"Ich kann nicht glauben, dass ein Film über Menstruation gerade einen Oscar gewonnen hat", schluchztkreischte Rayka Zehtabchi am Sonntagabend ins Mikrofon, Sekunden nachdem die iranisch-amerikanische Regisseurin in der Kategorie "Beste Kurzdokumentation" für ihren Film Period. End of Sentence ausgezeichnet wurde. Ihr Auftritt wurde seit dem Wochenende tausendfach im Netz geteilt und rund um die Welt gefeiert; inszeniert als Befreiungsschlag gegen ein mächtiges Tabu. Und groß ist ihre Zielgruppe: Das Thema ihres Films, die Periode, beschäftigt immerhin 50 Prozent der Weltbevölkerung, etwa alle 28 Tage, vier Jahrzehnte lang.
Bereits in den ersten Minuten ihres Films (deutscher Titel: Stigma Monatsblutung) erlebt der Zuschauer eine Bilderflut der Verlegenheit: "Wisst ihr, was die Periode ist?", werden Mädchen, Jungen, Frauen, Männer im indischen Städtchen Hapur in der Nähe Delhis gefragt. "Ein Mädchen-Problem", setzt eine Schülerin zur Antwort an und ist dann quälend lang ihrer Sprachlosigkeit ausgesetzt. Auch alle anderen schweigen, kichern, glucksen und sagen damit mehr, als sie in diesem Moment der Peinlichkeit können: wofür sie keine Worte finden, dafür ist in ihrer patriarchalen Gesellschaft kein Platz.
In Indien gilt die Frau während ihrer Periode als unrein, wenn nicht sogar als krank. Der Zugang zu Tempeln und damit auch, wenn man so will, zu Gott wird ihnen vielerorts verwehrt - und Schulunterricht zur Tortur, wenn alle paar Stunden ein vermeintlich sicheres Versteck gefunden werden muss, um mit Blut vollgesogene Stofffetzen zu wechseln. Denn von Binden oder anderen Hygieneartikeln wissen viele Inderinnen nichts, und selbst wenn sie hinter vorgehaltener Hand einmal davon erzählt bekommen haben, können sie sich selten welche leisten oder trauen sich nicht, danach zu fragen.
An dieser Stelle lernen wir den indischen Kleinunternehmer Arunachalam Muruganantham, eine Gruppe aufgeklärter Inderinnen und eine Erfindung kennen: eine Billigbinden-Maschine, die ein Stigma, ein Hygiene- und ein Selbstbestimmungsproblem gleichzeitig aus der Welt schaffen soll. Die Umsetzung des "Pad Project" - finanziert durch eine US-amerikanische Universität - begleitet die Netflix-Doku schmale 25 Minuten lang im unaufgeregten Reportageduktus.
In der Filmfachzeitschrift The Hollywood Reporter schrieb ein anonymer "Experte" kurz vor der Oscarverleihung über den Film: "Er ist gut gemacht, aber er handelt von menstruierenden Frauen, und ich glaube nicht, dass irgendein Mann diesem Film seine Stimme gibt - das Thema ist für Männer einfach zu eklig." Man möchte gratulieren zu diesem außerordentlich unbeholfenen Kommentar, denn er beweist: Die weibliche Monatsblutung ist auch über den globalen Süden hinaus noch immer etwas iiihh-haftes und bäääh-kliges. Ein Tabu, wie es im Buche steht, oder eben auch nicht, denn Menstruation findet in der Literatur kaum statt.
Auch hierzulande sprechen die wenigsten Frauen offen über ihre Periode, deren Stigma man sich mit Wortverkrampfungen wie "Erdbeerwoche" oder "rote Welle" vom Leibe halten will. Und jedes Mädchen kennt die ungeschriebene Regel: Wer in der Schule oder beim Sport nach einem, ääähm, Tampon fragt, der flüstert, so leise er kann. Konkret unkonkret geht es auch bei Werbung für Hygieneartikel zu: Periodenblut ist darin ausschließlich azurblau und in blumige Worte verpackt, was schon fast wieder kongruent ist mit der Tatsache, dass Binden und Tampons in Deutschland als Luxusartikel besteuert werden. Ganz und gar unfreiwillige 2000 Euro (Schmerzmittel nicht inbegriffen) kosten Frauen so ihre Tage in ihrem Leben übrigens - und viele Nerven noch dazu. Aber auch darüber spricht man nicht.
Die Netzkultur ist im Umgang mit schambefreiter gelebter Weiblichkeit naturgemäß lauter und progressiver: Auf Instagram posten Userinnen selbstbewusst Fotos von rot befleckten Slips, sie feiern den Menstruationsurlaub, tragen T-Shirts mit ungeschönter Menstruationsillustration, diskutieren über das neue Perioden-Emoji auf WhatsApp und zwitschern sich gegenseitig zu: "Ich menstruiere, also bin ich."
Zwar muss man nicht so weit gehen und die Monatsblutung zum popkulturellen Icon ausrufen. Minimal fair wäre es aber, ihr auch außerhalb von feministischen Frauenzeitschriften und sozialen Netzwerken ein wenig Präsenz zuzugestehen. Wer das verstanden hat, kann eigentlich nur begrüßenswert finden, dass der Film von Rayka Zehtabchi und ihrem Team im vermeintlich fleckenfreien Hollywood ein paar Minuten Ruhm abbekommen hat. Hoffentlich wird dieses ganz normale weibliche Phänomen nun auf Dauer aus der Sprachlosigkeit geflutet.