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Ich habe einen Spion angerufen - und wollte ihn zum Ausstieg bewegen

Büros verwanzen, Handys tracken und dann einen Martini an der Bar bestellen. Meine Vorstellung von Geheimagenten ist eine Mischung aus James Bond und Stasi – ein paar Vorurteile, viel Unwissen und ein bisschen Angst.

Und plötzlich habe ich die Chance, mit einem echten Spion zu telefonieren.

Ich sitze in einem abgedunkelten Raum, auf jedem Tisch steht ein rotes Kabeltelefon. Gedämpftes Gerede im Callcenter-Singsang, Bleistift auf Papier, eine konzentrierte Atmosphäre. Seit einer halben Stunde bin ich jetzt schon hier, habe den Hörer in der Hand. Neben mir macht sich Immanuel – ein ruhiger Mittvierziger und mein Teampartner – Notizen.

Wir nehmen an einer Aktion des Peng!-Kollektivs teil, "Call a Spy". Das Peng!-Kollektiv ist eine Gruppe von Aktivisten, die mit Kunstaktionen politische Missstände anprangern. "Call a Spy" soll Teilnehmern die Möglichkeit geben, bei Geheimdiensten anzurufen. Angeblich sind alle Kontakte echt.

Wir haben uns falsche Namen gegeben, um unsere Anonymität zu wahren. Ich heiße Luise Weber, Immanuel ist Matthias. “Westliche, christliche Namen schaffen Vertrauen”, gaben uns die Peng!-Mitarbeiter vorab als Tipp.

Intelexit steht für Intelligent Exit – eine Aussteiger-Kampagne für Geheimdienst-Mitarbeiter. Allerdings ist Intelexit ein Fake – hinter der professionellen Aufmache versteckt sich Peng!, die Aufmerksamkeit für die Hinterzimmer-Arbeit von Geheimdiensten schaffen will. "Call a Spy" ist das interaktive Pendant, noch bis Freitag laden die Aktivisten ins Hamburger Kampnagel Theater ein. Auf der Webseite des Theaters kann man sich kostenlos für die Performance, die nur über Spenden finanziert wird, anmelden.

Peng! ist bekannt für polarisierende Aktionen, die mit ihrer medialen Wirkung spielen und für Verwirrung sorgen sollen. Sie inszenierten den angeblichen Kohle-Ausstieg des Energielieferers Vattenfall und kopierten eine Bundeswehr-Homepage. Jetzt sind Geheimdienste dran: Die Teilnehmer rufen bei "Call a spy" mit verschlüsselten Nummern bei dem BND, dem Bundesverfassungsschutz, NSA, FBI, kanadischen, französischen und untergeordneten Geheimdiensten an. Das Gespräch mit angeblich echten Mitarbeitern kann dann jeder selbst gestalten.

Als Anregung bekommen wir Beispielrollen, die wir am Telefon einnehmen können. Mit dabei: Die Austauschstudentin, die nach Praktika fragt; der Unterstützer, der die Aktion verpfeift und sich für Terrorbekämpfung und Sicherheit bedankt; die Aktivistin, die über Ausstiegsmöglichkeiten informiert.

Tatsächlich gibt es einige ehemalige Geheimdienstmitarbeiter, die ausgestiegen sind und später von dem enormen Druck erzählen, den die Arbeit mit sich brachte. Edward Snowden ist wohl die bekannteste Persönlichkeit, die sich von einem Geheimdienst abgewandt hat.

Seit Monaten bereitete das Peng!-Kollektiv die Aktion vor, suchte nach eigenen Angaben online und über die Informanten nach Telefonummern.

Die Aktivisten wollen vor allem vor der Sammelwut der Geheimdienste warnen. Paul, ein Peng!-Mitglied, dessen echter Name nicht bekannt werden soll, warnt: "Durch unkontrolliertes Datensammeln würde am Ende jede Privatperson unter Generalverdacht stehen. Und sogenannte “predictive algorithm" werten Informationen über uns aus und ziehen Schlüsse, die auf Vermutungen beruhen.“

Paul redet weiter, über die Beteiligung bei Kriegen mit Drohnenangriffen, die nur auf unklarem Datenmaterial basieren oder über die undurchsichtigen Strukturen, die die Aufklärung von verstrickten Fällen wie der NSU-Verbrechen so erschweren. Paul sagt: "Man kann den Geheimdienst vergleichen mit einem alkoholsüchtigen Sohn, den man vor sich selbst retten muss. Das geht nur mit Gegenkontrolle."

Genau bei der Gegenkontrolle setzen die Anrufe von "Call a Spy" an. Nach ein paar Fehlversuchen mit Besetztzeichen am anderen Ende der Leitung habe ich einen Partner der deutschen Geheimdienste für Internetsicherheit erreicht. Wer genau mit mir spricht, weiß ich nicht, die Verbindung wird zufällig hergestellt.

"Guten Tag." Kein Name, keine Stelle. "Guten Tag, hier Luise Weber, haben Sie Interesse über die Arbeitsbedingungen bei Geheimdiensten zu reden?" "Nein." Pausenmusik, dann aufgelegt. Mein Partner Immanuel schafft es zwei Sätze weiter, bis sich sein Gesprächspartner verabschiedet.

Andere Teilnehmer sind im Gespräch etwas erfolgreicher. Am Nachbartisch verwickelt ein junger Mann einen Mitarbeiter des BND in ein Gespräch über Praktika und erfährt mehr über die Arbeitszeiten und die Aufteilung der Büros. Persönlichere Nachfragen werden trotzdem abgeblockt. Ich selbst komme kaum voran.

Aber sind die Personen, die ich erreiche, wirklich real?

Schließlich zeichnet sich Peng! ja vor allem durch Fake-Aktionen aus. "Diesmal sind alle Nummern echt", versichert Paul so, dass es überzeugend klingt. Trotzdem: Ob wir als Teilnehmer nicht auch als Teil der Perfomance hinters Licht geführt werden, kann ich nicht überprüfen. Die perplexen Reaktionen auf meine Anrufe wirken authentisch, es könnten aber auch sehr kompetente Schauspieler dahinterstecken.

Aber egal, ob jeder Angerufene echt ist – die Aktion bringt mich zum Nachdenken: Was für Leute sichten hinter verschlossenen Türen die Daten einer ganzen Bevölkerung? Was ist alles über mich bekannt? Und was trägt die Kontrolle zu unserer Sicherheit bei?

Für Paul ist die Antwort klar: "Natürlich kann Überwachung präventiv sein. Aber wenn es um Sicherheit geht, sollte man sich die größeren Zusammenhänge anschauen. Wie sehen Handelswege aus, wer wird ausgebeutet?" Nicht versuchen, das Leben des Einzelnen, sondern das System zu durchschauen und auf diese Weise gegen Ungerechtigkeiten kämpfen – so stellt sich Paul einen sinnvollen Geheimdienst vor.

Zum Ende ermutigen uns die Mentoren, in den kommenden Gesprächen eine Frage zu stellen, die uns etwas bedeutet. Immanuel erreicht den Militärabschirmdienst. “Ich wollte fragen, ob Sie Interesse hätten, von Ihrem Job auszusteigen." Kurze Pause, dann die ausweichende Antwort: "Sie bringen uns hier in Bredouille.” “Warum?" “Weil sich hier niemand dazu äußern darf." "Belastet Sie das?” “Nein!" Das “Nein" klingt nicht besonders entspannt.“

Nach einer Stunde bin ich geschafft und ein bisschen froh, dass die Konfrontation am Telefon nun vorbei ist. Aber ich bin auch nachdenklich. Wer weiß, ob jemand nach einem überraschenden Anruf innegehalten, sich umgeschaut und plötzlich seine Arbeit hinterfragt hat. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.

Immerhin habe ich etwas gelernt. Meine Vorurteile bestehen immer noch, aber dazu kommt ein Bewusstsein, was Geheimdienste für mein Leben bedeuten. Und wenn ich doch einmal einem Martini trinkenden Agenten über den Weg laufen sollte, bleibe ich ganz unbeeindruckt. Denn ich habe ja schon mit einem echten Spion telefoniert.

 

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