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Wie in Magen oder Mund: Verbundstoffe stufenweise abbauen

Getränkedosen, Milchpackungen oder auch Textilmischgewebe bestehen aus Verbundstoffen, die derzeit nicht rezykliert werden können. In Tulln arbeitet man aber daran: mithilfe von Enzymen, die - hoch spezialisiert - die einzelnen Materialien voneinander trennen können.

Voll bepackt schleppt man seine Sackerln mit Dosen, PET-Flaschen und Getränkekartons zur Sammeltonne, in Wien ist es die gelbe. Doch was passiert, nachdem man die Gebinde, am besten flach gedrückt, dort eingeworfen hat? Gibt es überhaupt eine Wiederverwertung für Verbundstoffe wie die Aludose oder das Saftpackerl, das etwa aus Karton, Kunststofffolie und Aluminiumschicht besteht? „Das können Sie mechanisch nicht auseinanderkriegen", sagt Georg Gübitz. Und zwar weder per Hand noch mit einer Maschine. Gübitz leitet das Institut für Umweltbiotechnologie und das Department für Agrarbiotechnologie, eine Dependance der Boku Wien in Tulln. Gemeinsam mit seinem Forschungsteam arbeitet er daran, solche Verbundstoffe oder auch Textilmischgewebe wiederverwertbar, rezyklierbar zu machen.

Das funktioniert mit der Hilfe von Enzymen. „Ein Enzym ist ein Biokatalysator", sagt Gübitz. Es beschleunigt also chemische Reaktionen. „Wir haben solche Enzyme auch in unserem Mund und Magen: Die einen können nur Amylose, also Stärke, abbauen, die nächsten sind spezialisiert auf Fette, wieder andere auf Proteine, also Fleisch, und so weiter", erklärt Gübitz. „So können im Menschen, in Bakterienzellen oder jedem anderen Gefäß viele Reaktionen zugleich ablaufen."

Milchsäurebakterien packen mit an

Erfolgreich war Gübitz' Forschungsteam, in dem Fall Dissertant Klemens Kremser, zuletzt auch beim „Bioleaching" benutzter Getränkedosen - also der Rückgewinnung von Metallen, in diesem Fall Aluminium, mit der Hilfe von Mikroorganismen. Solche Bier- oder Softdrinkdosen stellen eine der größten Quellen für die Wiederverwendung von Aluminium dar. Ihre Innenseite ist mit Epoxy-Harz beschichtet, um den direkten Kontakt des Metalls mit dem Lebensmittel zu vermeiden. Im Recyclingprozess werden sie üblicherweise einfach eingeschmolzen, wodurch aber die Harz-Beschichtung verloren geht. In einer Studie setzten die Forscher nun acidophile Mikroorganismen, zu denen etwa die Milchsäurebakterien zählen, ein, um das Aluminium durch Laugung von der Epoxyschicht zu trennen - mit einer Erfolgsquote von 92 Prozent nach drei Wochen. Auch das Harz konnte danach wiederverwertet werden. Das zeige das hohe Potenzial dieser Bakterien fürs Recycling von Verbundstoffen auf, so die Wissenschaftler.

In einem Projekt mit niederösterreichischen Firmen dreht sich die Wiederverwertung um Textilien: „Wenn wir ein Mischgewebe haben - zum Beispiel Handtücher, bestehend aus Baumwolle und Polyester - setzen wir zuerst ein Enzym ein, das die Baumwolle auflöst. So erhalten wir Zucker, etwa für die Vergärung zu Ethanol, und der zweite Teil aus dem Mischprodukt liegt dann in reiner Form vor." Für Zellulose ist das schon jetzt gut möglich, am Herauslösen weiterer Bestandteile wird gearbeitet. So beschäftigen sich auch zwei neue Projekte am Tullner Institut damit, mithilfe hochspezifischer Enzyme Mischgewebe stufenweise zu recyceln. Finanziert werden sie von der EU und über Kooperationen. „An solchen EU-Projekten sind häufig große Firmen wie H&M oder Decathlon interessiert", sagt Gübitz. Auch diese Textilkonzerne sehen sich gedrängt, immer stärker auf Nachhaltigkeit zu setzen.

Eine Entwicklung, die für ihn als Wissenschaftler noch speziell wichtig sei: „Wir wollen in der Forschung nicht immer nur hinten nacharbeiten, sondern vorausdenken." Es sei derzeit höchst relevant, Produkte schon so zu entwickeln, dass sie nach ihrer Benutzung auch gut rezyklierbar sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2021)

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