Nahezu die gesamte Unterhaltungsbranche war gegen Trump und doch konnte sie seine Wahl zum US-Präsidenten nicht verhindern. Alle Deutlichkeit nutzte nichts. Die Massenkultur vermochte die Massen nicht in ihrem Sinn zu beeinflussen. Das ist schon eine gewisse Kränkung.
Aber die jüngsten Politisierungen der Popmusik sind zum Teil auch erschreckend unsubtil ausgefallen, vielleicht liegt darin ja sogar die Ursache. Zwei Linien des musikalischen Widerstands lassen sich erkennen. Entweder man spiegelt die rechtspopulistische Weltsicht: Wir hier - die aufgeklärten Freunde der Freiheit -, dort die anderen. Oder man geht es an wie John Lennon: Händehalten für den Weltfrieden, bis es wehtut.
Wie soll es mit der Popmusik im Jahr 2017 weitergehen? Müssen wir uns auf ein Schreckensszenario vorbereiten, in dem mit voller Lautstärke die allerbesten Absichten beteuert werden? Wenn der Pop sich mit den einfachen Antworten begnügt und glaubt, einfach nur ein "Anti" ins Rauschen der Meldungen hineinbrüllen zu müssen, wird es nicht genügen. Das ist nicht nur ästhetisch furchteinflößend, vor allem aber geht es auch normativ und strategisch den falschen Weg. Es würde lediglich den Dogmatismus der einen Seite durch den eigenen ersetzen. Aber: Der Zweifel ist eine Tugend.
Hier die Guten, da die SchlechtenBei den Grammys Mitte Februar: Katy Perry tanzt vor einem großen Zaun. Schließlich zerfällt er. Die Teile werden zur Projektionsfläche. " We the people" erscheint in großen Lettern auf den Mauerteilen, der Gründungsmythos der Nation. Ein Bezug nicht zuletzt auf die anschließende Performance und das vielgelobte Abschiedsalbum von A Tribe Called Quest. Auch in deren Auftritt zerfällt eine Mauer. Der "Präsident Agent Orange" wird angekeift.
Nun ist das Spiel mit der Mauersymbolik weder besonders originell noch hintergründig. Aber Roger Waters macht mit. Gerade hat der 73-Jährige damit gedroht, Pink Floyds The Wall vor der US-Grenze zu Mexiko aufzuführen, wenn Trump dort seine geplante Mauer bauten sollte.
Auf der einen Seite die Guten, da drüben die Schlechten. Diese Dichotomie beschwor Madonna bereits am Tag nach der Inauguration des neuen Präsidenten auf dem Women's March. Obwohl sie von Einigkeit und Zusammenhalt sprach, markierte sie das Gegenüber, das eben nicht nur anderer Meinung sei, sondern das Böse schlechthin. Diese Rhetorik passt bestens in die Art von Diskurs, die George W. Bush und die Tea Party befeuerten. Madonna ging die Kritiker des Marsches direkt an: Man kann ihr " Fuck you!" als Punkisierung des Protests verstehen. Es ist aber auch eine bloße Aneignung des Dogmatismus und des Ressentiments der Rechtspopulisten. Die scharfe Trennung zwischen moralisch Falschliegenden und Aufrechten. Die Emotionalisierung bis hin zur diskursiven Gewalt, die im Anschreien mündet. Wenn der Popkultur nichts Besseres einfällt, als sich dieser Mittel zu bedienen, ist das ein weiterer Erfolg der Trumpisten. Sie diktieren die Regeln.
Der unpräzise BlickGeht es auch etwas weniger plakativ? Vor einigen Wochen hat die kanadische Band Austra ein Album veröffentlicht namens Future Politics. Der Titel ist Bekenntnis genug, so erscheint es. Als sei eine zukünftige Politik automatisch eine wünschenswerte. Katie Stelmanis singt über Menschen, die niemanden in ihrer Stadt kennen und über den Highway zur Arbeit fahren. Das soll vermutlich eine Art Schadensanalyse sein. Stelmanis sagt, sie wolle eine Welt ohne Grenzen denken. Ein Universalismus, der völlig unbestimmt jedem um den Hals fällt. Während Madonna das Ressentiment und den Diskursabbruch übernimmt, antworten Austra auf die Rede von der Alternativlosigkeit mit der prinzipiellen Möglichkeit von allem.
Im vergangenen Jahr veröffentlichte Anohni, vormals Sängerin bei den großartigen Antony and the Johnsons, ihr erstes Soloalbum Hopelessness. Die Kritiker waren begeistert. Zu sehr geschmackvollem Pathos-Elektro sang sie zunächst über den menschenverursachten Klimawandel, um sich dann in Drone Bomb Me in ein neunjähriges Mädchen hinein zu fühlen, das seine Eltern bei einem Drohnenangriff verloren hat. Ganz viel Empathie, ganz viel Trauer. Ernsthaft, ein Kinderschicksal? Das ist eine sehr schlichte, manipulative Überwältigungstaktik. Wer wäre nicht für die Lebenshoffnung, zumal einer Neunjährigen? Wo bleibt der präzise Blick? Wo wird da etwas verstanden - und etwas verständlich?
Auch Fiona Apple, sonst eine bemerkenswert hellsichtige und ungemütliche Künstlerin, war sich nicht zu schade, eine kleine Anti-Trump-Protesthymne zu entwerfen. Sie besteht nur aus der Zeile: " We don't want your tiny hands / anywhere near our underpants." Sicherlich eignet sich ein solcher Spruch dazu, auf Demos weltweit skandiert zu werden. Und doch: Warum soll man Plumpheit mit Plumpheit beantworten?
Gefühl und Frieden, in your face
Vielleicht droht uns eine Rückkehr. Zurück zum Prinzip von John Lennons Imagine. Ganz viel Gefühl und Frieden in your face.
Möglicherweise besteht da eine Sehnsucht, weil wir weichgekocht sind
von all der Ironie, von den ewigen Selbstumkreisungen und der
dauerhaften Distanznahme. Aber solche Kunst, die jeden Deutungsspielraum
verstellt, indem sie dem Betrachtenden ihr Gutmeinen aufnötigt, ist
bodenlos nervig. Nur ganz selten gelingt ihr ein Schwebezustand, eine
Verunsicherung, die zum Denken anregt. Deutlichkeit mag geboten sein in
Situationen, in denen deutliche Stimmen marginal bleiben. Aber niemand
kann vermuten, dass dies unter Trump und mit der AfD der Fall wäre. Der
Protest ist ja selbst jetzt schon zum Mainstream geworden.
Ein Jahr zurück. Trump war da noch ein Fehler im System ohne große Chancen im Bewerberwettstreit der Republikaner. Aber die Polizeigewalt, die Hate Crimes und die systematische Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung waren so aktuell wie heute. Beyoncé veröffentlicht ohne Vorankündigung ihr Video Formation. Darin sitzt sie auf einem Polizeiauto, das im Wasser steht. Hurricane Katrina hatte das Land verwüstet. Die Staatsmacht in den Fluten, viel zu wenig wurde getan für die mehrheitlich schwarze Bevölkerung. Einerseits eine Anklage. Andererseits gibt es im Song auch einen Appell, zusammenzustehen. Beyoncé zeigt mehrere Konfliktlinien zugleich auf: Arm und Reich, politische Administration und im Stich gelassene Bevölkerung. Aber sie dreht auch permanent die Geschlechterrollen um, vor allem die des Hip-Hop, sie schickt ihren Mann einkaufen, sie spendiert ihm etwas.
Die Radikalität
dieses Songs entfaltet sich erst vollständig, wenn man das dazugehörige
Video in die Betrachtung einbezieht und vor allem ihren Auftritt während der Super-Bowl-Halbzeit 2016: ihre Tänzerinnern und Beyoncé in einer Art freizügiger Militäruniform, "Okay, ladies, now let’s get in formation". Aus diesen offenen Zeilen ("in formation/ information")
und den Insignien, die sie dazu trägt, dem Kostüm, dem Liedtext, der
die afroamerikanischen Wurzeln der Südstaaten referenziert, und den
Hinweisen auf die Black Panthers entsteht ein Spiel, das nicht so leicht
zu verorten ist. Weder gibt sich die Erzählerin der Narrative hin, sie
sei ein Opfer, noch lässt sie sich festlegen auf einen bequemen Kurs.
Wie weit geht dieser Aufruf zum Widerstand? Wie groß ist ihre
Kampfeslust? Das ist für eine im Mainstream so erfolgreiche Künstlerin,
die ihre eigene blackness zuvor nie besonders in den Fokus
rückte, durchaus ein Risiko. Mit Authentizität hat das wenig zu tun. Mit
Glaubwürdigkeit und Aktualität schon.
Unschärfe kann eine Stärke sein
Beyoncés Unschärfe muss man in diesem Fall als immense künstlerische wie normative Stärke sehen. Es nicht genau wissen und es zugeben, das ist ein Gegengift gegen die leere Behauptung und Verherrlichung der nackten Tat im Trumpismus. Die Verunsicherung auch in den eigenen Orientierungen sichtbar machen. Der Komplexität begegnen, indem sie auch künstlerisch erfahrbar wird. In Latenzen und Vieldeutigkeiten.
Es
geht sicherlich noch extremer. Aber dann, womöglich, nicht mehr in den
Footballstadien. Ein Weg könnte es sein, zu einer radikalen
Innerlichkeit zu kommen, die ja doch gar nicht ohne Umwelt und
Voraussetzung denkbar ist. Widerständig zu bleiben auch dadurch, dass
man sich nicht hineinziehen lässt. Wie zum Beispiel Ani DiFranco es
macht, gerade in ihren leiseren Songs, die das Politische eher nur
streifen, die politische Positionierung nicht skizzieren als etwas, das
sich abschließen ließe.
Auch der Stil von Sun Kil Moon,
vor allem der letzten Jahre, passt dazu: ein Erzählen permanent im Ich
und im Du und dem Dazwischen. Auch ein Erzählen in Alltäglichkeiten und
Banalitäten: Ramen essen, eine Serie schauen, ein Konzert geben. In
diesen Texten geschieht der Alltag, und der Ernst und die dramatische
Tiefe, die der Sänger Mark Kozelek dann erreichen kann, kommt durch die
Plötzlichkeit des Wechsels. Perfekt inszeniert er das in einem Song wie Richard Ramirez Died Today of Natural Causes.
Ramirez war der sogenannte Nightstalker, ein US-amerikanischer
Serienmörder. Kozelek verwendet harte Schnitte zwischen
Allzumenschlichem, Hotelzimmer, Barbecue mit Freunden und seiner Küche,
die er bald dringend in Ordnung bringen müsse, und dem Einbruch des
Ernstes (oder aber: dem Einbruch der Headlines aus dem "echten Leben"):
den Nachrichten über den Nightstalker, die iranische Revolution. Und den
Tod von Elvis, den Flug zur Beerdigung eines Familienmitglieds
(beiläufig erzählt mit "gotta do some grieving"). Das
Alltägliche und die Ausnahmezustände, das Kleine und das Große, ja auch
das Private und das Öffentliche geraten wie im Kurzschluss aneinander.
Es gibt die Momente, in denen sich die Zeit quasi symbolisch meldet – am
ehesten durch den Fernseher oder die Überschrift auf der ersten Seite
der Tageszeitung.
Mehr Krach, mehr Irritation
Eine
solche Perspektive ist durchaus nicht unpolitisch. Aber ein
Musikschreiben wie dieses kennt keine allzu einfachen Gegner. Und es
gibt auch gar nicht vor, große Antworten auf drängende Fragen zu geben.
Durch diese Enthaltung, auch die Weigerung zur Politisierung, zu den
"deutlichen Worten" und dem "Sichpositionieren" bliebe die Musik auch
ein Zeichen der Freiheit – sie zeigt, dass es eine Alternative gibt.
Ein anderer Weg
könnte es sein, die Tendenz zur Vereinfachung eben nicht mitzugehen.
Komplizierter, unverständlicher zu werden. Den Antiintellektualismus
nicht dadurch zu stärken, dass man ihm gehorcht. Damit kommt man wieder
mehr den Subkulturen entgegen, mehr dem Experiment, entfernt sich von
den gigantisch symbolträchtigen und längst zum Klischee gewordenen
Bildern. Das Ausprobieren von Mitteln und Wegen wäre wichtiger als die
Reduktion, die Gefolgschaft und Zustimmung verspräche.
Also, vielleicht,
mehr Krach. Mehr Industrial, mehr Irritation und mehr Minimal Music.
Mehr nackten Lärm. Mehr Unklares. Weniger Text, weil gute Mehrdeutigkeit
schwierig herzustellen ist. Weniger Erläuterungen und Bekenntnisse,
weil das Publikum dann wieder selbst nachdenken dürfte. Mehr "Was könnte
das heißen?". Weniger Protestmusik, die genau so schon heißt. Keine
weiteren Vereinfachungen mehr, bitte. Mehr Widerhaken. Und mehr
Verkomplizierungen. Mehr Unverständnis.
erschienen bei ZEIT ONLINE, 27.3.2017.
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