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Rot.

Weiß, blau, weiß, rot, weiß – schmeckt scheiße heute, die Zigarette, denkt Detlef und seufzt. Jeden Morgen, jeden Abend steht er da, jeden Tag, auf seinem Balkon im 4. Stock und raucht. Detlef mag Wiederholungen, mag Routine. Die Tatsache, dass ihm heute die Zigarette nicht schmeckt, bringt ihn ins Wanken.

Weiß, blau, weiß, rot – jeden Morgen, jeden Abend dieselben Balkone mit denselben Farben und denselben Gesichtern. Neulich ist die Katze der alten Dame aus dem 7. Stock vom Balkon gestürzt. Detlef stand da mit seiner Feierabendzigarette, als er den kleinen, schwarzen Fleck im Augenwinkel fallen sah. Weiß, blau, weiß, rot. Schwarz. Und das dumpfe Wimmern der alten Dame. Die hat jetzt einen Hund (der halte sie fit, sagen ihre Enkel) und Detlef hat, sicher ist sicher, ein Netz an ihrem Balkon angebracht. Schwarz ist der Hund genauso wie die Katze, die den Sprung in die Freiheit gewagt hat, und genauso wie das Gewand der alten Dame seitdem.

Weiß, blau, weiß – rechts oben sind junge Leute eingezogen. Insgeheim hat Detlef sich gefreut. Seitdem die Kinder weg sind, ist's so ruhig geworden in der Bude, sagt er immer, die alte Dame mit dem jungen schwarzen Hund stimmt ihm da vollends zu. Die jungen Leute sind, zur Überraschung aller, so leise, dass kaum einer im Haus etwas von ihnen mitbekommt. Seitdem die Mieten in der Stadt immer teurer werden, kommen immer mehr der Jungen an den Stadtrand. Hier gibt es nichts außer einem Döner-Imbiss, einem Discounter, der plötzlich vegane Produkte anbietet und einem Hallenbad, das dringend einen neuen Anstrich benötigt. 

Detlef mag Döner nicht, den Imbiss-Besitzer dafür umso mehr. Viele verregnete Sonntagnachmittage verbringt er in der Imbissbude – da ist immerhin was los. Und obwohl es dort kein Bier zu kaufen gibt, hat Attila immer eines unter der Ladentheke für Detlef griffbereit. Bückware sozusagen, eigentlich hat sich doch gar nicht so viel geändert, denkt Detlef und lacht ganz leise in sich hinein.

Die Kinder kommen nicht mehr oft zu Besuch. Ein, vielleicht zweimal im Monat. Dabei wohnen sie nur eine Autostunde entfernt. Detlef macht ihnen keine Vorwürfe. Ich weiß ja, wie das ist, man muss das Leben leben, wie es kommt, sagt er immer, ganz weise und bedacht, wenn die alte Dame von oben lamentiert. Manchmal lädt sie ihn auf Kaffee und Kuchen ein, da kann er nicht nein sagen. Ihre Buttercremetorte schmeckt fast wie die seiner Mutter. Ab und zu zieht er ein schwarzes Hundehaar aus der Creme – früher Katzenhaare – aber das sei ihm wurst, beteuert er dann, weil es der alten Dame immer schrecklich peinlich ist, wenn er ein Haar in der Buttercreme findet. Die alte Dame jedoch scheint alle Haare mitzuessen und dann wundert Detlef sich, ob sie, so wie Katzen, wenn sie ein Haarknäuel hervorwürgen, auch manchmal külchend schwarze Haarbüschel aushustet. Beim Gedanken daran muss Detlef kichern, was im Zug des Zigarettenrauchs untergeht und mehr wie ein Grunzen klingt.

Weiß, blau, weiß, rot, schwarz – was die Dame heute wohl macht? Er beschließt, gleich bei ihr zu klingeln. Es ist Samstagmorgen. Detlef muss heute nicht zur Arbeit fahren und blickt so entspannt in den Tag wie an jedem Samstag. Die U-Bahn mag er nicht so gerne, laut, voll, dreckig, so viele grelle Farben und Geräusche. Er mag die Ruhe auf seinem Balkon, Zigaretten und Buttercremetorte. 

Weiß, blau, weiß, rot, grau – der Putz bröselt von den Wänden. Detlef will heute noch zum Baumarkt fahren und neue weiße Farbe für den Balkon kaufen, vielleicht ein paar rote Geranien. Morgen kommen die Kinder, da soll doch alles schön sein.

Weiß, blau, weiß, rot, weiß – okay, eine Zigarette noch, denkt Detlef und seufzt.


Eine Kurzgeschichte, erschienen in der ersten Ausgabe von Maybe A Magazine.

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