Als Brian Eno Mitte der Siebziger der Ambient Music ihren Namen gab, schrieb er in einem beigelegten kurzen Essay, was diese solle: Er dachte an eine anspruchsvolle Form der Hintergrundmusik, die der Hörerin auch in betriebsamer Umgebung, an öffentlichen Plätzen, Bahnhöfen, Flughäfen Raum zum Denken und Ausruhen schaffe und gleichzeitig die Eigenheiten dieser Umgebung betone. Ambient I - Music for Airports hieß das zugehörige Album, dem Eno über die Jahrzehnte einige weitere Platten an die Seite stellte, die der Idee folgten. Hört man Music for Airports von 1978 nun im Abstand von fast 40 Jahren, so klingt es noch immer frisch und lebendig. Es ist ein wenig, als habe das derzeit wieder so beliebte Danish-Mid-Century-Design der Fünfziger und Sechziger hier seine musikalische Umsetzung gefunden. Reduziert, modern, ausbalanciert, kühl, aber nicht frostig.
Auch gemessen an den Ambient-Stücken der jüngeren Vergangenheit, in denen sich Eno der Idee einer anspruchsvollen funktionellen Musik widmet, Lux aus dem Jahr 2012 und das gerade erschienene neue Album The Ship, fällt Ambient I qualitativ nicht ab. Das kann man als Hinweis darauf betrachten, dass sich die Charakteristika der Ambient Music kaum gewandelt haben: Ruhige Flächen, meist elektronisch generiert, wabern vor sich hin. Stimmen sind selten vorhanden, sie würden das menschliche Ohr zu sehr auf sich lenken. Und das wäre, wie ein Beat, dem Hintergrundcharakter des Ambient abträglich.
In den vergangenen Jahren hat das Genre mit eigenen Festivals und hochgelobten Labels wie der Bochumer Avantgarde-Schmiede Denovali eine neue Hochphase erreicht. Die Beiläufigkeit, gegen die sich Generationen von Komponisten mit Händen und Paukenschlägen gewehrt haben, wird hier zum Programm erhoben. Max Richter veröffentlichte jüngst Sleep, acht Stunden Musik gedacht zum, genau: Schlafen.
Passt zum Betrugsszenario des KapitalismusEs ist sehr einfach, mit ideologiekritischer Verve allein den Ansatzpunkt der Ambient Music für grundfalsch zu halten: Was ist diese Musik denn anderes als eine perfide Form der Aufhübschung und Verschleierung? Ambient packt in Watte, Ambient umschmeichelt und ist in seinem grundsätzlichen Wunsch nach einer Übertünchung aller extremeren Gefühlsäußerungen wie Stress, Verkrampfung, Wut bloß eine weitere Nebelwand im groß angelegten Betrugsszenario namens Kapitalismus: Arbeite, kaufe, schlafe und von vorn. So einfach geht das.
Und stimmt es denn nicht? Entstanden aus der Minimal Music von Steve Reich und passend zum weltfern-spirituellen New Age degradiert Ambient die Musik zum bloßen Hintergrundrauschen. Nächster Halt: Musik für McDonald's und McFit.
Diese pessimistische Erzählung erhält ihr Gewicht vor allem aus der Geschichte der Muzak. Die Muzak ist der ideengeschichtliche Vorgänger der Ambient Music, und Brian Eno selbst war es, der in besagtem Manifest zu Ambient I seinen Ansatz ausdrücklich von der Muzak abgrenzte. Diese ist nach dem Unternehmen benannt, das ab den vierziger Jahren die Hintergrundmusik als Geschäftsmodell perfektioniert hat.
Die Wirkung von Kaufhausmusik ist unbelegtUrsprünglich wurde Muzak - ein Kofferwort aus Music und Kodak - in Fabriken gespielt. Proletarier aller Länder sollten im Lärm der Maschinen produktiver zu Werke gehen. Ein Trick war, die Geschwindigkeit der Musik langsam zu erhöhen. So sollte die Beschleunigung der Umwelt die Beschleunigung der Arbeitenden bewirken. Die Musik lief in Endlosschleifen, und das Unappetitliche des ganzen Ansatzes erschließt sich schnell: Muzak in dieser Form ist nicht nur einfach Hintergrundmusik, die dazu gedacht ist, die Dinge angenehmer zu machen. Sie soll den Druck subtil erhöhen, unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle. Und so wie die Musik, die wenig wahrnehmbar sein soll, so soll, ideologiekritisch gedacht, auch die kapitalistische Intention verdeckt sein.
Bis heute wird ein Großteil der Musik, die in den Kaufhäusern und Fahrstühlen läuft, von Firmen wie Muzak, die seit 2011 nicht mehr als Marke geführt wird, bereitgestellt. Die Idee der Kaufhausmusik ist, dass akustisch ausbalancierte Musik im Hintergrund die Kunden insgeheim zu mehr Konsum verleiten solle. Dass bis heute diese Wirkung wissenschaftlich nicht belegt ist, spielt keine Rolle. Noch immer ist es ein gigantisches Geschäft, weil an die Wirkung geglaubt wird.
Tim Heckers neues Album ist keine Hintergrundmusik mehr
Wenn man nun aber über die naheliegende Kritik am Ambient als Ausbund kapitalistischer Manipulation hinauswill, stellen sich ein paar grundsätzliche Fragen: Wer darf bestimmen, wann und wie Musik zu hören ist? Warum soll das Leise, Unscheinbare und Ausbalancierte in jeder Hinsicht ideologisch sein und damit immer eine zu kritisierende Essenz enthalten? Warum verführt Ambient wie als bürgerlichere Form der Muzak zum Weghören? Ist es nicht umgekehrt, auch umgekehrt? Geht es nicht eigentlich darum, den Entdeckergeist zu wecken? Wie das Kind, das mit der Lupe den Käfer betrachtet, so ist es mit der Ambient Music unter Kopfhörern. Was höre ich da? Field Recordings wollen akustisch entschlüsselt werden. Lowercase, eine radikalisierte Form des Ambient, in dem leise und unhörbare Sounds extrem verstärkt werden, verführt dazu, in diese Stille genau hineinzuhorchen.
Tim Hecker, einer der
einflussreichsten Ambient-Musiker der vergangenen 15 Jahre, führt auf seinem neuen
Album Love Streams wunderbar vor, wie die Vieldeutigkeiten und Anspielungen die
Oberhand gewinnen. Pitchfork findet ein wunderschönes Bild
dafür, wie Hecker seinen Ansatz vorantreibt: Er behandele die Stimmen und
Choräle auf diesem Album nunmehr, wie er zuvor klassische Instrumente wie das
Piano behandele, mit Stahlwolle. Hecker bearbeitet die Ecken und Kanten, die
Umrisse werden weicher, aus der Distanz betrachtet verschwimmen sie.
Ambient und Drone wollen experimentell sein
Heckers neues Album hat mit Ambient als Hintergrundmusik nichts mehr zu tun. Da ist zwar immer noch das Flächige, selbst die eingesetzten Choräle erscheinen groß und transzendental, Hecker arbeitet mit Passagen, die zum Ton sehr deutliche Bilder entstehen lassen. Synthesizer malen arktische Landschaften in die Imagination. Und doch ist Love Streams kein Album, das fließt. Es ist nicht ausbalanciert, es denkt nicht in der dialektischen Aufhebung aller Gegensätze. Sondern diese bleiben, wie im Track Voice Crack, der mit einer nervös hineinschwappenden Gitarre das Unbehagen die Oberhand gewinnen lässt, unvermittelt nebeneinander. Man möge einfach den Test machen und dieses Album in entspannter Lautstärke im Hintergrund laufen lassen – es wird schnell zu fordernd sein. Hecker macht aus Ambient und Drone wieder die experimentellen Genres, die sie selbst mal sein wollten. Gefälligkeit und Leichtigkeit sind dahin, der Kopf arbeitet gegen die Wall of Sound.
Für Brian Enos neues Album The Ship gilt Ähnliches: Eno legt falsche Fährten, wenn das Titelstück The Ship nach Schema F beginnt. Einige Minuten später setzt seine Stimme in verwaschenem Singsang ein, er lamentiert über den Untergang im faktischen und übertragenen Sinne. Die Titanic wird zur Chiffre für menschliche Selbstüberschätzung. In den anschließenden zusammenhängenden drei Akten nimmt die Stimme, ganz ambient-untypisch, immer wieder den größten Raum ein, plötzlich stampft ein Orchester durch den Fluss, der Wohlklang ist dahin. Da sind sie dann eben doch wieder, die Extreme und die Paukenschläge. "Nimm dich in acht, du bist nicht sicher, lehn dich nicht zu früh zurück", scheint Eno dem Hörer zuzuraunen. Das hier als gefällig oder verschleiernd oder zwanghaft entspannend zu hören – kaum vorstellbar.
Ja, es gibt eine Dialektik des Hörens. Da sind, natürlich, Verblendung und Konsum und all das Unappetitliche, aber da sind eben genauso Botschaft und Tiefsinn und Kunst. In einer Zeit, in der glücklicherweise bei den allermeisten angekommen ist, dass auch ein gigantisches und zu verwertendes Konsumgut, ein Produkt wie das neue Album von Beyoncé große Kunst und großer Konsum zugleich sein kann. Dinge haben mehrere Seiten, und das gilt auch für Ambient. Wir nennen das Komplexität.erschienen bei ZEIT ONLINE, 16.5.2016.
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