Carl Jakob Haupt
Mit Carl Jakob Haupt, dem Blogger hinter „Dandy Diary", ist eine der wichtigsten und lautesten Stimmen der deutschen Modebranche verstummt. Unsere Autorin hat mit ihm gearbeitet.
Mit nur 34 Jahren ist der „Dandy Diary"-Blogger Carl Jakob Haupt seiner Krebserkrankung erlegen, wie die Familie am vergangenen Dienstag mitgeteilt hatte.
Gefürchtet und gefeiert war Haupt wie kaum einer in seinem Metier. Mit einem Text im Blog „Dandy Diary", das er zusammen mit David Kurt Karl Roth führte, konnte er eine ganze Kollektion verreißen. Kritisierte er eine Marke, klingelten dort die Telefone. Nach einem Video, das vorgeblich Kinderarbeit bei H&M und Alexander Wang zeigte, riefen die Konzerne zurück und verklagten Dandy Diary auf mehrere Tausend Euro Schadensersatz. Gleiches geschah, als sie einen Nacktflitzer über die Mailänder Dolce&Gabbana Show und ihren Fashionporno in einem Neuköllner Sexkino laufen ließen.
Haupt und Roth beschränkten sich in ihren Kommentaren nicht auf die Mode und nicht auf das geschriebene Wort. Sie stellten sich selbst zur Debatte und stießen so Diskussionen an, die bis heute zu führen sind. In Berlin-Neukölln gründeten sie die vegane Fastfood Kette „Dandy Diner" - CNN und BBC berichteten, auch weil zur Eröffnung ein Polizeieinsatz nötig war, um dem Andrang Herr zu werden.
Dandy-Diary-Parties: Provokation und ProtestAusnahmezustände der ein oder anderen Art waren bei Dandy-Diary-Parties, insbesondere denen zur Fashion Week, die Regel und das erklärte Ziel. Von der Location (Hausbesetzung in der Friedrichstraße oder Indoor Spielplatz) über die Gästeliste bis zur Duftnote der Räucherstäbchen auf der asiatisch angehauchten Party zum Gallery Weekend vor einem Jahr waren diese Events Konzept und kuratierte Grenzüberschreitung. Zwischen Elefanten und Lamas, Tortenschlachten und Live-Botoxspritzen, Nackten und Feuerspuckern stand Haupt als Eskalationsapologet stets im Mittelpunkt und vor der Tür standen Schlangen von Menschen, die nicht verpassen wollten, worüber morgen alle sprechen würden. Party als Provokation und Protest als Party.
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So wild er feierte, so genau konnte er beobachten. So unverwechselbar, wie er sich kleidete, schrieb er. Den studierten Politikwissenschaftler beschäftigten die gesellschaftlichen Fragen hinter der Oberfläche. Er konnte den Aufstieg Trumps an einer Cowboy-Kollektion von Levi's verhandeln und über Feminismus und die Verschiebung der Grenzen des Sagbaren ebenso aufschlussreich philosophieren wie über einen Nachmittag in seinem Lieblingscafé „Bravo" in Berlin Mitte, alles in einer unnachahmlichen Nonchalance. Seine bewundernswerte Gelassenheit verminderte dabei nicht seine Begeisterungsfähigkeit, sein Blick für das Schöne nahm ihm nicht die Sicht für das Wichtige. Ein Vorbild ist er in der Großzügigkeit und Offenheit, die er anderen zuteilwerden ließ, und der Freiheit, die er sich selbst bewahrte.
Carl Jakob Haupt: Als Kind wollte er Punk werdenAls Kind habe er Punk werden wollen, sagte Haupt in einem Interview. Er wuchs in einer protestantischen Familie in Kassel auf, wo er mit seinem späteren Kompagnon Roth zur Schule ging. Für das Studium zog er zunächst nach Hamburg, dann weiter nach Berlin und von dort in die ganze Welt, die er seit 2016 gemeinsam mit seiner Freundin und späteren Frau, dem Model Giannina Haupt, bereiste. Geheiratet hatten sie im vergangenen Jahr auf Sizilien, bereits in dem Wissen um Haupts schwere Krebserkrankung. Sein Weg endete schließlich im Sterbezentrum Bad Saarow in Brandenburg, wo er am Karfreitag im Kreise seiner Familie und Freunde in den Armen seiner Frau einschlief.
Die Autorin war Praktikantin bei Dandy Diary.