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Die Meister des Workflows

Aufbau, De Gruyter, Cornelsen: Hersteller sind die Treiber der digitalen Revolution.

Die Hängeregister, die in vermutlich nicht allzu ferner Zukunft aus ihrem Büro verschwinden werden, erinnern Katrin Jacobsen an ihre Anfänge als Herstellerin. Schöne Bücher wollte sie machen, die „Initialzündung“ erlebte sie in München, bei Schirmer Mosel. Richtig „auf Spur gesetzt“ hat sie später in Frankfurt Wilfried Meiner, der legendäre Herstellungsleiter von S. Fischer. Von ihm hat sie viel gelernt, „all die Sachen, die uns im Verlag unentbehrlich machen, die kein Computer kann“. Es folgte die erste Leitungsfunktion bei Umschau, dann machte sich Jacobsen, neun Jahre lang, als Herstellungsleiterin der Büchergilde Gutenberg mit schönen Büchern einen Namen. Die Arbeit, vor allem die mit den Künstlern, die bei ihr aus- und eingingen, war „ein Traum“. Doch auf ewig wollte sich Jacobsen nicht in Büttenseligkeit einrichten. Als Aufbau sie 2013 mit der Möglichkeit, perspektivisch die Herstellungsleitung der Verlagsgruppe zu übernehmen, an den Berliner Moritzplatz lockte, konnte sie einfach nicht „Nein“ sagen: Zu reizvoll die Aufgabe; ein Spektrum, das vom Taschenbuch bis zum (inzwischen auf Eis gelegten) Metrolit Verlag, der Anderen Bibliothek und den Bildbänden der Edition Braus reicht – von schnellem Output, Kampf um jeden Cent und Workflow-Optimierung bis zu bibliophiler Manufakturarbeit, der sinnlichen Komponente, wegen der sie sich einst für ihr Fach entschieden hatte. Dass sie als Herstellungsleiterin noch selbst gestaltet, wäre in einem großen Konzernverlag kaum denkbar. „Ich habe das schöne Buch nicht verlassen“, sagt Jacobsen, „kann aber trotzdem an den anstehenden Transformationsprozessen mitlernen und mitwachsen.“ Seit Oliver Pux als Chef fürs Digitale nach Berlin gekommen ist, hat sich die Schlagzahl der Veränderungen erhöht – eben gehen die Verhandlungen über eine neu einzuführende Verlags-Software in die Schlussrunde. Die Implementierung wird kein Kinderspiel, ahnt Jacobsen. Immerhin kann, wer als Belletristik-Verlag relativ spät in den digitalen Transformationsprozess einsteigt, von den Erfahrungen anderer Häuser profitieren. Alles fließt, nichts ist in Stein gemeißelt; auch wenn sich seit Thomas Manns Zeiten wenig am eigentlichen Schreibhandwerk geändert zu haben scheint. Bei der altehrwürdigen Anderen Bibliothek setzen die Gestalter heute nicht mehr selbst, der beauftragte Dienstleister stellt auch HTML-Daten zur Verfügung. „Auch mit der AB wird digital irgendwann einmal etwas passieren“, erklärt Jacobsen. „Wenn es ein Konzept gibt, habe ich meine Daten schon so vorhaltend parat, dass man damit arbeiten kann“. Verändere dich, bevor du verändert wirst: Jacobsen stürzt sich beherzt ins Prozess-Management, besucht Fortbildungen, nimmt die Kolleginnen ihrer Abteilung, die schon 15, 20 Jahre bei Aufbau arbeiten, mit in eine Zukunft, die erst in Ansätzen greifbar ist. Glücklicher Weise wartet hinter der nächsten Ecke, ziemlich verlässlich, immer wieder eine Überraschung; zuletzt der auf die Bestsellerliste katapultierte Blumenbar-Autor Bov Bjerg: „Da habe ich das erste Mal in meinem Hersteller-Leben 70.000 Bücher gedruckt. Auch eine Herausforderung!“

Als Alexander Faust, nach einjährigem USA-Aufenthalt und Abi in der beschaulichen sächsischen Kleinstadt Grimma, Anfang der Nullerjahre an der Leipziger HTWK studierte, war die Aufbereitung von Inhalten für XML-Workflows eher ein Thema für Eingeweihte, das neue heiße Ding. In gerade einmal zehn Jahren hat sich sein Arbeitsalltag mit Lichtgeschwindigkeit weiterentwickelt, auch ein gutes Stück weg von der Herstellungswelt, für die er ausgebildet wurde: Es ging, ganz klassisch, um die Steuerung von Buchprojekten, um Grafik und Typo, Drucktechnologien und Kalkulation, das elektronische Publizieren steckte noch in den Kinderschuhen. Der frischgebackene Diplomingenieur, der sich eher für die Steuerung von Prozessen als für die Gestaltung von Büchern interessierte, wollte sich im Ausland beweisen; seine Initiativbewebung landete bei Birkhäuser in Basel: Sprung ins kalte Wasser als Buchhersteller in den Naturwissenschaften; am Ende betreute Faust knapp 100 Titel pro Jahr. Richtig Fahrt gewinnt der Job, als ihn sein Chef Sven Fund Anfang 2009 nach Berlin zu de Gruyter holt. Die Aufgabe: Mit Blick auf die geplante Expansion des Verlags soll aus der Herstellungsabteilung, in der die Kollegen bislang Bücher und Zeitschriften parallel betreuten, ein neues Zeitschriften-Team geformt werden. Faust, der junge Umkrempler von draußen, hatte es nicht leicht in dieser Zeit: „Nach sechs Monaten war ich kurz davor, wieder zu gehen. Ich hatte Zweifel, das zu schaffen.“ Er hält Kurs; das neue Team startet mit drei Mitarbeitern – und wächst in den kommenden zwei Jahren auf 15 Hersteller. „Ich saß nur noch in Bewerbungsgesprächen. Und musste mich eigentlich um die Definierung der neuen Prozesse, ein neues Corporate Design, das neue Innen-Layout kümmern.“ Seit Anfang dieses Jahres ist Alexander Faust nun auf den Posten des „Director Production“ aufgerückt – bereits die Stellenprofile machen deutlich, dass man es mit einem international aufgestellten Haus zu tun hat; nicht selten sitzen Dienstleister in den USA oder Asien. Faust verantwortet die übergeordnete Steuerung der vier Herstellungsbereiche Buch- und Zeitschriftenproduktion, eProducts sowie „Standards and Purchasing“, die „Leitplanken für die Herstellungsarbeit“. Die hat sich in großen Unternehmen, nicht zuletzt durch neue Online-Produkte, geändert: Während der einzelne Hersteller früher – von der Preisverhandlung bis zur Termin-Koordination – seine Projekte in der gesamten Service-Tiefe eigenständig geplant hat, dominiert längst Spezialisierung. „Diese Arbeiten können wir aufgrund unseres Wachstums und der erweiterten Anforderungsprofile nicht mehr in der Manufaktur leisten.“ Fürs Zusammenspiel von knapp 50 Mitarbeiter ist Faust heute verantwortlich – und auch hier hat er lernen müssen: Während er in der Zeitschriftenherstellung mit vielen neu eingestellten Jungen zu tun hatte und rasch ein homogenes Team formen konnte, hatte er es in der 2012 übernommenen Buchherstellung auch mit erfahrenen Kollegen zu tun, die seit der Lehre im Haus waren. „Die Fallstricke des Teambuilding hatte ich zunächst unterschätzt.“ Eine andere Herausforderung ist der disruptive Mark selbst: Ein Unternehmen wie de Gruyter, das aus einer starken Buch- und Zeitschriftentradition kommt, muss sein Kerngeschäft vorantreiben, aber auch in neue Geschäftsfelder investieren. „Mit e-Produkten allein können wir sinkende Auflagenzahlen nicht kompensieren.“ So investiert der Verlag etwa seit mehreren Jahren in den Aufbau von Datenbanken mit semantisch aufbereiteten Inhalten. Daneben ist Konsolidierung angesagt: Nach Übernahmen wie Oldenbourg Wissenschaft oder Akademie gilt es, die neu hinzugekommenen Kollegen in bestehende Abläufe einzubinden. Hin und wieder fällt das Wort „Leipzig“, 15 Mitarbeiter in Fausts Abteilung haben an der HTWK studiert. Seit dem eigenen Diplom ist die Zeit wie ein Wimpernschlag vergangen; vom XML-Kurs bei Ursula Welsch zur Gesamtherstellungsleitung von de Gruyter, gerade mal zehn Jahre? Was wird kommen? „Ich glaube nicht, dass ich zur Rente noch in einem ‚Verlag’ arbeite“, meint Alexander Faust, nachdenklich. „Vielleicht heißt das dann anders?“ Bis sich diese Frage entscheidet, ist glücklicher Weise noch etwas Zeit.

Ortswechsel von Tiergarten nach Wilmersdorf, zu Cornelsen. Für Ellen Böckmann ist, wieder einmal, Hochsaison. Schulbücher müssen lieferbar sein, wenn Deutschland in die Sommerferien geht. Auf dem Schreibtisch die Roadmap fürs Restjahr, am Boden ihres Büros noch die Schaubilder des Print-on-Demand-Workshops, zu dem sich gerade Vertreter aus allen Bereichen des Hauses getroffen haben. Ein großes Thema, im B2C-Markt, aber auch im klassischen Schulbuch. „Wir sind getrieben, technische Entwicklungen für uns zu nutzen. Aber wenn ich Digitaldruck wirtschaftlich installieren will, muss intern einiges in Bewegung kommen. Wie hole ich die Mitarbeiter ab, binde sie ein? Wie manage ich Veränderung?“ Da ist es wieder, das große Wort, auch in Ellen Böckmanns beruflicher Laufbahn ständiger Begleiter. Im Vertrieb von Spiegel Druck in Ulm, das war noch im alten Jahrtausend, ging ihr auf, dass viele Verlage „beim Einkauf nicht wirklich gut aufgestellt sind“. Sie wollte es besser machen und wechselte die Seiten. Beim Bibliographischen Institut & F.A. Brockhaus in Mannheim verantwortete sie fast zehn Jahre Herstellung und Einkauf; 2010 wechselte sie als Geschäftsführerin zur Franz Cornelsen Corporate Services GmbH. Stufenweise begann Böckmann, innerhalb der Service-Organisation der Bildungsgruppe den zentralen Einkauf aufzubauen. Seit 2014 ist sie Bereichsleiterin Zentraler Einkauf und Produktionssteuerung der Cornelsen Schulverlage. 17 Mitarbeiter gehören zum Team, nicht zwingend entsprechen sie heute den klassischen Berufsbildern des Verlagswesens. Das Tätigkeitsspektrum reicht vom Produktionsmanagement „ab PDF“ bis zum Einkauf von Vorstufen-Dienstleistungen oder der Verantwortung für „indirekte Warengruppen“, Facility- oder Fuhrparkmanagement. „Die Aufgabe ist sehr komplex“, sagt die Cornelsen-Frau – das mutet eher wie eine Untertreibung an. Wie Alexander Faust beobachtet auch Böckmann einen „Paradigmenwechsel“ in der Herstellung großer Häuser: „Das Denken geht weg vom Einzeltitel, hin zur Gesamtkostenbetrachtung. Das setzt die Abstimmung von stabilen Prozessen entlang der gesamten Wertschöpfungskette voraus. Was nützen mir günstige Einkaufspreise, wenn ich intern einen hohen Aufwand für die Steuerung habe?“ Regelmäßige Produktanalysen können Hebel für Einsparungen sein; Standards für Produktion und Prozesse sind ein wichtiger Erfolgsfaktor. Der Schwerpunkt liegt bei Cornelsen „ganz klar auf Print“, sagt Böckmann. Doch die digitale Zukunft lugt längst um die Ecke, etwa in Gestalt der Online-Plattform Scook, die e-Books oder Lernvideos bereitstellt und Lehrern wie Schülern zahlreiche Vernetzungsfunktionen bietet. Auch hier wird es darum gehen, sich schon bei der Content-Entwicklung „Optionen für alle Nutzungsformen“ offen zu halten. Mögen sich Technologien und Berufsbilder noch so radikal verändern – eine Gewissheit ist Ellen Böckmann aus der guten, alten Zeit der Schwarzen Kunst geblieben: „Die Herstellung verantwortet im Verlag die größte Kostenposition. Wenn ich mich hier fokussiere, trage ich wesentlich zum Unternehmenserfolg bei.“