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Wie aus Feinden Freunde werden

Von Nora Schmitt-Sausen, Charlotte

Bill Clinton genießt bei den Demokraten einen Sonderstatus. Kaum ein anderer wird so respektiert und verehrt, ist so unantastbar. Dem hat auch das kontrollwütige Obama-Lager Tribut zu zollen. Die Rede, die Clinton Mittwochnacht auf dem Parteitag in Charlotte hält, hat sich der Ex-Präsident nicht freigeben lassen, heißt es. Für alle anderen ist es Pflicht. Barack Obama muss Clinton also blind vertrauen. Nicht immer war dies einfach. Doch diesmal gibt es nicht die geringsten Zweifel. Der Ex-Präsident liefert eine derart kraftvolle Fürsprache für Obama ab, dass manchem Delegierten fast die Spucke wegbleibt. Clinton spricht dem Präsidenten leidenschaftlich sein uneingeschränktes Vertrauen aus, zeichnet das Bild des Brückenbauers Obama zurück in die Köpfe der Leute ("Er hat sogar Hillary ins Boot geholt") und gibt die Republikaner mit scharfen Attacken der Lächerlichkeit preis. Dass ihre Pläne nicht funktionieren könnten bewiese simple Mathematik.

"Die republikanischen Argumente gegen die Wiederwahl des Präsidenten waren ziemlich einfach: Wir haben ihm das totale Chaos hinterlassen, er ist noch nicht fertig damit, es aufzuräumen, also feuert ihn und bringt uns wieder ins Spiel", unkt Clinton. Nicht zum ersten Mal hat er mit seinen schwarzen Humoreinlagen die Lacher auf seiner Seite. Clinton stellt klar: Obama habe eine kaputte Wirtschaft geerbt, dem freien Fall Einhalt geboten und den langen, harten Weg zum Aufstieg begonnen. Die Wirtschaftspolitik Obamas sei eine Erfolgsstory. "Kein Präsident", sagt Clinton eindringlich, "hört mir jetzt zu, keiner hätte diesen Schaden in nur vier Jahren vollständig beseitigen können. Auch ich nicht oder irgendjemand vor mir."

Obama braucht Erfolgstypen Clinton

Der 66-Jährige Politveteran stärkt Obama damit an seiner größten Flanke - der anhaltend schwachen US-Konjunktur - wortstark den Rücken. Es könnte keinen Besseren geben, um Obama in Wirtschaftsfragen das Vertrauen auszusprechen. Als Präsident sorgte Clinton für einen ausgeglichenen Haushalt, pries stets das Streben nach Wachstum und die Stärke und das Potential der amerikanischen Wirtschaft. Sein tadelloser Ruf als Wirtschaftsexperte steht Obama in diesen für ihn schweren Zeiten sehr gut zu Gesicht.

Der amtierende Präsident braucht den Erfolgstypen Clinton. Viele Amerikaner verbinden mit Clinton friedliche, wirtschaftlich gute Zeiten. Er regierte in den "Goldenen 90er" und zählt zu den beliebtesten Präsidenten Amerikas. Gar mehr noch: Nie waren seine Beliebtheitsrankings höher als heute. Für den angezählten Obama ist Clinton deshalb unverzichtbar. Auch mit Blick auf die Wahlkampfkasse. Das große Clinton-Netzwerk steht bereit, wenn Bill ruft. Außerdem: Clinton punktet bei konservativeren Demokraten, der Arbeiterklasse, Wechselwählern und Senioren. Genau dort, wo sich Obama schwer tut.

Alte Wunden sind geheilt

Clintons ungetrübte Fürsprache für den amtierenden Präsidenten ist erstaunlich. Denn nicht immer war das Verhältnis der beiden Männer so harmonisch, wie es sich heute darstellt. Viele Demokraten erinnern sich noch sehr genau an den erbitterten Ausscheidungskampf zwischen Obama und Hillary Clinton im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2008. Die harten Geschütze, die Bill Clinton damals auffuhr, um den Rivalen seiner Frau auszustechen. Er titulierte Obama öffentlich als einen Märchenerzähler, höhnte, durch dessen Unerfahrenheit käme seine Präsidentschaft einem Würfelspiel gleich. Selbst rassistische Komponenten schwangen in der unbarmherzigen Auseinandersetzung mit. Nach der Vorwahlschlacht zwischen Obama und den Clintons kehrten einige Parteifreunde Bill irritiert den Rücken zu. Zu scharf hatte Clinton attackiert, zu gnadenlos.

Doch Clinton ist rehabilitiert. So wie seine Frau Hillary, die ihrem einstigen Kontrahenten Obama als Außenministerin ohne Fehl und Tadel loyal dient. Seit den verheerenden Zwischenwahlen im Herbst 2010 ist auch Bill Clinton nach und nach zurück auf Linie gekommen. Clinton und Obama haben sich zaghaft angenähert. Die alten Wunden scheinen geleckt. Heute tingeln sie Seite an Seite landauf landab zu Wahlkampfevents. Clinton spielt die Hauptrolle in Obama-Imagefilmen und Wahlwerbespots.

Auch Obama hat die Hand gereicht. Clintons politischer Instinkt und seine Erfahrung sind im Weißen Haus wieder gefragt. Lange blieb die Tür zum Oval Office für Clinton verschlossen. Inzwischen treffen sich die beiden mächtigen Männer auch abseits der Konferenzräume. Sie spielen gelegentlich eine Runde Golf. Bei Wahlkampfauftritten preist der einst Clinton-kritische Obama die Präsidentschaft seines neuen Gefährten. "Niemand", sagte Obama kürzlich bei einem Fundraising-Event in New York, "hat den besseren Griff und ein besseres Verständnis von Problemen als dieser Mann." Es ist ein tiefer Diener des Präsidenten.

Clinton lässt sich keinen Maulkorb verpassen

Dass Clinton in Charlotte zur besten Fernsehzeit vor einem Millionenpublikum sprechen darf, hat er wiederum Obama zu verdanken. Er wurde auf Wunsch des Präsidenten für den Parteitag ins Boot geholt, berichten die US-Medien. So viel Ehre schmeichelt Clinton. Auch mehr als zehn Jahre nach seinem Abschied aus dem Weißen Haus schnuppert er noch gern politische Luft.

Doch die Nähe zu Clinton ist für Obama nicht nur Chance, sondern auch Risiko. Clinton hat seinen eigenen Kopf und ist bekannt für eigensinnige Manöver. Erst kürzlich pries er Mitt Romney öffentlich für dessen beeindruckende berufliche Karriere - und dabei sind Attacken auf Romneys Vergangenheit als Investment-Manager Kernelement von Obamas Wahlkampf. Ein Bill Clinton lässt sich eben keinen Maulkorb anlegen.

Hillary for president?

Nicht nur wegen solcher Ausfälle mutmaßen einige Beobachter, Clintons Unterstützung für Obama sei letztendlich doch nur ein Dienst an der demokratischen Sache. Eine enge Beziehung zu Obama habe Clinton nach wie vor nicht. Sie seien charakterlich zu unterschiedlich: Hier der eher kühl-reservierte Obama, dort der impulsive Clinton, gern mehr Kumpel-Typ als präsidial. In Charlotte war von dieser angeblichen persönlichen Distanz nichts zu spüren.

Doch sicher ist: Einen Bill Clinton muss man immer auf der Rechnung haben. Erst recht bei diesen Vorzeichen: Hillary Clinton hat angekündigt, im Falle eines Wahlsieges von Barack Obama nicht mehr für das Amt der Außenministerin zur Verfügung zur stehen. Sie sei "müde" und wolle sich ins Privatleben zurückziehen. Oder aber: Sie ruht sich lediglich aus, um 2016 mit Rückendeckung ihres wieder erstarkten Mannes einen erneuten Anlauf ins Präsidentenamt zu nehmen. Das zumindest spekulieren die US-Medien unermüdlich. Wahrlich: Kaum jemand nimmt Hillary Clinton den Wunsch nach Ruhestand ab. Und jeder weiß, dass Bill seine Frau nur allzu gerne auf dem Chefsessel im Weißen Haus sähe.

Bei seiner Rede in Charlotte war Bill Clinton aber schlicht eins: Ein bärenstarker Fürsprecher seines Präsidenten. Dieser kam nach der Rede überraschend auf die Bühne. Die beiden Männer umarmten sich innig, Obama verneigte sich vor Clinton. Genauso wie das frenetisch jubelnde Publikum.

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