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Computer und die Moral: Philosophische Nachhilfe für Nerds

Vor der Idee stand das Dilemma: „Vor ein paar Jahren wurde ich für ein Forschungsprojekt angefragt. Es ging um eine Technologie zum Zertrümmern von Weltraumschrott", sagt Holger Hermanns, Informatik-Professor an der Universität des Saarlandes. Eigentlich eine gute Sache, schließlich rast tonnenweise Schrott durch das All und stellt eine Gefahr für Raumfahrzeuge dar. Trotzdem zögerte der Wissenschaftler. „Es lag auf der Hand, dass man die Technologie auch für andere Zwecke hätte verwenden können. Etwa für den Abschuss feindlicher Satelliten", sagt er. Was also tun: zusagen oder absagen?

Auf der Suche nach Antworten stieß der Informatiker in seinem Fachbereich schnell an Grenzen. Mehr als erstaunte Blicke und ratloses Schulterzucken waren nicht zu holen. „Informatiker sind hochspezialisiert. Sie interessiert vor allem, wie eine Technologie funktioniert. Aber über die Folgen ihrer Nutzung machen sich die wenigsten Gedanken", sagt Hermanns. Ein gutes Beispiel dafür sei der Abgas-Skandal: Informatiker und Ingenieure wollten genau verstehen, wie die Schummel-Software arbeitet, die Folgen für Fahrzeughalter und Gesellschaft aber interessierten sie kaum. Genau diesen Scheuklappen wollte Hermanns entgehen - und landete mit seinem Weltraumschrott-Problem an der philosophischen Fakultät.

Keine schnellen Punkte zu holen

Dort trifft er auf den Doktoranden Kevin Baum. Er hat Abschlüsse in Informatik und Philosophie und ist sofort Feuer und Flamme, über das Thema zu diskutieren. Im Gespräch stellen die beiden Wissenschaftler schnell fest, wie stark sich die Fächer überschneiden. Und wie groß der Bedarf an einer ethischen Einordnung von technischen Möglichkeiten ist. Ist die Vorratsdatenspeicherung moralisch haltbar? Sollte Künstliche Intelligenz Rechte haben? Wer ist verantwortlich, wenn ein autonomes Fahrzeug einen Unfall baut? Gibt es moralisch legitimiertes Hacken? Und was soll man tun, wenn eine Technologie mit guten und schlechten Absichten genutzt werden kann?

Dieses sogenannte Dual-Use-Dilemma taucht im Alltag von Informatikern häufig auf. Für Holger Hermanns kam es in Form des Weltraumschrotts daher, aber man muss nicht lange nach weiteren Beispielen suchen: Autonome Systeme für Fahrzeuge etwa taugen auch für autonome Waffensysteme. Doch darauf vorbereitet sind Informatiker in der Regel nicht. Aus der Begegnung der beiden Wissenschaftler entsteht deshalb eine Idee: Sie wollen eine Ethik-Vorlesung für Informatiker auf die Beine stellen. Sie soll technische mit philosophischen Aspekten verknüpfen, ethische Fragen diskutieren und Studenten für ihre Verantwortung sensibilisieren. „Schließlich findet Informatik längst nicht mehr im luftleeren Raum statt, sondern gestaltet unsere Gesellschaft", sagt Baum. Im Sommersemester 2016 steht die Veranstaltung erstmals im Vorlesungsverzeichnis, heute hat sie dort einen festen Platz.

Das Interesse ist von Anfang an groß, der Zulauf enorm. „Die Veranstaltung hat einen Nerv getroffen, denn im deutschsprachigen Raum findet das Thema bisher wenig Beachtung", sagt Baum. Die beiden wollen den Studenten deshalb eine Art Werkzeugkasten mit auf den Weg geben: „Sie sollen lernen, ihr eigenes Handeln zu hinterfragen, ethische Probleme zu erkennen und kompetent mit ihnen umzugehen." Dafür geht es in der Vorlesung zunächst um moralphilosophische Grundlagen. „Bei ethischen Fragen hat man oft ein intuitives Gefühl. Aber darauf sollte man sich nicht verlassen, sondern das Thema klar und präzise durchdenken", sagt Hermanns. Geübt wird das mit der Diskussion praktischer Beispiele. „Viele Studenten sind überrascht, wie anstrengend philosophisches Denken ist", sagt Hermanns. „Aber mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass es bei uns keine schnellen Creditpoints zu holen gibt."

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