1 subscription and 0 subscribers
Article

Berliner Morgenpost "Ein Signal für Musik - zum 80. Geburtstag von Aribert Reimann"

Berliner Morgenpost | 25. Februar 2016


Der Komponist und Pianist Aribert Reimann feiert an der Deutschen Oper Berlin seinen 80. Geburtstag

Mit der Deutschen Oper Berlin ist er nun schon beinahe sein ganzes Leben lang eng verbunden und das will etwas heißen: Denn Aribert Reimann, Pianist und einer der meistgespielten deutschen Opernkomponisten der Gegenwart, wird dieser Tage 80 Jahre alt. Als Junge saß er im Parkett, sein Studium finanzierte er mit einer Anstellung als Korrepetitor am Studio der damaligen Städtischen Oper und auch als bereits renommierter Komponist geht er weiterhin im Haus ein und aus. Lebhaft und mit Tempo. Überhaupt scheint ihn das Alter wenig zu interessieren und von Ruhestand ist schon gar keine Rede: Gerade arbeitet er wieder an einem neuen Stück, das im kommenden Jahr uraufgeführt werden soll.

Am 4. März 1936 wurde Aribert Reimann als Sohn der Altistin Irmgard Rühle und des Kirchenmusikers, Hochschullehrers und Leiters des Staats- und Domchores, Wolfgang Reimann, in Berlin geboren, mitten hinein in eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte. Im Alter von acht Jahren musste er erleben, wie sein älterer Bruder bei einem Bombenangriff ums Leben kam - Jahrzehnte später sollte ihn diese Tragödie zu seiner Oper "Troades" nach Euripides und Franz Werfel inspirieren, die 1986 uraufgeführt wurde: "Es war mir ein Bedürfnis, einmal in meinem Leben eine Oper gegen einen Krieg, fürs Überleben zu schreiben", erklärt Aribert Reimann mit bewegter Stimme und es ist ihm noch heute anzumerken, wie nah ihm diese Erlebnisse gegangen sind.

Seine erste aktive Begegnung mit der Oper hatte er ebenfalls bereits als Kind: Als Zehnjähriger sang er die Partie des Knaben in Kurt Weills Oper "Der Jasager" am Hebbel-Theater. Tief beeindruckt von dieser Erfahrung versuchte er sich bald darauf an ersten eigenen Liedkompositionen. Das Element Stimme sollte immer ein bestimmendes in seinem Werk bleiben.

Nach dem Abitur belegte Reimann Komposition, Kontrapunkt und Klavier an der heutigen Berliner Universität der Künste und begegnete dort wichtigen Mentoren wie Ernst Pepping und - vor allem - Boris Blacher. "Er hat sehr früh erkannt, was mal meine Sprache sein wird. Es war seine pädagogische Genialität, dass er bei seinen Schülern immer genau gespürt hat, wer einmal in welche Richtung gehen würde. Deshalb sind wir, die wir bei ihm waren, auch alle so verschieden." Eine weitere wichtige Begegnung machte Reimann eher zufällig, als er für einige Kollegen seiner Mutter korrepetierte: So traf er den Bariton Dietrich Fischer-Dieskau, mit dem er bis zu dessen Tod befreundet war und für den er unter anderem die Rolle des Lear in der gleichnamigen Oper schrieb - mit international mehr als 30 Inszenierungen sein meistgespieltes Werk.

Lear - die Figur Shakespeares. Überhaupt ist Literatur für Aribert Reimann ein wichtiger, vielleicht der wichtigste "Auslöser" für eine Komposition. "Es ist ein Signal für Musik. Wenn man ein Gedicht liest, hört man dahinter Musik oder man hört sie nicht. Es ist eine Atmosphäre oder Atmosphärisches, was ich in den Klang umsetzen kann." Seine Inspirationsquellen dabei sind vielfältig. So basierte sein erstes Musiktheaterstück, das Ballett "Stoffreste", das 1959 in Essen uraufgeführt wurde, auf einem Libretto von Günter Grass - mit dem Literatur-Nobelpreisträger sollte er noch weitere Male zusammenarbeiten, so auch bei "Die Vogelscheuchen", 1970 an der Deutschen Oper Berlin. Andere Werke entstanden aus Texten von Franz Kafka, aus Bühnenstücken von Strindberg oder García Lorca oder aus Gedichten von Edgar Allan Poe. Oftmals verwandelte er die literarischen Vorlagen selbst in Libretti. Jahrelang trägt er die Stoffe mitunter mit sich herum, versenkt sie tief in seinem Inneren, bis sie eines Tages wieder "hochkommen" und endlich bearbeitet werden müssen. Immer gibt es dann auch einen Bezug zur Gegenwart - keine platten Anspielungen auf tagespolitische Ereignisse, wohl aber Anzeichen wichtiger Strömungen und großer gesellschaftlicher Veränderungen, die sich mitunter dann doch wieder in konkreten Ereignissen zeigen. "Ein Stoff kommt auf einen zu oder nicht. Bei all meinen Opern war es immer so, dass zum rechten Zeitpunkt auch immer der Stoff auf mich zukam." So wurde, als er 1977 den zweiten Teil des "Lear" schrieb, der mit der Blendung Gloucesters beginnt, in eben jenen Tagen der Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer von Mitgliedern der RAF ermordet. Ähnliches widerfuhr Reimann einige Jahre später erneut: In seiner Oper "Das Schloss" nach dem Romanfragment von Franz Kafka, die 1992 an der Deutschen Oper Berlin uraufgeführt werden sollte, beschreibt die Figur der Olga den bedrückenden und unüberwindlichen Verwaltungs- und Überwachungsapparat, unter dem die Dorfbewohner leiden. Während der Komponist an dieser Szene arbeitete, enthüllten die Medien im Herbst 1991 das ganze Ausmaß der Machenschaften der DDR-Staatssicherheit, das vor allem in Westdeutschland bis dato noch unbekannt gewesen war. "Da hatte ich das Gefühl, das holt mich jetzt alles ein und ich bin plötzlich mittendrin."

"Lear", "Medea", "Melusine" - wenn Reimann von seinen Opern erzählt, wirkt es manchmal, als spräche er von alten Bekannten. "Beim Komponieren bin ich gedanklich meistens auf der Bühne, bei den Figuren, weniger im Orchestergraben. Shakespeare hat die Rollen im ,Lear' so angelegt, dass jeder Charakter so oder so sein kann. Und dadurch ist jede Rolle ein Psychogramm, damit muss man auch stimmlich umgehen. Im 'Lear' gibt es acht Charaktere und jeder ist vollkommen anders, jeder fühlt anders, jeder gibt sich anders und jeder singt anders. Und das ist eigentlich immer das Aufregendste für mich: Diese Charaktere in Musik zu zeichnen. Da muss alles drin sein, vom Ruhigsten bis zur Koloraturschleuder."

Neben seiner Arbeit als Komponist trat Reimann immer auch als Pianist in Erscheinung - auch hier blieb er seiner Passion treu und begleitete vor allem Sänger. Zu den bekanntesten Stimmen, die er bei ihren Liederabenden begleitete, gehörten unter anderem Dietrich Fischer-Dieskau und Rita Streich, Elisabeth Grümmer und Brigitte Fassbaender, Ernst Haefliger und Barry McDaniel. Darüber hinaus unterrichtete er lange Jahre zeitgenössisches Lied, zunächst an der Musikhochschule Hamburg, später an seiner Alma Mater, der Universität der Künste in Berlin. Diese zusätzlichen "Standbeine" ermöglichten es ihm, künstlerisch unabhängig und frei arbeiten zu können und sich Zeit für den Schaffensprozess zu nehmen. Seine jüngste Oper, "Medea", feierte 2010 an der Wiener Staatsoper ihre Uraufführung.

Trotz dieser Ausflüge: Seine Heimatstadt Berlin hat Aribert Reimann nie für längere Zeit verlassen. Seit Jahrzehnten lebt er in seiner weitläufigen Wilmersdorfer Wohnung mit den deckenhohen Bücherregalen, zur Bismarckstraße ist es von hier nur eine kurze Taxifahrt. Anlässlich seines Geburtstags richten nun die drei großen Berliner Opernhäuser ein Sinfoniekonzert für ihn aus, das am 22. März in der Deutschen Oper Berlin stattfinden wird: Neben einer Auswahl seiner eigenen Kompositionen wird die 4. Sinfonie von Jean Sibelius erklingen - auf besonderen Wunsch des Jubilars. Warum gerade dieses Stück? Reimann lächelt und gerät ein bisschen ins Schwärmen. "Für mich ist das die aufregendste von all seinen Sinfonien - ein ganz unglaubliches Stück, allein der Anfang. Schon als ich sie zum ersten Mal hörte, war ich fasziniert und habe mich gleichzeitig zu Hause gefühlt."

Zu Hause fühlt sich Aribert Reimann heute auch wieder an der Deutschen Oper Berlin. Mit dem neuen Kompositionsauftrag nimmt er die langjährige Zusammenarbeit gern wieder auf: Unter dem legendären Intendanten Götz Friedrich und dessen Vorgängern hatte es engen künstlerischen Kontakt gegeben, zwischenzeitlich war die Bindung lockerer geworden. Doch nun, unter Dietmar Schwarz, ist man zurückgekehrt zur bewährten Tradition. "Das ist die Art der Zusammenarbeit, die für mich immer die schönste ist: Man kann immer ins Gespräch kommen, das ist sehr wichtig, besonders bei einer Uraufführung." Inhaltlich möchte er noch nicht über die neue Oper sprechen, das tut er nie, so mitten in der Arbeit. Teile sind bereits fertig, die Inszenierung ist in der Planungsphase - nach der Literatur und Komposition nimmt damit die dritte Kunstform ihre Arbeit auf. Sein Publikum spannt Aribert Reimann noch weitere anderthalb Jahre auf die Folter. Im Oktober 2017 soll es soweit sein.

© Berliner Morgenpost 2018 - Alle Rechte vorbehalten.


Original