Norbert backt wieder Faule-Weiber-Kuchen. „Die Weiber sind seine Spezialität!" gackert es prompt aus einer hinteren Ecke der Backstube. Der Rentner ist offensichtlich der Hahn im Korb: Mit fünf Kolleginnen, keine Teenies, sondern alle 60-plus, backt er am Mittwochvormittag für das Münchner Startup „ Kuchentratsch ". Das Projekt ist bisher einzigartig in Deutschland.
Das Geschäftsmodell ist simpel, aber gut: Seniorinnen backen Kuchen, der an Cafés, Firmen, Stiftungen oder Privatpersonen verkauft wird. Die Käufer kommen in den Genuss eines authentischen, selbstgemachten Oma-Kuchens - und die Bäcker landen nicht in der Isolation. Die Gründerinnen Katrin Blaschke und Katharina Mayer betonen vor allem diesen sozialen Aspekt ihres Startups. „Wir wollen den Rentnern die Möglichkeit geben, unter Leute zu kommen und wieder eine neue Aufgabe zu haben", sagt Blaschke. Außerdem können sie sich etwas zu ihren Renten dazuverdienen. Kennengelernt haben sich die beiden während ihres BWL-Studiums in Innsbruck. Im Juni 2014 gründen sie „Kuchentratsch" in Katharinas Heimatstadt München. „Ich wollte mich eigentlich nie selbstständig machen", sagt Katrin Blaschke. Und so spannend das Startup-Leben sei, so anstrengend sei es auch. So sei das Medieninteresse an ihrem Konzept zwar groß, doch finanzieren können sich die Gründerinnen noch nicht selbst. „Irgendwie geht es jeden Monat", sagt Katrin Blaschke. Doch auf den eigenen Lohn müssen die Gründerinnen in schlechten Monaten auch mal verzichten. Die Seniorinnen sind auf 450-Euro-Basis angestellt.
Immer mehr Rentner müssen arbeiten, weil sie sonst nicht über die Runden kommen. Zum Vergleich: Im Jahr 2005 gingen in Deutschland sechs Prozent der 65- bis 69-Jährigen einer Erwerbstätigkeit nach, ermittelte das Statistische Bundesamt. 2014 waren es schon 14 Prozent - also mehr als doppelt so viele. Altersarmut wird zunehmend zum Problem - und das vor allem auch in einer Stadt wie München, in der oft schon eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung zwei Drittel der Rente beanspruchen kann.
Einige arbeiten aber auch freiwillig. Opa Norbert zum Beispiel. Seit April 2015 ist er Teil der Kuchentratscher. Auf das Projekt aufmerksam wurde er durch lokale Zeitungsberichte. Der 71-Jährige backt weder aus Geld- noch aus Sozialnöten, sondern schlichtweg weil es ihm Freude macht. Der ehemalige Beamte am Bundesverwaltungsgericht ist mit 63 in Altersteilzeit gegangen. „Ich hab' immer gerne gekocht und gebacken", sagt der Rentner im sympathischen Münchner Dialekt. Er ist ein entspannter, charmanter Typ, den man als „jung geblieben" beschreiben könnte. Immer zu Scherzen aufgelegt, mit umgedrehter Basecap auf dem Kopf, lockerer Körperhaltung, weißem Shirt und schelmischem Grinsen im Gesicht. Feministenherzen würden schneller schlagen, wenn sie sehen könnten, wie perfekt jeder seine Handgriffe sitzt. Beim Faule-Weiber-Kuchen ebenso wie beim Russischen Zupfkuchen, den er danach backt. „Ein Pfund Butter soll in die Füllung", sagt er plötzlich, schüttelt ungläubig den Kopf und reduziert die Menge auf 200 Gramm. Und im Boden? „Da sind auch schon 200 Gramm Butter drin." Er lacht und greift zum Rührgerät.
„Norbert, schleich dich, ich muss vorbei", sagt Oma Magdalene mit sechs Eiern in der Hand. Sie scheucht den 71-Jährigen liebevoll kichernd aus ihrer Bahn. Die ganze Runde lacht. Die 69-jährige Magdalene schlägt Eischnee für einen Burgenländer Mohnkuchen, den sie gleich noch in den Ofen schieben wird. „Mit einer Prise Salz und ein paar Tropfen Zitronensaft wird der Eischnee schneller steif", verrät sie. Die ehemalige Erzieherin ist seit Mai 2015 bei „Kuchentratsch". Zuvor hat sie über 30 Jahre im selben Betrieb gearbeitet. „Ich wollte andere Leute kennenlernen und brauchte wieder eine Aufgabe", erzählt die passionierte Köchin. Ans Kuchenbacken habe sich sich erst gewöhnen müssen, „aber man gewöhnt sich im Leben an so vieles", sagt sie weise und hebt den Eischnee unter die Masse aus Mohn, Orangeat und Zucker. Das Haar hält sie mit einem roten geblümten Tuch aus der Stirn. Schweißperlen zeugen von der Arbeit, die sie heute bereits geleistet hat: Zwei Schokoladenkuchen warten bereits im Backofen auf das Signal der stoisch tickenden Eieruhr. „Magdalene ist die schnellste", lobt Katrin Blaschke - doch die Rentnerin mag die Lorbeeren gar nicht so recht annehmen.
Acht Öfen und sechs Arbeitsplätze verteilen sich in dem großen Loft-ähnlichen Raum im rauen Münchner Westend. Von außen ganz unscheinbar verstecken sich in diesem Hinterhofhaus nicht nur eine duftende Backstube, sondern auch Büroräume. Der Adventskalender hängt noch genauso an der Wand wie die bunten Lampions vom Neujahrsempfang, der vorige Woche gefeiert wurde. Ein paar Farbkleckse im sonst eher weißen und gefliesten Raum. Es riecht nach Schokolade, Äpfeln, Zimt, nach Omas Weihnachtsbäckerei und irgendwie nach Geborgenheit und Kindheit. Diese Harmonie wird durch das regelmäßige Geratter von Handrührmaschinen, Schneebesen und piepsende Eieruhren unterbrochen. Rund 30.000 Euro hat die komplette Einrichtung gekostet - zu Großteilen durch eine aufwändige Crowdfunding-Kampagne auf dem Online-Portal Startnext finanziert. Damit haben die Gründerinnen rund 24.000 Euro eingenommen.
Die sechs Rentner, die ihre Schicht am Mittwochvormittag antreten, sind ein eingespieltes Team. Jeder weiß, was er zu tun hat. Heute werden hier 23 Kuchen gebacken. Viel sei das nicht, sagt Gründerin Katrin Blaschke. Je nachdem, wie viele Kuchen bestellt werden, sind die Schichten mehr oder weniger entspannt. Es habe schon andere Zeiten gegeben, sagt die 26-Jährige. Vor allem in den Wochen vor Weihnachten sei es rund gegangen. „Einmal mussten wir 50 Kuchen backen", sagt sie und zieht die Augenbrauen hoch. Da seien selbst die erfahrenen Bäckerinnen an ihre Belastungsgrenzen gekommen. „Optimal wären 30 Kuchen pro Schicht", sagt Blaschke und hofft künftig auf wieder mehr Aufträge.
Eine Eieruhr piepst. „Der Faule-Weiber-Kuchen ist fertig", ruft Norbert quer durch den Raum.