Es ist nahezu stockfinster in der ÖVB-Arena, aus der Anlage dröhnen sphärische Klänge. Sie erinnern, gewollt oder nicht, an die Titelmusik von Star Wars. Ähnlich wie im Filmklassiker entführt der Künstler das Publikum in den nächsten zweieinhalb Stunden in eine eigene Welt. Es gibt liebenswürdige Charaktere, Licht und Dunkelheit und den Kampf gegen das Böse. Ein konzertgewordenes Märchen.
Als der Held, Herbert Grönemeyer, die Bühne betritt, reißt er beide Arme für das Peace-Zeichen in die Luft. Hinter ihm auf der Leinwand steht in riesigen, grellen Lettern: „Tumult", der Titel seines neuen Albums. Die rund 10 000 Zuschauer in der nahezu ausverkauften Halle brauchen keine Aufwärmphase, sie sind beim Opener „Sekundenglück" sofort da.
Vor 30 Jahren sei er das erste Mal in Bremen aufgetreten, sagt Grönemeyer. „Wir sind seitdem besser geworden. Vielleicht einen Tick langsamer, aber wir geben alles, damit es ein toller Abend wird." Er sei froh, dass trotz des Heimspiels von Werder Bremen so viele gekommen sind. „Auch unser Zug zum Tor ist immer noch da."
Ein Meister der DramaturgieDass er nicht alles gegeben hätte, kann man ihm nach den fast 30 Songs wahrlich nicht vorwerfen. Mit schwarzem Jackett und weißen Turnschuhen hechelt der 62-Jährige unermüdlich über die Bühne, dirigiert dabei das Publikum, spielt Klavier, später Tamburin, presst, bellt und drückt die Töne auf seine unverwechselbare Art heraus. Die Songpalette umfasst dabei - frei nach einem alten Radioslogan - das Beste aus den 80ern, 90ern und von heute.
Grönemeyer ist ein Meister der Dramaturgie, spielt erst vier Songs aus seinem neuen Album, gibt den Zuschauern dann aber endlich das, wofür sie eigentlich gekommen sind. Nach „Bochum", „Männer" und „Was soll das" ist selbst das Publikum auf den Rängen nicht mehr zu halten. Das alles gipfelt in seiner Hymne „Mensch", bei der die Arena in blutrotes Licht getaucht ist und Tausende Arme hin- und herwippen. Es ist der Höhepunkt des Abends. Einzig der durchwachsene Sound trübt das Gesamtbild. Grönemeyers Stimme geht in einigen Songs neben seiner etwas zu lauten, achtköpfigen Band unter.
Die Zwischenpausen nutzt er mal für Lokalkolorit („Breeeemen"), Danksagungen an das Publikum („Klasse", „Riesig", „Unglaublich") aber auch für politische Statements. „Gerade in Zeiten wie diesen ist es wichtig, Haltung zu zeigen", sagt Grönemeyer. Jeder müsse sich selbst hinterfragen, wie anfällig er für populistisches Gedankengut ist.
Im Song „Fall der Fälle" heißt es dann auch: „Es wird laut gedacht, alles ist erlaubt / Es lallt und hallt von überall / Jeder Geisteskrampf wird ganz einfach mal gesagt / Es wird gejagt ohne Moral." Das ganze mündet in der mehrmals wiederholten Parole „Kein Millimeter nach rechts". Das Bremer Publikum, bei dem fast alle Altersklassen verteten sind, reagiert mit lautstarkem Beifall.
Der 62-Jährige ist das, was oft als „Künstler mit Haltung" bezeichnet wird. Bereits im Jahr 1986 bezog er in dem Album „Sprünge" politisch Stellung und griff den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl an. Und seine Worte haben Gewicht. Er hat mehr als 20 Millionen Tonträger verkauft, hält mit einem Konzert vor 100 000 Menschen immer noch den Rekord. Da verzeiht man ihm auch die manchmal übertriebene selbstironische Art. Verweise auf sein nicht vorhandenes Tanztalent wirken mittlerweile eher abgenutzt, auch wenn sie bei vielen Fans trotzdem ankommen.
Für den Völkerverständigungssong „Doppelherz/Iki Gönlum" kommt mit dem Rapper BRKN der einzige Gast auf die Bühne. Der orientalische Beat sorgt für Abwechslung, der Funke will aber nicht so recht überspringen. Rap und Grönemeyer passen nicht zusammen. Doch wie oft in seinen Liedern, kommt es weniger auf das Musikalische, sondern auf die Botschaft an. Und die stimmt.
Ein großer Abend geht zuendeBRKN tritt mitsamt DJ als Vorband auf, das Publikum wirkt aber bereits da eher wohlwollend bis irritiert. Dabei zeigt der Berliner eine gute Leistung, rappt seine seichten Texte fehlerfrei und spielt gar ein Solo auf dem Saxophon.
Der bewegendste Moment, wie könnte es anders sein, folgt fast ganz am Schluss. Nachdem Grönemeyer schon von der Bühne verschwunden ist, holen ihn die Bremer mit der Stadionhymne „Oh wie ist das schön" wieder hervor. Allein auf dem Steg, inmitten der Zuschauer, sitzt er in Scheinwerferlicht gehüllt am Klavier und singt „Der Weg", die Ballade für seine 1998 verstorbenen Frau.
Schluss ist danach noch nicht, Grönemeyer spielt unter anderem noch „Flugzeuge im Bauch", „Musik nur, wenn sie laut ist" und „Demo (Letzter Tag)". Ein großer Abend geht zuende, ein fröhliches, nachdenkliches Familienfest. Auf Herbert Grönemeyer können sich einfach ganz viele Menschen einigen. Allein das ist derzeit schon eine ganze Menge wert.
Original