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Weiblichkeit und Glatze? Ist kein Widerspruch!

Lange Haare waren früher ihr Markenzeichen, heute posiert Sunniva Ferri mit Glatze: Die 24-Jährige geht offen mit ihrer Alopezie, einer Autoimmunerkrankung, um und will mit Stereotypen brechen.

Scrollt man durch ihren Instagramfeed, sieht man eine selbstbewusste, schöne junge Frau. Mal ist sie auf Reisen, teilweise posiert sie mit anderen Personen. Oft trägt Sunniva Ferri auf ihren Fotos ein Tuch als Turban auf ihrem Kopf.

Es ist ihre "Lieblingsfrisur", sagt die 24-jährige Deutsche, seit sie 2015 ihre gesamten Körperhaare verloren hat. Wimpern, Augenbrauen, ihre lange blonde Mähne. Doch ihren kahlen Kopf versteckt Sunniva auf Social Media mittlerweile nicht mehr - sie geht offen mit ihrer seltenen Autoimmunerkrankung, einer sogenannten Alopezie, um.

(c) Pia Spring

Damit will sie vor allem jenen Frauen Mut machen, die in kein klassisches Schönheitsideal passen. Denn zu Beginn ihrer Erkrankung war es auch für Sunniva nicht einfach, sich als junge Frau von gesellschaftlichen Normen und Vorurteilen abzugrenzen. In ihrer Jugend galten ihre langen Haare als ihr Markenzeichen. Plötzlich war genau das nicht mehr da.

"Die ganze Geschichte hat auch eine gewisse Ironie", so die 24-Jährige, die derzeit in der Nähe von Frankfurt wohnt. "Bis vor einigen Jahren war ich 'Die mit den langen blonden Haaren'. Heute bin ich 'Die ohne Haare'." Sunniva erinnert sich an die erste Zeit mit der Alopezie: "Es fiel mir schwer, in den Spiegel zu schauen. Alles, was ich sah, war das Gegenteil von dem, was zu diesem Zeitpunkt 'schön' für mich bedeutete."

Zusehen, wie sich der eigene Körper verändert

Angefangen hat es kurz nach ihrem 18. Geburtstag. "Da entdeckte ich zum ersten Mal eine kleine kahle Stelle an meinem Hinterkopf. Zu dieser Zeit spielte ich Basketball in der Deutschen Nationalmannschaft und der ersten Bundesliga, steckte gerade mitten im Abitur und privat war auch noch einiges los", erzählt die angehende Masterstudentin. Bald nahmen die kahlen Stellen zu, nach zwei Monaten hatte Sunniva so gut wie alle Haare an ihrem Körper verloren. "Das war sehr unangenehm. Zuzusehen, wie der eigene Körper sich in kurzer Zeit verändert und nichts dagegen tun zu können", erinnert sie sich rückblickend. Als Krankheit will Sunniva die Alopezie nicht bezeichnen, "denn körperlich bin ich nach wie vor kerngesund. Daher war auch die Diagnose nicht einfach zu verarbeiten."

Die Ursachen für die Autoimmunerkrankung sind wenig erforscht und meist individuell. Die ehemalige Spitzensportlerin vermutet in ihrem Fall Stress als Auslöser: "Mein Körper hat mir retrospektiv betrachtet durchaus immer wieder Signale geschickt, kleine bis ernste Verletzungen beim Sport zum Beispiel. Ich habe mich aber lange dagegen gesträubt, die deutlichen Zusammenhänge meiner körperlichen und mentalen Gesundheit zu sehen." Mit der Diagnose war sie letztendlich gezwungen, radikal etwas an ihrem Lebensstil zu verändern, einen Gang zurückschalten. In diesem Moment war es wichtig für sie, Abstand zu gewinnen - vor allem zum Leistungssport.

"Ich musste ein neues Bild von mir entwerfen"

"Ich wollte zu Beginn auf gar keinen Fall, dass irgendjemand von diesen Veränderungen erfährt", erzählt Sunniva. Ein Grund für ihre frühere Unsicherheit war ihrer Meinung nach, dass es kaum Bilder von haarlosen Frauen in der Öffentlichkeit gibt, die nicht mit Krankheit, Krebs oder Chemotherapie assoziiert werden. "Glatze und junge Frau passte in meinem Kopf überhaupt nicht zusammen. Das Wort war für mich überwiegend negativ konnotiert - eigentlich zu unrecht." Als sie gemeinsam mit einer Freundin dennoch beschloss, ihre restlichen Haare abzurasieren, fühlte sich das gleichzeitig befreiend an: "Das erste Mal konnte ich wieder entscheiden, wie es für mich weitergeht."

Um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, entschied sich Sunniva von da an, offen mit ihrer Alopezie umzugehen. Auch, weil ihr die Vorbilder fehlten: "Ich kannte keine anderen Frauen, die ihre Haare verloren hatten. Ich musste mein eigenes Bild entwerfen. Ein neues Bild. Von mir. Und damit wollte ich so schnell wie möglich beginnen." Heute will die 24-Jährige selbst ein positives Beispiel für andere Frauen mit ähnlichen Schicksalsschlägen sein und natürlich auch Awareness für das Thema Alopezie schaffen.

"Die eigene Schönheit zu erkennen geht nur, wenn wir verstehen, dass diese nichts mit den Vorstellungen anderer zu tun hat."

Gesellschaftliche Normen durchbrechen

Dazu zählt auch, Weiblichkeit neu zu definieren und den Blick nach innen zu richten. So habe Frausein für die Studentin mittlerweile weniger mit äußeren Merkmalen zu tun, als viel mehr mit Charaktereigenschaften. "Weiblichkeit ist ja nur das Abbild von bestimmten Normen und Eigenschaften, die Frauen zugeschrieben werden. Wir leben in einer Gesellschaft, die es Menschen, die 'anders' aussehen, schwer macht, sich selbst zu akzeptieren", kritisiert die ehemalige Spitzensportlerin. Den eigenen Selbstwert und die eigene Schönheit zu erkennen gelinge ihrer Meinung nach nur, wenn wir verstehen, dass diese nichts mit dem Bild und den Vorstellungen anderer zu tun haben.

Glatze und junge Frau passt sehr wohl zusammen

Indem sie sich als junge Frau mit Glatze öffentlich positioniert, will die 24-jährige Deutsche zeigen, dass man sich auch ohne Haare feminin fühlen darf. "Wenn man sich eine schöne Frau vorstellt, welches Bild erscheint einem vor Augen? Wahrscheinlich eine Frau mit langen Haaren, dichten Wimpern und vollen Augenbrauen. Viele Betroffene leiden enorm darunter und verstecken sich aus Angst, nicht akzeptiert zu werden. Nicht mehr 'feminin genug' zu sein", erklärt Sunniva. Auf Social Media möchte sie zeigen, dass es auch schöne, selbstbewusste Frauen mit Glatze gibt, die ein ganz normales Leben führen können.

Ob ihre Haare irgendwann wiederkommen werden, weiß Sunniva nicht. "Wenn es so ist, freue ich mich natürlich, aber ich warte und hoffe nicht." Seit ihrer Alopezie-Diagnose habe sie auch einiges im Leben gewonnen, sagt sie: "Wenn ich eins gelernt habe, dann, dass Veränderung gut ist. Veränderung bringt neue Chancen und hält uns in Bewegung. Und oft ist sie positiver als wir es uns zu Beginn vorstellen können."

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