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Feature

„Ich hatte den Kontakt zur Jazzmusik verloren“

Bei Element of Crime spielt die Trompete bloß eine Nebenrolle. Auf der neuen Jazzplatte steht Sven Regeners schönere Stimme im Vordergrund. Ein Bettgespräch.

Eine Trompete bloß als Rohr mit drei Knöpfen zu bezeichnen, das ist schon arg lieblos, oder? Doch tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. In der Verknappung liegt die Liebe, große Liebe. Sogar eine feste Beziehung, die Sven Regener mit der zwischen Hund und Herrchen vergleicht, die sich ja angeblich immer ähnlicher werden mit der Zeit. Das ist bei diesem kuschelbärigen Bass von einem Mann und der kleinrüsseligen Trompete, nun ja, eindeutig nicht der Fall. Regener meint ja auch nicht Äußerlichkeiten.

Er meint den Klang, die von innen nach außen geblasenen Werte. Er findet jedenfalls, dass seine Gesangsstimme seiner Trompeterstimme sehr ähnelt. Beide monofon, verzerrt, beide mit viel Vibrato. Regener gibt sofort zu: „Ich habe die Trompete immer als meine schönere Stimme empfunden.“ Und dann sagt er noch: „Die tiefe Liebe zu ihr, hat mich nie verlassen.“ Ein Rohr, drei Knöpfe. Resonanz. Gefühle. Die Kennenlerngeschichte kommt später.

Zunächst, falls nötig, die Vorstellungsrunde: Seven Regener ist nicht nur der Sänger und Trompeter und Gitarrist der Berliner Chanson-Folk-Rock-Band Element of Crime, er ist nicht nur der Autor von „Herr Lehmann“ und anderen Kiez-Kneipe-Westalgie-Romanen. Er macht seit Ende November und gemeinsam mit seinen Bandkollegen zudem einen Podcast, und dann erscheint an diesem Freitag noch eine Jazzplatte, die „Ask Me Now“ heißt – und das ist, in der Summe von Tatkraft und Talenten, doch ein Grund, ein paar Fragen zu stellen am Telefon.

Eine echt bescheuerte zum Beispiel: Wäre es eigentlich eine Beleidigung, zu sagen, dass Sie nur alte Stücke von John Coltrane, Thelonious Monk oder Dizzy Gillespie nachspielen?

Regener, 60, sitzt oder liegt im Bett, in seiner schönen Wohnung in Prenzlauer Berg, er habe schon in schlimmeren Wohnungen gelebt, sagt er, also alles bestens. Okay, die Kneipen fehlen und die ganzen Sachen, die nur live funktionieren, aber ansonsten konstante Fallhöhe zwischen Kopf und Decke, kein Lockdownblues. Überhaupt Lockdown, da habe er nichts zu sagen, hätten andere schon gesagt und zwar alles, es gäbe nun mal vernünftige Gründe dafür, dass die Sachen so sind, wie sie sind. Nur so viel: Er sei schon immer ein Stubenhocker gewesen, habe immer viel daheim gearbeitet, geschrieben, gelesen, gespielt.

„Aber nachspielen“, sagt Regener nach kurzer Bedenkzeit, „das ist ein Begriff, der selbst in der ersten Stunde eines Blockflötenunterrichts schon keinen Sinn mehr ergibt. Es ist eine Beleidigung, ja, aber auch ein Outing als ein bisschen doof, wenn man so etwas sagt. Das würde von einem tiefen Unverständnis von Musik zeugen.“ Sorry. Auch sorry.

Also zurück zur Trompete und zu der Idee, eine Jazzplatte zu machen. Wobei die Idee, damals vor knapp zehn Jahren, lediglich ein Bedürfnis war, dem Instrument, das Regener mit fünfzehn zu spielen begann, wieder näher zu kommen. Weil: „Es ist zwar nicht so, dass ich das hätte sein lassen, ich habe immer Trompete gespielt, aber bei Element of Crime spielt sie eine Nebenrolle.“

Nun aber, November 2011, Bremer Bürgerpark, gab es diese vierstündige Jazzsession im Anschluss an eine Beerdigung, Regeners Trompetenlehrer Eckfried „Ecki“ von Knobelsdorff war gestorben. Auf der Bühne standen Freunde und Wegbegleiter, zu Beginn spielten sie das todtraurige „Blue Turning Grey Over You“ und irgendwann war auch Regener dran, hatte sich „Freddy Freeloader“ von Miles Davies ausgesucht, weil er das Stück bei Ecki gelernt hatte. „Dann habe ich das gespielt“, sagt Regener, „und habe festgestellt, dass ich nicht richtig gut war, ich hatte keinen Zugang, ich hatte den Kontakt zur Jazzmusik verloren.“ Und um es hier abzukürzen: Er nahm den Kontakt wieder auf, erfolgreich.

Regener kommt aus keiner Musikerfamilie, in der man sanft dazu gedrängt wird, ein Instrument zu spielen. Er hat Musik gemacht, weil er es gerne wollte. Mit zehn zunächst auf der Gitarre. „Aber ich wollte unbedingt noch Trompete lernen.“ Wegen des Klangs, der Lautstärke, der Brachialität, wie er sagt. „Man spielt Melodien, das ist sehr direkt, man hat nur diese drei Knöpfe, die das Rohr verlängern um jeweils ein kleines Stück, man stellt den Sound mit den Lippen am Mundstück her, das ist eine sehr körperliche Geschichte.“

Mit fünfzehn oder sechzehn lief Regener beim Spielmannszug des Kommunistischen Bunds Westdeutschland mit: Tuba, Posaune, er und die Trompete, Hauptsache laut, dann war es gut. Später gefiel ihm die Schweizer Guggenmusik, die Marching Bands in den Staaten. Louis Armstrong, Miles Davies, Chet Baker, die fand er gut. Jetzt macht er eben selbst Jazz. Mit Richard Pappik, Schlagzeuger von Element of Crime, und Ekki Busch, den man vom Akkordeon kennt.Regener sagt: „Was wir machen, sind Jazzstücke, die nicht auskomponiert sind, die ein Ausgangspunkt sind für die Improvisation, für sehr freie Improvisation, weil Jazzmusik, wenn man will, eine doch sehr freie Musik ist. Und darauf kommt es am Ende an: Wie man die Songs interpretiert, was man aus ihnen macht.“ Das lernt man nicht im Blockflötenunterricht.

Und wie klingt sie nun, Regeners schönere Stimme, die Trompete, mit der er seit 20 Jahren zusammen ist? „Es ist, als würde man fragen, Herr Dylan, könnten Sie mal Ihre Stimme beschreiben? Was soll das bringen?“ Hm. Und stellen Sie sich manchmal vor, wie und wo die Leute Ihre Musik hören? „Nein.“ Warum nicht? „Weil auch das nichts bringt, das geht mich gar nichts an, mir darüber Gedanken zu machen. Man bringt die Musik raus, und dann kann jeder damit machen, was er will. Der eine hört sie beim Bügeln, der andere mit Kopfhörern, das ist mir alles recht. Das ist das Wichtige an der Kunst: Man ist als Rezipient frei.“

Vielleicht sitzt oder liegt Regener gar nicht mehr im Bett, ist auch egal, es bleiben noch ein paar Minuten, um über den Podcast zu sprechen: „Narzissen und Kakteen“ heißt der, wie der Song von 2001, es geht um Trennungsschmerz, zart und stachelig zugleich, es tut mehr weh, als es heilen würde. Doch keine Sorge, Element of Crime haben nicht vor, sich bald zu trennen. Sie haben erst 35 Jahre Bandgeschichte hinter sich gebracht, über 1000 Konzerte, 17 Alben, daher die 17 Podcast-Folgen.

Regener macht ein bisschen Werbung: „Wie man damals mit etwas umgegangen ist und wie man es heute sieht, das ist das Spannende, darüber kann man reden. Es kommen Sachen raus, die man sich nicht erzählt hat.“ Aber ist die eigene Erinnerung nicht eine unzuverlässige Quelle? „Es geht gar nicht darum, eine Bewertung vorzunehmen, sondern zu erzählen, wie es für einen war. Insofern muss eine Erinnerung nicht falsch sein. Es ist eher so, wie man die Sachen interpretiert hat. Je länger etwas her ist, gerade bei Bandgeschichten, desto besser erinnert man sich.“

In der aktuellen, der siebten Folge, „Weißes Papier – 1992/1993“, sprechen Regener, Pappik und Gitarrist Jakob Ilja über die Stranglers als Inspiration, Rhythmuswechsel wie bei den Beatles, Saisonkarten im Prinzenbad, ein Ruderboot im Tiergarten – das steht zumindest in der Beschreibung. Aus Zeitgründen war die Interviewvorbereitung nur zwei Folgen lang. Was verpasst? Regener lacht. Die dritte hätte sich schon noch gelohnt. „Da habe ich die beiden damit überrascht, dass ich nach einer Plattenaufnahme in New York aussteigen wollte.“ Warum? Am besten selbst reinhören. Da ist das Bettgespräch auch schon zu Ende.


Erschienen am 1. März 2021