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Warum islamische Schwulenfeindlichkeit der blinde Fleck der Queer-Community ist

Weil islamische Homophobie nicht ins Diversity-Ideal passt, schweigt die Queer-Community lieber darüber. Kein Zufall, finden unsere Autoren.




Beginnen wir mit dem Erfreulichen: Sexualität und Geschlechterverhältnis haben in der westlichen Welt zuletzt einen immensen Modernisierungsschub erlebt. Religiöse Normen, die sexuelle Ausdrucksformen als gut (etwa reproduktive Sexualität in der Ehe) oder schlecht (Homosexualität, Masturbation) einordnen, haben an Bedeutung verloren.

Die Zeit, in der Hass gegen Homosexuelle öffentlich, sanktionslos und ohne breite Solidarität mit den Opfern möglich war, scheint vorbei. Auch alte Begrifflichkeiten werden abgelegt: Die schnöde Rede von Homosexualität wird wahlweise von einem Amalgam aus Kürzeln (LGBTQ) oder gleich durch den weitgreifenden Modebegriff „queer" ersetzt. Der diente ursprünglich der homophoben Abwertung, machte in der ins Positive gewendeten Aneignung der so Bezeichneten aber eine erstaunliche Karriere: Erst popkulturell verbreitet und in den Queer Studies akademisiert, erwuchs er zum Sammelsurium für das - tatsächlich oder vermeintlich - subversive Minoritäre und Ausgestoßene, dessen Gemeinsamkeiten sich darin erschöpfen, nicht weiß, heterosexuell oder männlich zu sein. Um homosexuelles Begehren geht es da nur noch am Rande. Die Sexualität hat sich in diesem Kontext nicht emanzipiert, sondern vielmehr diversifiziert und entsinnlicht, ja bürokratisiert.

Im Postulieren einer Randständigkeit liegt bereits einer der Gründe für den Erfolg des Queerseins: Wer im postmodernen Neoliberalismus Rang und Namen haben will, darf keinesfalls übermäßig „normal" sein. Die Philosophin und Sozialtheoretikerin Alenca Zupančič deutet den Kapitalismus in diesem Zusammenhang als wichtigsten Wegbereiter von identitären Differenzen, wobei er diese gleichzeitig marktförmig aufhebt und spielerisch für sich vereinnahmt.

Im vermeintlichen Gegen-den-Strom-Schwimmen dezidiert mit ihm zu schwimmen, das ist heute nicht allein das Metier spießiger Kleinbürger mit Reihenhaus und Carport, sondern liebstes Hobby angeblicher Nonkonformisten, die gar nicht mehr bemerken, wie sehr ihre abstrakte Vorliebe für Diversität, ihre frenetische Protestseligkeit für Ökologie und „gegen den Hass" sowie ihre provinzielle Bekennungslust den Konformismus des 21. Jahrhunderts auszeichnen. Ihr Aktivismus verleiht sich selbst die Aura des Spontanen, Globalen und Menschenfreundlichen, ihr überkorrekter Jargon hält Einzug in Bürgerinitiativen wie Ministerien. So ist das Gendern der Sprache mittlerweile zu hochoffiziellen Behördenrichtlinien avanciert, da durch symbolisch aufgeblähte Veränderungen der Selbstbezeichnung bequemerweise nicht die schlechte Realität konfrontiert werden muss, unter der die vereinzelten Subjekte eigentlich leiden.

Als irgendwie queer - das heißt: divers, einzigartig und subversiv - will inzwischen jeder gelten. Für eine der wichtigsten Wegbereiterinnen des Begriffs dürfte das auch gar kein Problem darstellen: Die postfeministische Philosophin Judith Butler benutzt den Terminus schon lange bewusst unscharf und lässt ihn inzwischen allen möglichen Minderheiten angedeihen, solange sich diese mehr oder weniger offen gegen die Hegemonie des heteronormativen, eurozentrischen Westens positionieren. Was wohl auch daran liegt, dass Schwule und Lesben im Gegensatz zur Wunschvorstellung der Queer-Theoretiker nicht revolutionäres Subjekt gegen die bürgerliche Ordnung sein wollten, sondern ganz konkret an den bürgerlichen Rechtsstaat appellierten, der ihnen im Zweifel als einzige Instanz Schutz bietet. Queer ist so schon lange keine identitätskritische Bezeichnung für sexuelle Minderheiten mehr; vielmehr benennt das Wort ein diffuses „weltanschauliches" Lebensgefühl, das alle Eingeweihten aneinanderbindet und gegenüber dem Kollektiv der nicht-queeren Normalos nach außen hin Geschlossenheit symbolisiert.

Eine autonome Lesben- und Schwulenbewegung kann sich vor diesem Hintergrund schon der Sache nach nicht mehr formieren, weil sie sich dem Queer-Begriff untergeordnet hat, der weder lesbisches noch schwules, gezwungenermaßen also auf Zweigeschlechtlichkeit beruhendes Begehren kennt. Bereits die Affirmation der Aussage, es gebe grundsätzlich zwei biologische Geschlechter, gilt inzwischen als Hassverbrechen gegen Transsexuelle. Überhaupt noch darauf zu bestehen, dass homosexuelle Objektwahl sich dezidiert auf das gleiche Geschlecht und nicht etwa auf eine metaphysische, unleibliche Männlichkeit oder Weiblichkeit richtet, gerät bereits zum Wagnis, wenn solcherlei Selbstverständlichkeiten sozial und durch angestrebte Gesetzesänderungen im schlimmsten Fall bald auch rechtlich geahndet werden.

Der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch interessiert sich bei der Analyse des Strukturwandels von Sexualität für die Frage, wie Begehren und Leidenschaft umcodiert und wohin sie verschoben werden. Im Zusammenhang mit dem Geschlechterverhältnis konstatierte Sigusch eine Dissoziation der sexuellen Sphäre, die zunächst eine diskursive Abtrennung der sexuellen von der geschlechtlichen Sphäre beschreibt, sodass man nicht mehr wie bei Freud von einem Triebschicksal ausgeht, sondern die Geschlechterdifferenz essenziell wird. Im Zuge der Individualisierung gehe mit dieser Abtrennung eine Ausdifferenzierung der geschlechtlichen Sphäre einher, die sich in zahllosen neuen Gender-Identitäten manifestiert, die allerdings keine Sinnlichkeit und kein eigenes Begehren kennen, sondern ausschließlich identitätsstiftend funktionieren.

Zudem herrscht wenig Konsens über die Frage, ob und in welchem Umfang diese pluralisierten Vorlieben auch gelebt werden. Zwar hat sich die Sexualität liberalisiert, von einer grundsätzlichen Umwälzung menschlicher Beziehungen ist man allerdings weit entfernt. Sexuelle Freiheit, so konstatierte Adorno bereits während der etwas zu selbstbewusst auftretenden Triebbefreiungskultur der '68er-Bewegung, sei in einer unfreien Gesellschaft so wenig wie irgendeine andere zu denken.

Noch weiter geht die Queer-Theory, indem der Körper in ihr als begriffliches Konstrukt ohne leibliches Innenleben abgewickelt wird und in der Folge nur noch als technisch aufgemotzte Hülse mit verkümmerter Tiefensensibilität fungiert. Die Körperfeindlichkeit der nur scheinbar hedonistischen westlichen Kultur ist nach der Psychoanalytikerin Marina Gambaroff ein Indiz dafür, wie ungenügend die Tiefensensibilität für den eigenen Körper entwickelt sein muss. Letztendlich gehe es bei der Auslöschung von Sinnlichkeit um den Kampf gegen den Körper, gegen den Trieb, wenn nicht sogar gegen das Leben selbst; um die Durchsetzung eines abstrakten, entsinnlichten und damit sinnlosen, da lebensfeindlichen Prinzips.

Die Widersprüche des Queer-Begriffs legen sich auch dann offen, wenn der inzwischen gesamtgesellschaftlich hochgehaltene Diversity-Kult zum Kotau vor der Homophobie führt. Homophobe Übergriffe nehmen in den letzten Jahren besonders in jenen Problembezirken zu, in denen mehrheitlich arabisch-migrantische Jugendliche ihre Ehr- und Sittenkodizes zum Maß aller Dinge erheben, zum Beispiel in Berlin-Neukölln. Dieses Problem oder gar die zumeist islamische Sozialisation der Täter anzusprechen, wird nach wie vor nicht gern gesehen. Geschieht es dennoch, ist der Rassismus- oder Islamophobie-Vorwurf schnell ausgesprochen, die Debatte oft schon beendet, bevor sie richtig begonnen hat. Lieber redet man über Repräsentationsfragen und darüber, wie wichtig die Sichtbarkeit von Homo- und Transsexuellen sei. Obwohl gerade Sichtbarkeit das letzte sein müsste, was man offen Homo- und Transsexuellen in Stadtteilen wie Neukölln wünscht, solange sich dort nichts ändert.

Als ein polizeibekannter Islamist ein schwules Paar, das in Dresden Urlaub machte, mit einem Messer attackierte und einer der beiden Männer, Thomas L., dabei tödlich verwundet wurde, haben sich sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erst Wochen nach der Tat geäußert - selbstverständlich ohne eine klare Benennung des Hintergrundes des Mordanschlags. Auch innerhalb der Queer-Community regte sich kein nennenswerter Widerstand, es hat weder bundesweite Demonstrationen noch einen „Aufschrei" gegeben, bei dem Tätermotiv und Tat zusammengedacht wurden, anstatt nur gegen unbestimmten „religiösen Extremismus" und Hass zu agitieren.

Wer schon hierzulande Gewalt gegen Homosexuelle ignoriert, solange sie nicht von rechten Schlägerbanden ausgeht, interessiert sich folgerichtig auch nicht für die Zustände in islamischen Ländern. Zwar wird hin und wieder erwähnt, in wie vielen Ländern auf offen gelebte Homosexualität barbarischste Maßnahmen bis hin zur Todesstrafe drohen. Weniger gern wird jedoch angerissen, dass alle diese Länder mehrheitlich muslimisch geprägt sind.

Nach wie vor spricht der Mainstream lieber über Vorurteile, die sich in Form von homophobem Schulhof- oder Altherrengewitzel artikulieren, als über tatsächliche Gewalt gegen Homosexuelle. Dass junge Homosexuelle sich also weiterhin stigmatisiert fühlen und Angst vor dem Coming-out haben, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur an dem langwierigen und schwierigen Prozess der individuellen Akzeptanz des eigenen Begehrens oder den glücklicherweise schon im Rückgang begriffenen Stereotypen über Schwule und Lesben. Es folgt möglicherweise auch aus der Ahnung, dass man selbst in solchen Kreisen, die Toleranz und Vielfalt hochhalten, nur so lange geduldet wird, wie man sich zum Maskottchen für die gute Sache macht. Sobald man dagegen nicht länger die Rolle des Diversity-Clowns übernehmen will, kommt die Toleranz - also die immer nur gewährte Duldung - an ihr Ende. Davon zeugt beispielsweise, dass homosexuelle Politiker wie Alice Weidel oder Jens Spahn mit sexistischen und homophoben Beschimpfungen bedacht werden können, ohne dass sich groß Widerstand regt.

Dass über islamische Homophobie geschwiegen wird, entspringt allerdings keiner bloßen Doppelmoral, wie oft behauptet wird, wenn der gefürchtete Rassismus-Vorwurf als Legitimation für das passive Gewährenlassen eines gewaltaffinen Mobs herhalten muss. Diese Reaktion ist kein Widerspruch zur Vielfaltstümelei der postmodernen Linken: Stattdessen handelt es sich um die logische Konsequenz aus einer Doktrin, die innerhalb der Gruppe der von ihr protegierten Minderheiten alles Widersprüchliche ignoriert, um ebendiese Gruppe gedanklich kohärent zu halten. Unter Diskriminierung oder sogenannter „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" - wie man inzwischen sagt, wenn man den Gipfel der Begriffslosigkeit erklommen hat - leiden schließlich alle gleichermaßen: der von Islamophobie scheinbar bedrohte Moslem genauso wie der von Homophobie bedrängte Homosexuelle.

Dieses Phantasma kann natürlich nur so lange aufrechterhalten werden, wie die friedliche Koexistenz der verschiedenen Identitätsgrüppchen funktioniert. Sobald das nicht mehr der Fall ist - wenn also eine vermeintliche Opfergruppe durch bestimmte Sozialisationsmechanismen ideologisch prädestiniert ist, auf andere Gruppen loszugehen -, passt das nicht mehr ins Weltbild der Diversity-Propagandisten. Und anstatt das Ideal mit der Realität abzugleichen und die islamische Homophobie um den Preis der lieb gewonnenen Vielfaltsutopie zu kritisieren, macht man den Ankläger zum Täter: Schwule Flüchtlinge sowie offen Homo- und Transsexuelle in islamischen Kiezen unterstellt man letztlich lieber dem Verdikt „Rassismus" und grenzt sie aus der mehrheitlich an politisch korrekter Reinheit interessierten queeren Community aus, als einzusehen, dass abstrakte Toleranz immer auch die Billigung derer mit einschließt, die bestimmte Gruppen per se nicht dulden wollen.

Ginge es den Minderheitenschützern dabei wirklich um die einzelnen Individuen (und nicht um ihr exotisiertes Idealbild eines Kollektivs), hätten sie allen Grund, die Dinge einfach beim Namen zu nennen. Schließlich sind muslimische Jugendliche keine triebgesteuerten Bestien, die nicht anders können, als Schwule zusammenzuschlagen. Die islamische Homophobie zu ignorieren und/oder kleinzureden, heißt implizit also immer auch, sie zu einem unabänderlichen Wesensmerkmal zu erhöhen. Der Antirassismus nähert sich auf diese Art den Schemata rassistischer Stereotypisierung an.

In Zeiten, in denen das homophobe Ressentiment in der gern angeklagten „Mitte der Gesellschaft" spürbar abnimmt, während es mit bestem antirassistischem Gewissen an andere Akteure delegiert wird, zeigt der Diversity-Kult, der nur noch Kohorten von Unterdrückten kennt, seine fatale Kehrseite. Denn die lieb gewonnene Vorstellung von Vielfalt ist zur Utopie schlechthin aufgestiegen. Wer an dieser Traumvorstellung rüttelt, weil sie oder er um die Unmöglichkeit von totaler, widerspruchsloser Inklusivität weiß, gilt dem queeren Diversity-Kult als Feind.

Der Sache nach mag sich die queere Community als aufklärerische Instanz gebärden, die Auswahl der Ziele ihrer Kritik ist allerdings partiell. Sie scheint nur da interessiert, wo die Mehrheit einhellig einstimmen kann: wenn die Gewalt von rechter Seite ausgeht. Unterdessen kann die homosexuelle Community nicht auf die Unterstützung derer hoffen, die zugunsten ihrer stereotyp-kitschigen Vorstellung von einem inklusiven Islam den konsequenten Kampf gegen homophobe Ideologeme preisgegeben haben.




Der Text entstand in Zusammenarbeit mit Sara Rukaj.


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