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Rückkehr zum Fortschritt - Die Ärzte

Im Progresja in Polen feiern Die Ärzte Comeback und Tourauftakt

„Wie kann es sein, dass die Sonne plötzlich scheint in der Nacht?“ – dringt es donnernd aus den Boxen und aus den Effektmaschinen der Nebel. Scheinwerfer an und da stehen sie dann: Bela, Farin, Rod. Grinsend und wie versprochen und immer schon mit frisch gefärbten Haaren: Farin Urlaub links und platinblond, Bela B. in der Mitte halb blond, halb schwarzhaarig wie Rodrigo Gonzales rechts. Pünktlich um 20 Uhr eröffnen die Ärzte mit ihrem zweiten neuen Lied „Rückkehr“ das Konzert im Warschauer Club Progresja am Donnerstag und damit ihre Miles&More Tour, die sie anschließend durch Prag, Zagreb, Amsterdam und weitere Städte im europäischen Umland führen wird, bevor sie bei Rock am Ring und Rock im Park ihre einzigen Deutschlandkonzerte in diesem Jahr spielen.

Darauf – auf die Rückkehr - haben die 3000, die hier stehen und viele andere, die keine Tickets bekommen haben für das binnen weniger Minuten ausverkaufte Konzert, immerhin sechs Jahre gewartet, sind teilweise über zehn Stunden mit dem Auto gefahren um dann weitere acht Stunden vor der Tür und eineinhalb vor der Bühne anzustehen.

In der Zwischenzeit war viel spekuliert worden, noch angeheizt durch die Veröffentlichung des Gesamtwerks „Seitenhirsch“ im Dezember, ein Rätsel im Frühjahr und die folgende Veröffentlichung des Songs „Abschied“, ob es je wieder weiter ginge und wenn ja, was das dann zu bedeuten hätte: eine letzte Tour, ein letztes Album und dann die Auflösung? Schließlich sind alle 3 Ärzte trotz des vielen Haarsprays und guter Ausleuchtung unverkennbar über 50, Farin Urlaub, der einst in einem Interview verkündet hatte mit 60 nicht mehr auf der Bühne stehen zu wollen, schon 55. Spätestens beim Refrain „Es ist schon viel zu lange her. Es wird langsam Zeit für unsere Rückkehr“ ist aber all das vergessen, die Menge springt und schiebt und schwitzt durcheinander.

Ob jemand im Publikum sei, der kein Deutsch spreche, fragt Farin auf Englisch nach der Begrüßung, während Bela die auf die Bühne geworfenen BHs einsammelt, und fasst dann zusammen worum es in dem folgenden Gerede gehen würde: „We are great blablabla.“

In gewohnter Ärzte-Manier folgen Allzeitfavoriten zum Mitsingen aus drei Jahrzehnten und überhöhte Selbstdarstellung umrahmt von „Bravopunks“ und „Angeber“. Das macht allen, auch der Band sichtlich so viel Spaß, dass man sich immer noch an Liedern über Teenie Telefonterror aus den Mündern von jenen, die heute selbst der Vater sein könnten, der manchmal ran geht, freut.

Die Grenze zwischen Selbstironie und Schizophrenie verwischt allerdings leicht, wenn später mit „Rettet die Wale“, „Ich ess Blumen“ und „Ignorama“ über Vegetarismus, gegen Atomkraft und für Umweltschutz gesungen wird auf einem Konzert, zu dem mindestens die Hälfte der 3000 Besucher plus Band mit dem Flugzeug angereist sind. Zeitgemäß ist es aber genau deswegen. Andere Texte, räumen Bela und Farin ein, sind das weniger und verweisen bei „Sweet Gwendoline“ und „Mann“ fast entschuldigend auf die Entstehungszeit vor der Metoo-Bewegung.

Tatsächlich werden die drei beim Blick zurück selbst sentimental, sprechen über verschiedene Werketappen, die die Setlist abbildet und spielen sogar ein Lied aus der absoluten Anfangszeit von 1982. "Klaus, Peter, Willi und ?" fragt Bela einen Zuschauer in der ersten Reihe, der das aber nicht beantworten kann. Weiter hinten hätte man „Petra“ wohl gewusst, denn tatsächlich versammeln sich hier drei Generationen. Eine Gwendoline ist sogar nach den Ärzten und ihren Liedern benannt und heute mit ihrem Vater da.

Hier singen alle gemeinsam „Schrei nach Liebe“ und anschließend „Alerta alerta Antifaschista“. Auch wenn die Band sich in ihrer Ansage auf Deutschland und die AfD bezieht ist dies besonders in Polen ein wichtiges Signal. Seit 2015 bereits regiert die nationalkonservative Partei (PiS), die sich offen gegen Homosexuelle positioniert und mit ihrer Justizreform bewusst die Demokratie destabilisiert.

Nach drei Zugaben und nicht endenden „Wir wollen die Ärzte sehen!“-Rufen kommen sie tatsächlich ein letztes Mal auf die Bühne, wohl auch weil sie selbst so froh sind wie alle im Publikum über diesen geglückten Abend. Ein Mädchen fällt tatsächlich vor Glück und vielleicht ein bisschen vor Erschöpfung weinend ihrem Freund in die Arme. Hip hip hurra! Alles ist besser als es damals war!


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