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Zentralasien: Wahlen ohne Alternative

Hunderte Verhaftete, gefälschte Wahlen und Bilder, die einen ratlos zurücklassen. Das ist die Bilanz des Wahlsonntags in Kasachstan. Dass es während der Parlamentswahlen zu Protesten kommen würde, war zu erwarten. Schon seit den Morgenstunden wurden in Almaty, der größten Stadt des Landes, vorsorglich Mobilfunkverbindungen gestört und Nachrichtenseiten blockiert. Die Polizei machte sich mit Hundertschaften bereit. An mehreren Stellen im Stadtzentrum hatten sich verschiedene Gruppierungen versammelt und riefen zum Wahlboykott auf.

"Wir stehen hier, weil die heute stattfindenden Wahlen illegitim sind. Keine der an den Wahlen teilnehmenden Parteien vertritt die Interessen des Volkes", erklärte eine Aktivistin der Bürgerbewegung "Oyan, Qazaqstan" (Wach auf, Kasachstan!). Sie forderte, die oppositionelle Demokratische Partei endlich zu registrieren und dann ehrliche Wahlen abzuhalten. Sowohl "Oyan, Qazaqstan" als auch die Demokratische Partei hatten etwa eine Handvoll Menschen versammelt. Spezialeinheiten kesselten beide Gruppen ein, hielten sie bei Minustemperaturen mehr als sieben Stunden lang fest. In den sozialen Medien wurden etliche Videos und Bilder verschickt. Besonders eindrücklich ist das Foto einer jungen Frau, die auf einem Pappkarton sitzt, die Hände um die Knie geschlungen, umkreist von Polizisten in schwarzen Uniformen und Sturmmaske.

Schon vor dem 10. Januar war eine Verhaftungswelle über das Land gerollt. Nichts sollte die orchestrierten Parlamentswahlen stören, die ersten unter Präsident Kasym-Schomart Tokajew. Fünf Parteien standen zur Wahl, alle regierungstreu. Bereits am Montagvormittag stand das Ergebnis fest: Drei Parteien haben es über die 7-Prozent-Hürde geschafft. Die Präsidentenpartei Nur Otan erhielt mit 72 Prozent zwar die meisten Stimmen, hatte aber bei den vergangenen Wahlen stets mit über 80 Prozent gewonnen. Internationale Wahlbeobachter kritisierten: Kein echter Wettbewerb und grundlegende Grundrechtseinschränkungen ließen die Wähler in Kasachstan ohne echte Wahl. Die Wahlbeteiligung soll bei 63,3 Prozent gelegen haben'

Damit war sie fast doppelt so hoch wie bei den Präsidentschaftswahlen im benachbarten Kirgistan. Auch hier stand das Ergebnis schon fest: Sadyr Dschaparow wird neuer, alter Präsident. Dschaparow saß vor rund drei Monaten noch im Gefängnis und wurde während der Proteste gegen die gefälschten Parlamentswahlen Anfang Oktober befreit. Außerdem konnten die Kirgisen per Referendum abstimmen über die Einführung eines präsidentiellen Regierungssystems, das das bisherige parlamentarische ersetzen soll. Sadyr Dschaparow erhielt 79,9 Prozent aller Stimmen, obwohl insgesamt 17 Kandidaten zur Wahl standen. Für ein präsidentielles Regierungssystem stimmten 84,18 Prozent.

Der kirgisische Politikanalyst Asim Asimov zweifelt das Wahlergebnis an: "Es gibt Beweise dafür, dass Stimmenauszählungen manipuliert wurden", sagt er. Tatsächlich mehrten sich im Laufe des Tages Berichte über den Kauf von Stimmen, die Ausgabe von mehreren Wahlzetteln pro Person und nicht richtig versiegelte Wahlurnen. Asimov merkt ironisch an: "Wir leben in Sadyrstan. Das ist unsere schreckliche Realität." Die Politikwissenschaftlerin Asjel Doolotkeldijewa zweifelt nicht nur an der Richtigkeit, sondern überhaupt an der Legitimität des Wahlausgangs. Auf Twitter schrieb sie: "Ich kann nicht glauben, dass Kirgistan heute für einen Präsidenten und einen potenziell starken Präsidentialismus stimmt! Noch vor drei Monaten haben wir gegen gefälschte Wahlen protestiert. Dann wurden unsere Frustrationen von einer halbkriminellen, populistischen Gruppe gekapert."

Dschaparow hat seine Macht als Präsident gefestigt. Er wird die Zügel in dem Land, das einmal als "Insel der Demokratie" in Zentralasien bekannt war, anziehen. Die Verfassungsänderung gibt ihm nun die Möglichkeit dazu. Auch Tokajew scheint in Kasachstan nun härter durchzugreifen. Hatte er in seinem ersten Amtsjahr 2019 noch den Kontakt zur Zivilgesellschaft gesucht und Reformen versprochen, so wurde schon bald deutlich, dass die Reformen nicht in die erhoffte Richtung gehen. Die beiden Wahlsieger werden sich übrigens demnächst treffen: Dschaparow hat bereits angekündigt, dass ihn seine erste Auslandsreise als Präsident nach Kasachstan führen wird.

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