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Klassenkampf rebooten

Seit Anfang des neuen Jahrtausends ist die Rede vom digitalen Kapitalismus. Auf linken Veranstaltungen, in Feuilletons und auf hip-getrimmten Panels irgendwelcher Telekommunikationsfirmen wird über ihn diskutiert. Digitaler Kapitalismus, das klingt catchy und ruft Bilder hervor: Man denkt an die Konzernzentralen von Google und Facebook im Silicon Valley. Notebooks, Smartphone und andere hippe Technik-Gadgets fallen genauso so mühelos ein wie selbstfahrende Autos, Uber-Apps und Airbnb-Wohnungsangebote. Wir hören, dass die Arbeit verschwindet, sie wird prekär oder immateriell, und die Roboter werden uns ersetzen.

Auch in den deutschen Feuilletons wird das Thema durchaus kritisch diskutiert. Die Autor_innen stellen sich Fragen wie: Wird mein Leben noch prekärer, wenn die Sharing Economy das Private jetzt auch noch zum Beruflichen macht? Kann ich mir in meiner Nachbarschaft bald keine Wohnung mehr leisten, wenn noch mehr Ferienwohnungen über Airbnb vermietet werden? Was macht Facebook mit meinen Daten? Haben wir dank der technischen Tools eigentlich nie Feierabend, und wann stoppt Twitter die Trolle? Die Fragen spiegeln meistens jedoch nur das Milieu derjenigen wieder, die da diskutieren, und reichen sehr selten darüber hinaus.

Vielleicht ist Digitaler Kapitalismus ja auch ein irreführender Begriff, weil er suggeriert, es sei ein anderer Kapitalismus, einer, der nur irgendwie mit Apps, Smartphones und technischen Tools zu tun hätte, einer, der cooler, neuer und hipper ist. Die Bücher linker Autor_innen, die zum Thema erscheinen, tragen zur Verwirrung bei, weil sie immer nur Phänomene in den Blick nehmen. Noch schwieriger wird es, wenn Krisen und Kämpfe auf den ersten Blick gar nichts damit zu tun haben, wenn es zum Beispiel um das Elend der Geflüchteten weltweit oder die Gentrifizierung im eigenen Stadtbezirk geht.

Politische Kämpfe geben schon lange keine Antwort mehr, und nicht nur das: Oft findet mehr ein Gegeneinander als ein Miteinander statt. Statt Kollektivierung reibt man sich untereinander und streitet erbittert darüber, welcher Kampf mehr Berechtigung hat. Wer in der linken Geschichte zurückblickt, weiß, wieso das so ist: Als der Industriekapitalismus noch ein klassenkämpferisches Subjekt hatte, den meist weißen, meist männlichen, meist heterosexuellen Arbeiter, waren alle anderen von diesen Kämpfen weitgehend ausgeschlossen. Viele Linke wollen zwar zu Recht diese Fehler nicht wiederholen und versuchen in ihren Kämpfen nicht rassistisch, homophob oder sexistisch zu sein. Doch dabei bleibt es dann auch oft. Vereinzelt gibt es natürlich aber auch heute Proteste, die Hoffnung machen, wie gerade in Frankreich die Streiks und Versammlungen gegen das neue Arbeitsgesetz, doch auch sie bleiben letztlich ohne Anschluss, vereinzelt und folgenlos.

Die Geschichte der kybernetischen Revolutionen

Doch was sollen wir tun? Einer, der versucht darauf eine Antwort zu geben, ist Nick Dyer-Withford in seinem Buch „Cyber-Proletariat". Dyer-Withford nennt seine Schrift selbst an einer Stelle eine „whirlwind tour of the cybernetic vortex" (S. 129), eine wirbelsturmartige Reise durch den kybernetischen Vortex, und beschreibt damit präzise das Gefühl, das einem beim Lesen oft überkommt. Es ist tatsächlich sehr schwer, all das, was Dyer-Withford an Zusammenhängen aufmacht, in eine Besprechung zu packen, solch eine Tour de Force leistet er in seinem Buch. Auf knapp 205 Seiten versucht er die Versäumnisse anderer linker Autor_innen und Konzepte wettzumachen, eine gültige und allumfassende Analyse aktueller kapitalistischer Verhältnisse zu leisten, die Geschichte der kybernetischen Revolution in sämtlichen Facetten zu umreißen und auch noch vergangene, aktuelle und zukünftige Kämpfe dazu in Beziehung zusetzen. Wer also eine Einführung in diese Themen oder einen Überblick zu ihnen sucht, ist hier gut aufgehoben.

„Cyber-Proletariat" beeindruckt aber nicht nur aufgrund der angestrebten Vollständigkeit, sondern wegen der Zusammenhänge, die Dyer-Withford herstellt. Die sogenannte kybernetische Revolution begann zur Zeit des Kalten Krieges im militärisch-industriellen Komplex der Vereinigten Staaten. Die Automatisierung, die gerade wieder heiß debattiert wird - zum Beispiel von deutschen Unternehmen unter dem Stichwort Industrie 4.0 oder von Linken, die sich davon etwas versprechen, unter dem Stichwort „FullyAutomatedLuxuryCommunism" - hat damals schon angefangen. Der industrielle Kapitalismus begann damals, menschliche Arbeitskräfte zu ersetzen, in Büros, in Fabriken, eigentlich überall dort, wo es Forschung und Technik zuließen. Zugleich fand in den westlichen Staaten ein Prozess statt, der unter Outsourcing bekannt wurde: In den Industrieländern wurden Arbeitsplätze an Externe vergeben, die man nicht festanstellen musste, während ein großer Teil der Produktion in sogenannte Billig-Lohn-Länder verlegt wurde.


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