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Was uns besser altern lässt

Die Statistikerin Daniela Weber beschäftigt sich damit, was die Lebensqualität älterer Menschen beeinflusst - etwa Umweltfaktoren, Ernährung oder gebildete Kinder.

Warum können deutsche Frauen und Männer über 50 mit der Hand kräftiger zugreifen als Österreicherinnen und Österreicher desselben Alters? Es sind Fragen wie diese, die für Daniela Weber die Spannung ihres Fachs ausmachen; sie ist Assistenzprofessorin in der Abteilung „Health Economics and Policy" an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Die sogenannte Hand Grip Strength bezeichnet die Kraft, wie fest man mit einer Hand zugreifen kann, und gilt als Indikator für die Fitness eines Menschen. Für Weber sprechen Beispiele wie dieses dafür, dass unser aller Gesundheitskapital nicht nur individuell bestimmt ist - sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene.

Statistik trifft Gesundheit

Weber hat erst Technische Mathematik an der TU Wien studiert, danach Statistik an der Universität Wien. „Es war immer die Liebe zu Zahlen da", sagt sie. Zu Studienbeginn stellte sie sich die Frage: „Zahlen oder Medizin? Es hat sich dann aber besser angefühlt, den Zahlen nachzugehen." 2015 dissertierte sie an der WU zum Thema „Altern im internationalen Vergleich" - und verband damit ihre Interessen an Gesundheit und Statistik. „Für mich passt das gut zusammen." Seit Juni ist die Mutter eines kleinen Sohnes nun Apart-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). In ihrem Projekt „Aging Health Capital" vergleicht sie für 36 Länder, darunter Österreich, welche Faktoren physische wie kognitive Gesundheit im Alter beeinflussen - also weshalb Menschen in verschiedenen Weltregionen in unterschiedlichem Maße körperlich fit und/oder geistig rege bleiben.

Einerseits ist da der individuelle Beitrag, den jede und jeder über Ernährung und Verhalten allgemein leisten kann. Andererseits gibt es gesellschaftliche Faktoren, die man über alle Länder streichen kann, so Weber: etwa der Faktor, wie gut Personen in der Umgebung eines Menschen gebildet sind. „Der Zusammenhang ist dadurch erklärbar, dass man von ihnen andere Inputs etwa in puncto Gesundheitsbewusstsein bekommt." Aber auch Umweltfaktoren, Schulpflicht und Gesundheitssystem können Einfluss haben.

„Was mich fasziniert", sagt Weber, „ist das Zusammenspiel der Faktoren". Frauen leben etwa länger, altern häufig aber in schlechterem Zustand. „Die Lebensumstände tragen dazu bei. Hatten sie Zugang zu Bildung, waren sie im Arbeitsmarkt eingegliedert? Wenn ich den Bildungszugang politisch nicht ermögliche", so Weber, „kann ich mir die Frage stellen, ob ich - gesamtgesellschaftlich gesehen - nicht Potenzial liegen lasse".

In der aktuellen Studie arbeitet die Statistikerin mit Jahrzehnte umspannenden Datensets aus unterschiedlichen Erdteilen. Um sie vergleichen zu können, fragt sie sich: „Ist das wirklich exakt die gleiche Fragestellung? Da gibt es Nuancen." Eine Beispielfrage lautet etwa: Nennen Sie innerhalb einer Minute so viele Tiere, wie Sie kennen! In manchen (vielsilbigen) Sprachen dauere es aber länger, einen Tiernamen auszusprechen als in anderen, weshalb die Zeitbeschränkung das Ergebnis verfälsche. „Da muss ich bei der Interpretation aufpassen."

Besonders wichtig an ihrer Arbeit sei ihr die Interdisziplinarität, sagt Weber. „Ich arbeite regelmäßig mit Psychologen zusammen, das bringt schon einen größeren Blickwinkel. Aber in den Unistrukturen ist dieser Aufbruch noch in den Kinderschuhen", es gebe kaum interdisziplinäre Professuren, auch in der Altersforschung nicht. „Dabei wäre es so wichtig, dass Gesundheitsökonometrie mehr Relevanz bekommt." In Österreich böte da die Pandemie Anlass, der Bevölkerung zu vermitteln, wie hilfreich die gesellschaftliche Analyse von Gesundheitsdaten sei: Wie ändert sich beispielsweise in der älteren Bevölkerungsschicht der mentale Zustand, wenn es aufgrund von Covid-19 keinen Kontakt zu Enkeln gibt oder keine Besucher ins Pflegeheim kommen dürfen? In Schweden hat man etwa die Lebensläufe von Teenagern kompletter Kohorten bis ins Alter nachgezeichnet. „Meines Wissens ist das in Österreich nicht annähernd möglich", sagt Weber. „Der Vorteil solcher Studien wird bei uns viel zu wenig hervorgehoben."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2020)

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