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7 Calisthenics-Übungen für Boulderer

Front Lever, Human Flag oder Pistol-Squats heißen Klassiker des Calisthenics-Trainings. Klingt anstrengend, ist es auch. Glücklicherweise kann man das Ganze unter diesem Hardcore-Level angehen, und weil es angeblich viel fürs Bouldern bringt, haben wir im Pfungstädter Studio Bloc eine Stunde mit Bewegungsprofi Till Brieskorn gebucht. Dort haben wir uns zum Affen und zum Frosch gemacht, hatten jede Menge Spaß - und anschließend ganz schön Muskelkater.


Till, ich musste vor diesem Interview erstmal das Wort 'Calisthenics' googeln. Für den Fall, dass es manche Leser auch nicht kennen: Kannst du kurz erklären, was das ist? Klar! Calisthenics ist eine Trainingsform. Der Begriff kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „gute Kraft". Und genau darum geht es: gute, funktionale Kraft - quasi das Gegenteil von Fitnessstudio-Muckis, die nur der Optik dienen. Um sie zu erlangen, wird vor allem mit dem eigenen Körpergewicht trainiert. Es braucht keine Geräte oder viel Firlefanz, nur Hilfsmittel wie eine Klimmzugstange oder Turnringe kommen zum Einsatz. Ein Großteil der Übungen funktioniert aber ohne jedes Zubehör. Das hat den großen Vorteil, dass man immer und überall trainieren kann und viele Übungen gut in den Alltag integrierbar sind.

Wie bist du denn dazu gekommen? Ich mache seit meinem 14. Lebensjahr Parkour. Nach dem Abi bin ich während einer Neuseelandreise außerdem zum Klettern gekommen. Was soll ich sagen? Ich liebe beides! Später habe ich dann während meines Sportstudiums Calisthenics auf Youtube entdeckt. Meinen Körper zu trainieren und zu spüren, hilft mir für beide Sportarten und verbindet sie zugleich irgendwie. Ich habe einfach enorm viel Spaß an kontrollierten, ästhetischen Bewegungen und einem Körper, mit dem ich alles Mögliche anstellen kann.

Wir wollen eigentlich vor allem bouldern. Was bringt Calisthenics für die Wand, ob Plastik oder Fels? Vereinfacht gesagt: einen starken Schultergürtel. Und der ist essenziell für echte Fortschritte beim Bouldern. Calisthenics trainiert diese Partie ideal und eignet sich daher gut als ergänzende Trainingsform. Außerdem geht es beim Klettern ja meist um drei Dinge: verletzungsfrei bleiben, mehr Power entwickeln und die eigenen Grenzen ausloten. Das Training abseits der Wand hilft dabei, diese Ziele zu erreichen. Ein weiterer Vorteil: Calisthenics ist ein ganzheitlicher Ansatz. Viele Kletterer unterschätzen zum Beispiel total, wie wichtig ein starker Rumpf und eine bewegliche Hüfte sind. Viel Kraft und Antrieb kommen aber nun mal aus Rumpf, Hintern und Beinen, auch beim Bouldern. Und dann wäre da noch die Sache mit der Greifkraft. Die baut man natürlich vor allem durch vielseitiges Griffe-Halten an einem Hangboard auf. Was jedoch nach meiner Erfahrung genauso wichtig ist, sind superstarke Handgelenke. Die bekommt man am besten durch Übungen an Turnringen und Eisenstangen kombiniert mit Handständen und Liegestütz.

Stimmt es, dass sich mit Calisthenics zudem auch die Regeneration verbessern lässt? Absolut. Da wir dank des einfach zugänglichen Hallenkletterns oft an unser Limit gehen, ist es wichtig, Überlastungen vorzubeugen. Wenn wir uns bei einer Session in der Woche mehr auf unseren Trainingsfortschritt als auf herausfordernde Routen konzentrieren, ist schon viel gewonnen. Ein weiterer Pluspunkt: Durch Calisthenics können wir Kraft, Beweglichkeit, Stabilität und Körperspannung auch dann erhalten und verbessern, wenn wir mal längere Zeit nicht in die Vertikale kommen. So ist man gut vorbereitet, wenn es das nächste Mal an der Wand wieder darum geht, Vollgas zu geben. Übrigens: Auch wenn es viele Kletterer nicht gerne hören: Wer sich zwischen den Klettersessions nicht gut erholt, sollte Ausdauertraining in Betracht ziehen. Lokale Muskelkraftausdauer, also hohe Wiederholungszahlen leichterer Varianten am Ende des Workouts, sowie Grundlagenausdauer durch Schwimmen, Laufen und Radfahren sind die Mittel der Wahl, um sich schneller zu erholen.

Überzeugt. Trotzdem: Manche der Übungen sehen ziemlich Hardcore aus. Eignet sich das Ganze überhaupt für Einsteiger? Auf jeden Fall! Es gibt Übungen für jedes Level und man kann sich kontinuierlich weiterentwickeln. Genau das macht gutes Training aus: die Möglichkeit, sich stetig zu verbessern und sich immer neue Ziele setzen zu können, während das Anliegen gleich bleibt. Ob man sich einen Klimmzug erarbeiten muss oder an der Human Flag arbeitet, ist dabei egal. Human Flag und Co. sind ja ohnehin nur die Königsklasse. Mit Varia­tionen der Basics, wie Liegestütz, Klimmzüge, horizontales Rudern, Squats und Dips kommt man schon sehr weit. Wichtig ist vor allem, die Übungen regelmäßig und sauber auszuführen. Ein Leitsatz des Calisthenics-Trainings lautet: Man trainiert eine Bewegung, keine Wiederholung.

Okay, genug Theorie! Kommen wir zu den Übungen, die du uns mit auf den Weg gegeben hast ... Übung 1: Die Hocke

Was bringt's? Die Hocke klingt erstmal banal, aber in unserem Alltag nutzen wir diese Haltung so gut wie nie. Dabei wäre das sinnvoll, denn sie fördert die Hüftbeweglichkeit ungemein und ermöglicht uns überhaupt erst, im vollen Bewegungsumfang Kraft zu entwickeln. Das hilft, beim Bouldern mehr Schub bei Sprüngen zu bekommen und höher anstehen zu können. Achtet bei der Ausführung unbedingt darauf, dass Knie und Zehen in dieselbe Richtung zeigen.

Wie geht's? Na, man geht halt in die Hocke: Knie seitlich abwinkeln, Hintern Richtung Boden, Rücken gerade lassen, Ellbogen auf den Knien ablegen.

Variationen? Auf die Zehenspitzen stellen und die Sprunggelenke kreisen ist ein super Warmup und gut für mehr Balance. Wer mag, kann versuchen, die Knie zusammen zu bringen oder die Beine nach außen zu ziehen. Auch super: Den Oberkörper zwischen den Beinen nach unten beugen, um ihn dann wieder ganz gerade aufzurichten - das bringt die Wirbelsäule in Bewegung.

Übung 2: Die Schubkarre

Was bringt's? Diese Übung ist super für die Körperspannung und beansprucht den Bauch bis in die tiefen Schichten der Muskulatur. Ergänzend werden Schultern und Arme gestärkt.

Wie geht's? Die Übung funktioniert nur zu zweit. Geht dazu mit den Armen in die Liegestützposition, während der Partner die Fußknöchel greift. Dann lässt er abwechselnd kurz ein Bein los, damit man das Körpergewicht neu austarieren muss.

Variationen? Schwieriger wird es, wenn ohne Vorwarnung und festen Rhythmus ein Bein losgelassen wird, und man versucht, es trotzdem in der Luft zu halten.

Übung 3: Treppenlaufen

Was bringt's? Diese Übung kann wirklich jeder in den Alltag einbauen und damit gleichzeitig Kraft, Balance und Koordination schulen. Sie sieht sehr simpel aus, hat es aber in sich. Im Grunde geht es darum, eine Treppe in Zeitlupe hoch- oder runterzulaufen und dabei die Bewegungen etwas zu übertreiben.

Wie geht's? Die Arme sind nach vorne ausgestreckt, um das Balancieren auf einem Bein zu erleichtern. Ein Bein anheben und ein bis drei Stufen weiter oben aufsetzen, dann den Körper ganz langsam nachholen. Dabei drauf achten, dass du dich nicht aus der Wade hochdrückst, sondern ausschließlich aus dem Oberschenkel und Po. Beim Runtersteigen auf einem Bein langsam in die Hocke gehen und weiter unten die Ferse des anderen Fußes aufsetzen. Der gesamte Bewegungsablauf ist langsam und kontrolliert. Die Übung ist extrem anstrengend und am Anfang oft wackelig - aber der Effekt ist enorm. Und es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, was sie fürs Bouldern bringt. Schließlich muss man dabei oft sehr kraftvoll auf einem Bein aufstehen.

Übung 4: Affenwalk

Was bringt's? Diese Übung eignet sich hervorragend, um den Schultergürtel und die Hüfte vor dem Bouldern aufzuwärmen. Man braucht viel Platz und wenig Schamgefühl, aber sie ist sehr effektiv und anstrengender, als sie aussieht.

Wie geht's? In die Hocke gehen und die Arme seitlich versetzt neben dem Körper aufsetzen. Gewicht auf Hände und Schulter verlagern, Beine abdrücken und die Füße hinter den Armen vorbei schwingen und wiederum seitlich neben den Armen aufsetzen. Arme lösen, wieder seitlich versetzt platzieren und sich so mit einer schnellen und flüssigen Bewegung seitlich fortbewegen. Dabei die Hüfte möglichst nah am Boden lassen. Je zehn Meter in beide Richtungen, und ihr seid gut warm.

Variationen? Die Beine immer länger und höher vom Boden abheben und länger auf den Händen balancieren.

Übung 5: Frogger

Was bringt's? Der 'Frogstand' (oder auch Krähe) ist eine super Balanceübung und verschafft den Armen und Handgelenken einen Ausgleich zur üblichen Boulderbelastung. Das Ziel ist, eine Minute auf den Händen zu balancieren. Die Übung ist nicht nur eine prima Vorbereitung für den Handstand, sondern auch eine gute Herausforderung für Kletterer.

Wie geht's? In die Hocke gehen und die Hände schulterbreit vor die Füße setzen. Leicht nach vorne neigen, die Schenkelinnenseiten auf den Ellbogen abstützen und die Füße vom Boden abheben. Wem das Ganze zu wackelig ist, der kann sich ganz nah an eine Wand stellen und sich mit den Fußspitzen abstützen. Sobald die Füße schweben, gilt es eine gewisse Stabilität in die Haltung zu bringen. Vorsicht: Nur mit aufgewärmten Handgelenken durchführen!

Variationen? Mit den Füßen an der Wand hochlaufen, um den Handstand vorzubereiten.

Übung 6: Sausage Rolls

Was bringt's? Reichlich Körperspannung und Training für die Körpermitte, Koordination und Kontrolle. Nicht täuschen lassen: Diese Übung ist deutlich schwerer, als sie sich anhört.

Wie geht's? Flach auf den Rücken legen und Arme nach hinten ausstrecken. Hände und Füße leicht vom Boden anheben. Dann ganz langsam und nur mit Körperspannung über die Seite auf den Bauch rollen. Dabei den Boden weder mit Armen noch mit Füßen berühren und auf langsame, kontrollierte Bewegungen achten. Auf diese Art fünfmal in die eine und dann fünfmal in die andere Richtung rollen. Schwung ausnutzen ist verboten!

Übung 7: Hangwaage oder Vorstufe

Was bringt's? Spannung für den Unterbauch, Kraft und Beweglichkeit für den Schultergürtel. Diese Übung fordert den gesamten Oberkörper und ist sinnvoll, um ein gesundes Verhältnis von Griffkraft zu Körpergewicht und von Rumpfkraft zum Gewicht der Beine zu bekommen. Kurzum: Die ideale Vorbereitung für Dächer und überhängende Routen oder Boulder.

Wie geht's? Bei der perfekten Hangwaage schwebt der gesamte Körper parallel zum Boden und im 45-Grad-Winkel zu den Armen. Diese bleiben dabei lang, die Schultern straff. Allerdings erfordert es einiges an Training, um diese Übung zu schaffen. Das Gute: Auch der Weg dorthin hilft, wichtige Muskeln zu trainieren. Am einfachsten tastet man sich nach dem Paket-Prinzip an die Übung heran, also klein zusammengekauert. Denn je kleiner der Hebel, desto leichter der Bewegungsablauf. Dafür einfach an Turnringe, eine Klimmzugstange, Bälle oder ein Griffbrett hängen. Die Hände sollten satt greifen können, es geht hier nicht um Fingerkraft. Beim Hängen darauf achten, dass die Schulterblätter Richtung Hüfte fixiert sind und stabil bleiben. Nicht schlapp in den Gelenken hängen, sondern Spannung aufbauen - das gilt übrigens auch für normale Klimmzüge und Co. Dann mit einer langsam fließenden Bewegung die Hüfte beugen und die Knie zu den Hände ziehen. Die Füße langsam und kontrolliert zwischen den Armen hindurch nach hinten bringen, bis es spürbar unangenehm wird. Hier kann man einige Sekunden aushalten, um seine Schultern zu stärken und die Brust zu dehnen. Atmen nicht vergessen - und ganz langsam wieder die komplette Bewegung zurück in die Ausgangsposition ausführen.

Zu schwer? Diese Übung klappt nicht bei allen auf Anhieb, denn sie erfordert bereits ein gewisses Maß an Kraft und Körperspannung. Wer es einfacher braucht, kann erstmal an einer Stange hängen, mithilfe eines kleinen Hüpfers die Füße zwischen die Hände bringen und sich als Paket wieder ablassen. Manchmal braucht es auch ein wenig Unterstützung durch einen Helfer, um erstmal ein Gefühl für den Bewegungsablauf zu bekommen - schließlich hängt nicht jeder Kletterer gern kopfüber an seinen Händen.

Tipp: Handposition

Bei allen Armbalancen wie dem Frogger oder Handstand sollten die Finger gespreizt sein und einzeln aktiv auf den Boden drücken. Dadurch wird das Handgelenk entlastet.

Die Autorin Nina Himmer kann von Felsen nicht genug bekommen, ist aber ein Trainingsmuffel. Aus der Calisthenics-Stunde hat sie trotzdem viel mitgenommen und wurde in der Münchner U-Bahn schon auf ihre komische Art, Treppen zu steigen, angesprochen. In der Stadt lebt die freie Journalistin, wenn sie nicht durch Klettergebiete reist und darüber auf hochmut.de schreibt.

Auch Lust bekommen? Ihr wollt das auch mal ausprobieren? Das Training kostet sechs Euro pro Nase und findet im Studio Bloc in Pfungstadt statt - aktuell nur auf Nachfrage. Weil Pfungstadt nicht für jeden um die Ecke liegt, haben wir Till auch noch nach YouTube-Inspiration gefragt. Seine Lieblingskanäle sind 'Training4climbing', 'Calisthenicmovement' und 'Strong&Flex'. Dort finden sich auch gute Anfängerübungen.

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