Iran: Trotz seines großen kulturellen und religiösen Reichtums bereisen ihn nur wenige Touristen und erfahren ihn als ein erlebenswertes, wenngleich zutiefst widersprüchliches Land.
Von Paul-Philipp Braun
Der Iran ist in aller Munde. So scheint es zumindest beim Betrachten internationaler Nachrichtenplattformen und -agenturseiten. Die Gründe dafür sind einfach und doch vielfältig: Ein US-Präsident, der dem Land im Falle eines Krieges offen mit Vernichtung droht, ein Mullah-Regime, das aus dem internationalen Atom-Deal aussteigen will, ein schwelender Konflikt mit Israel.
Auch wegen seiner strengen religiösen und sittlichen Vorschriften macht Iran immer wieder Schlagzeilen. Erst am Sonntag meldete die staatliche Nachrichtenagentur Tasnim, dass ein niederländischer und ein britischer Diplomat wegen ihrer Anwesenheit auf einer „unmoralischen Party“ vorübergehend festgenommen worden seien. Nur durch den Beweis ihrer diplomatischen Immunität habe die Religionspolizei „Mutawi“ sie wieder auf freien Fuß gesetzt. Unmoralisch heißt dabei, so ging es aus der Meldung der Agentur hervor, dass Männer und Frauen in den frühen Morgenstunden gemeinsam in einem Teheraner Stadtviertel feierten.
Und doch scheint es beim Besuch des Landes, als würden nicht alle Iraner und deren Gäste sich an die strengen Vorschriften des Regimes halten. Sie ignorieren bei abendlichen Spaziergängen durch die Parks der Hauptstadt Teheran das Kopftuch-Gebot für Frauen, besorgen sich verbotenerweise selbstgebrauten oder aus dem Ausland importierten Alkohol und kritisieren die religiösen und politischen Eliten offen.
Iran ist ein zutiefst gespaltenes Land. Ein Land, das 40 Jahre nach der Islamischen Revolution, der damit verbundenen Absetzung Schah Mohammed Reza Palavis und der Einführung einer Theokratie vor einem erneuten Umbruch zu stehen scheint.
Ein Grund dafür sei die desolate wirtschaftliche Lage, erklärt Mohammed (Name geändert). Seit 15 Jahren führt der 38-Jährige Touristen aus der ganzen Welt durch sein Land. 136 Touren, vornehmlich mit deutschen, australischen oder niederländischen Gästen, begleitete er schon. Mal mit dem Reisebus, mal in seinem weißen Peugeot, ganz individuell. Dabei sei es für iranische Touristenführer nicht einfach, den Lebensunterhalt zu sichern. „Wir leben immer im Schatten der politischen Großwetterlage. Droht wieder irgendwer mit Krieg und sind die Wirtschaftssanktionen erneut verschärft, spüren wir sofort einen Einbruch bei den Buchungen“, erklärt Mohammed in gutem Englisch. Rund 150 Tage sei er in einem durchschnittlichen Jahr unterwegs, in politisch schwierigen Zeiten nicht einmal die Hälfte. Wie er durch das laufende Jahr komme, das wisse er noch nicht. Zu kontrovers werde im Ausland über den Iran diskutiert, zu unsicher sei die wirtschaftliche Lage unter US-amerikanischem Einfluss.
Nach Angaben der Welt-Tourismus-Organisation UNWTO besuchten 2017 etwa fünf Millionen ausländische Touristen den Iran. Zum Vergleich: In das gerade einmal ein Drittel so große Spanien kamen im gleichen Jahr mehr als 81 Millionen Ausländer.
Und das, obwohl der Iran eine kulturelle Schatzkammer zu sein scheint. 23 iranische Stätten stehen auf der Welterbeliste der Unesco. Darunter die Ruinen der antiken Perserhauptstadt Persepolis, die aus Lehm erbaute Altstadt Yazds, aber auch die formale Gestaltung der persischen Gärten.
Ein Erbe, auf das auch Guide Mohammed stolz ist: „Unsere Vorfahren haben mit ihrer Art, prunkvolle Gärten zu gestalten, einen Meilenstein gelegt, um den uns der Westen bis heute beneidet.“ Und in der Tat: Schon Goethe beschreibt in seinem West-östlichen Divan den Aufbau eines solchen orientalischen Gartens. Und auch für den Park des indischen Taj Mahal bedienten sich dessen Architekten an der Gartenbaukunst der persischen Nachbarn. Sind jene Gärten ein unverkennbares Zeichen für Wohlstand und Überfluss, so ist in vielen Teilen des Irans davon nicht viel zu spüren.
Die von den USA und einigen Partnern verhängten wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Mullah-Regime und dessen geplatzten Atom-Ausstieg treffen die Bevölkerung des 80 Millionen-Staates hart. Die Inflationsrate ist mit derzeit mehr als 50 Prozent enorm, schon Dinge des täglichen Bedarfs sind für viele Iraner kaum noch erschwinglich. Besonders pikant: Offizielle Wechselkurse weichen vom wahren Wert des Iranischen Rial schon einmal um mehr als zwei Drittel ab. Ein Grund für die sich anbahnende Wirtschaftskrise. „Vor einem Jahr verdiente ein Lehrer noch etwa 800 Euro pro Monat. Heute sind es noch gut 200 Euro“, berichtet Mohammed.
Hinzu kommt die Komplexität des iranischen Währungssystems, das elf verschiedene Rial-Scheine, fünf verschiedene Münzen und die Scheinwährung „Tuman“ kennt. Letztere dient im Alltag der Vereinfachung und der mutmaßlichen Preissenkung, führe allerdings Touristen häufig in die Irre, erklärt Mohammed. Wer an einem Kiosk den halben Liter Wasser für umgerechnet 23 Cent bekommt, der hat Glück, kann er doch eine Straße weiter das Zehnfache kosten.
Doch nicht nur in der Wirtschaft zeigt sich die endlos erscheinende Gegensätzlichkeit des Irans. Auch das religiöse Leben in der Islamischen Republik ist so bunt und vielfältig, wie viele Europäer es wohl nie erwarten würden. Selbstverständlich gehört der Islam schiitischer Prägung zur Staatsräson. Heilige Schreine wie der der Fatima in Ghom, das prachtvolle Mausoleum Ayatolla Khomeinis in Teheran oder die farbenfrohe Nasir-ol-Molk-Moschee in Schiras prägen das Bild vom Iran. Doch auch sunnitische, christliche und jüdische Minderheiten gehören in den Nachfolgerstaat des Perserreiches. Ebenso, wie auch der hierzulande eigentlich nur durch Nietzsche und Richard Strauss bekannte Zoroastrismus. Mehr als 2700 Jahre kann die Religionsgeschichte der Zoroastrier zurückverfolgt werden und ist eine der ältesten monotheistischen Religionen der Welt.
Auffällig sind dabei viele Parallelen zum Islam. So sind Gottesdarstellungen auch im Zoroastrismus verboten, es gibt eine genaue Vorstellung der Hölle, und auch transzendente Einflüsse durch Engel spielen bei den Anhängern Zara-thustras eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Im Unterschied zum staatlich gelebten und regulierten Islam sind Zoroastrier jedoch in Hinsicht auf Dogmen, Rollenbilder und Moralvorstellungen freier. Zwar gilt für sie und ihr Leben der Anspruch der „guten Gedanken, guten Worte und guten Taten“, religiöse Zwänge sind ihnen jedoch weitestgehend fremd. Vielleicht ein Grund, weshalb die Religion in der medialen Darstellung zwischen US-Sanktionen und Mullah-Regime oft unterzugehen scheint.