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Straßburg entscheidet nicht über Sterbehilfe

Justiz

Haben Kranke ein Grundrecht, ihrem Leben ein Ende zu setzen? Die Straßburger Richter halten sich beim Thema Sterbehilfe zurück. Aus Brüssel von unserer Korrespondentin Patricia Dudeck


Strassburg. Bettina Koch will sterben. Sie ist gerade einmal Mitte 50 und hat eine erwachsene Tochter und einen liebenden Ehemann. Doch ein Sturz vor der eigenen Haustüre machte ihr Leben zur Qual: Sie schlug mit dem Kopf auf einen steinernen Blumentopf und brach sich das Genick. Nach 14 Monaten Spezialklinik kommt sie heim - im Rollstuhl. Sie ist fast vollständig gelähmt. Pfleger sind ständig da. Nahrung und Sauerstoff kommen über Schläuche und Maschinen. Schmerzhafte Krämpfe quälen sie. Die Ärzte sagen ihr noch mindestens 15 Jahre voraus. Doch Bettina Koch haben schon drei Jahre Leiden gereicht. Sie nimmt im Februar 2005 tödliches Gift - bei Sterbehelfern in der Schweiz.

Staat will nicht Sterbehelfer sein

Gerne wäre sie zu Hause in Braunschweig gestorben, mit einer Überdosis Schlafmittel, die sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel beantragte. Doch die Behörde verweigerte ihr diesen Weg. Es sei nicht mit dem Betäubungsmittelgesetz vereinbar, das Menschenleben schützen und nicht beenden soll. Damit würde sich der Staat zum Sterbehelfer machen. Das 25 Jahre verheiratete Ehepaar legte Widerspruch ein. Doch die schwerbehinderte Frau gibt das Warten auf den Ausgang des Verfahrens auf.

In Deutschland ist es den Ärzten erlaubt, auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten die lebenserhaltenden Maschinen oder Behandlungen zu stoppen, während er lindernde Medikamente bekommt. Doch viele Ärzte haben Angst, sich trotzdem strafbar zu machen. So organisierte das Ehepaar ihren Freitod in der Schweiz. Dort, in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg ist es Medizinern unter bestimmten Bedingungen erlaubt, tödliche Medikamente zu verschreiben.

Bettina Koch wollte selbst wählen, wie sie stirbt, und fühlte ihr Recht auf ein menschenwürdiges Sterben von Deutschland verletzt. Auf ihren Wunsch hin kämpfte ihr Mann noch nach ihrem Tod vor Gericht. Doch die deutschen Richter ließen nicht zu, dass sich Ulrich Koch nachträglich im Namen seiner verstorbenen Frau beschwert. Auch die Straßburger Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) konnten ihm da gestern nicht helfen.

Der Fall wird neu aufgerollt

Doch hätten die deutschen Gerichte laut Straßburg sehr wohl weiter prüfen müssen, wie weit er selbst von der Absage des Instituts in Mitleidenschaft gezogen wurde. Koch hatte sich gezwungen gesehen, in die Schweiz zu reisen, um seiner Frau die Selbsttötung zu ermöglichen. Das Leiden seiner Gattin und die Umstände ihres Todes hätten ihn als mitfühlenden Ehemann und Betreuer beeinträchtigt, so der EGMR. Da grundlegende Fragen über den Wunsch von Patienten nach einem selbstbestimmten Lebensende im Raum stehen, geht es alle Bürger etwas an, sagte Straßburg. Ein Grund mehr, sich damit in Deutschland noch einmal zu befassen. Der EGMR sprach Koch symbolischen Schadenersatz von 2500 Euro zu, außerdem mehr als 26.700 Euro für die Prozesskosten.

Mit dem Urteil der Richter im Rücken hat Ulrich Koch vor, den Fall erneut aufrollen zu lassen. Ob Bettina Koch einen Anspruch auf das Gift hatte, müssen also die deutschen Gerichte klären. Sofern keine der Parteien den Fall binnen drei Monaten vor die Große Kammer des EGMR verweist. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig.

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