mannschaft einen homosexuellen Fußballer geben muss.
Und bei jedem Interview wird Rogers folgende Frage gestellt: „Gibt es ein Comeback? Und wenn ja, was wird passieren?" Seine Antwort ist immer dieselbe. Er weiß es nicht. Die Frage wird aber schneller beantwortet als gedacht. Denn die Worte, die das Leben des Profi-Fußballers Robbie Rogers nicht nur verändern, sondern ihm historische Bedeutung geben, folgen am 27. Mai 2013. Nur etwas mehr als drei Monate nach seinem Outing wird er von Bruce Arena, dem Trainer der Los Angeles Galaxy, an die Seitenlinie gebeten. In der Major League Soccer, der höchsten amerikanischen Profi-Liga, wird er im Heimspiel gegen die Seattle Sounders beim Stand von 4:0 in der 77. Spielminute eingewechselt. Die Zuschauer im Stadion des Meisters, bei dem Landon Donovan und Robbie Keane zu seinen Teamkollegen zählen, feiern ihn frenetisch. Rogers ist der einzige bekennende schwule Profi, der im amerikanischen Teamsport aktiv ist. Michael Gspruning, österreichischer Torhüter der Sounders, erlebt die Momente live am Spielfeld. „Es war schon im Vorfeld des Spiels zu spüren, dass Robbies Schritt über die Grenzen des Fußballs hinaus relevant ist", sagt er, „seine Rückkehr erfordert viel Mut und ich wünsche mir, dass es eines Tages keiner Outings in den Medien mehr bedarf, da Homosexualität einfach in der Öffentlichkeit akzeptiert ist."
Robbie Rogers hat zu diesem Kampf um Toleranz und Akzeptanz ebenso beigetragen wie der kürzlich geoutete und noch vereinslose NBA-Spieler Jason Collins oder Justin Fashanu vor über 20 Jahren. Und noch mehr trägt Rogers mit seinen Worten nach seinem Comeback dazu bei. Ob bewusst oder unbewusst. „Wie fühlte es sich an, wieder zu spielen? Alles wirr im Kopf?", wird er nach Abpfiff gefragt. „Ja, seit drei Monaten", lächelt er höflich und wird sofort wieder ernst, um das Gespräch auf das eigentlich Wesentliche zu leiten. „Das Wichtigste ist, dass wir heute drei Punkte geholt haben. Es war ein bedeutendes Spiel für uns." Als wolle er sagen, dass es hier nicht um sexuelle Orientierung, sondern um Fußball geht. Als wolle er sagen, dass er nur dann zum Vorbild für andere schwule Profi-Teamsportler werden kann, wenn er aus sportlichen Gründen interviewt wird und nicht, weil er schwul ist. Als wolle er nicht Robbie Rogers, der einzige geoutete aktive Profi-Fußballer, sein. Sondern einfach nur Robbie Rogers - einer von vielen, ganz normalen Profi-Fußballern.