Jetzt also auch noch der Präsident. Barack Obama bekannte vor wenigen Wochen, sein Song des Jahres 2015 sei How Much a Dollar Cost von Kendrick Lamar. In den Bestenlisten von bis Pitchfork.com landete To Pimp a Butterfly, das dazugehörige Album, auf dem Spitzenplatz. Und innerhalb kürzester Zeit fiel schon das Wort vom Klassiker. Im Herbst spielte Lamar mit dem National Symphony Orchestra einige seiner Songs in Versionen, die auch Rap-Neulingen schmeicheln dürften. Zwischendrin hält er Vorträge in Schulen über seinen eigenen Weg heraus aus Compton, dem berüchtigten Stadtteil von Los Angeles, bekannt für Bandenkriminalität und wenig Perspektive. Jüngst zirkulierten Bilder, auf denen sich Lamar mit Obama im Oval Office trifft. Im Werbeclip für ein staatliches Mentorenprogramm für benachteiligte Jugendliche, in dem die Bilder auftauchen, spricht er mit Pathos in der Stimme: " If this helps a kid to become better in life, I will always be aware of my influence and pay it forward..." Lamar macht alles schrecklich richtig. Er ist zum Prediger geworden. Und fast alle sind restlos begeistert. Die einhellige Emphase ist geradezu verstörend.
Kendrick Lamar ist auf dem besten Wege, Bono den Rang abzulaufen: als omnipräsent wohltätiger Präsidentenanrufer, als der UN-Generalversammlungsbeschallende und friedensnobelpreiserwartende Politikerpopstar. Bono wurde zum Symbol für etwas, das eigentlich unmöglich ist: Er langweilt und nervt gleichzeitig mit seiner friedfertigen Nettigkeit und seinem aktionistisch-symbolischen Drängeln. Niemand kann wollen, dass Lamar es ihm gleichtut.
Was ist seit Lamars zweitem Album Good Kid M.a.a.d. City nur passiert? Dieses Album, das erste auf einem Major-Label und bereits 2012 etwas mehr als ein Geheimtipp in der Musikpresse, war eine brillant verschachtelte Erzählung aus dem Leben des jungen Kendrick Lamar. Das Album oszilliert permanent zwischen Größenwahn und Gewissensbissen, zwischen der Überschätzung der eigenen Möglichkeiten und der Unfähigkeit, der peer group zu entfliehen. Er findet sich wieder zwischen Diebesgut und Freunden, die auch deswegen Freunde sind, weil sie das hier eben gemeinsam tun. Das, was die Hand tut, will nicht zu dem passen, was der Mund sagt und der Kopf denkt. Bin ich nicht eigentlich...? Eigentlich, das entscheidende Wort. Good Kid M.a.a.d. City konnte dieses Schwanken und Stolpern auch musikalisch ausdrücken, es ist druckvoll, abwechslungsreich und auf viel klügere Weise politisch als To Pimp a Butterfly, weil es nicht, wie sein Nachfolger, Politik mit Moral verwechselt.
Wohlfühlmusik ohne GrimmLamars aktuelle Platte ist also das Album der Konsolidierung. Sehr bürgerlich, im Bestehenden verharrend. Gleichsam zutiefst beeindruckt vom Blick in die Ahnenreihen der Black Music - überall scheinen Versatzstücke aus Jazz, Funk und Soul betonen zu wollen, dass die Wucht und Dringlichkeit und die Scharfkantigkeit des sample-orientierteren Good Kid passé ist. Sie verschwindet hinter einem überaus organischen und einheitlichen Sound. Das Album schmeichelt sich ein, es erschließt den Jazz denjenigen, die den Jazz nicht für seine Subversionen schätzen, sondern für seine Entspanntheit. Darin ist Lamar übrigens dem im Mainstream explodierten Retro-Jazz von von Kamasi Washington recht ähnlich. Perfekt produziert, aber eigentlich: ohne Grimm. Und wie bei Washington ist die Behauptung, es handele sich hier um ein politisches Album, das perfekt in die Welt aus black lives matter und den Riots in Ferguson passe, bereits musikalisch völlig unplausibel.
" I done been through a whole lot / Trial, Tribulation, but I know God / The Devil wanna put me in a bow tie / Pray that the holy water don't go dry" heißt es in I. Auch die Bilder in den Songs, die eine optimistischere, selbstsichere Stimmung transportieren sollen, irritieren. Überall flüstert Gott als Ratgeber und Orientierungshilfe. Gott ist das ziemlich schnöde Füllwort für einen unerschütterlichen Optimismus, der, wenn er sich beklagt, den Fehler doch nur bei sich selbst sucht.
Daueroptimismus im Chaka-Modus
Auch Alright beschwört die Selbstliebe in einer Umgebung, die nur Aggression zu belohnen scheint. Und letztlich findet Kendrick Lamar zu dem Glauben, dass all das schon Sinn stiften wird, ja, Gott einen Weg für ihn parat halte. Lamar versinkt in einem bedingungslosen und unterwürfigen Gottesglauben, der volkstümlichen Zersetzung der Theodizee-Frage. Wird schon alles gut gehen. Das ist in seiner Weltabgewandtheit fast schon zynisch. Und dass sich daran ausgerechnet im säkularen deutschsprachigen Raum niemand stört, ist erstaunlich.
Am Ende ist es ausgerechnet jener Song, der die größte Intensität entfaltet, der die Erzählung als falsche Selbstanklage outet. In The Blacker The Berry zerhackt Lamar zunächst im Stakkato die Klischees, die die weiße Mittelschicht ihm, dem Afroamerikaner, gegenüber hat. Am Anfang jeder Strophe steht der Satz "I'm the biggest hypocrite of 2015", "Ich bin der größte Heuchler des Jahres 2015." In der letzten Zeile heißt es dann sinngemäß, es sei verlogen, Polizeigewalt und staatlich gestützten Rassismus gegen die afroamerikanische Community zu beklagen, wenn gleichzeitig permanent Schwarze Schwarze töten. Was soll das heißen? Vor allem dieses "wenn"? Es legt ein absurdes Verständnis von Verantwortung nahe. Denn es gibt einen maßgeblichen Unterschied zwischen einer rassistischen Gewalt, die von den staatlichen Autoritäten ausgeht und rechtlich unsanktioniert bleibt, gegenüber einer verfolgten und geahndeten Gewalt von Bürgern gegen Bürger.
Er delegitimiert schwarzen Protest
Auf den gewaltsamen Tod Michael Browns durch einen Polizisten angesprochen, äußert Lamar im Interview wörtlich: "Wie können wir Respekt erwarten, wenn wir selbst keinen Respekt für uns haben?" Das ist eine verquere Rekonstruktion, die die Proteste gegen Polizeigewalt gegen Schwarze delegitimiert. Zumal die Bandenkriminalität selbst eine Folge einer vom Rassismus bestimmten Gesellschaftsordnung ist: weil soziale Exklusion nachweislich zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit krimineller Grenzüberschreitungen führt. Und weil es wahrscheinlicher ist, dass Tötungsdelikte in der eigenen Umgebung stattfinden. So wird es zuerst zu einer Frage des Städtebaus, des sozialen Ausschlusses und der Einkommensverhältnisse.
Versteigt sich der gottesgläubige Protagonist aus I und Alright zum bedingungslosen Optimismus, dass all das schon in einen großen Plan gehörte, richtet The Blacker The Berry seine Wut auch nur gegen sich selbst und die eigene Community. Da stimmt so einiges nicht.
Wenn
man Lamars Äußerungen hier nicht
zu hoch hängen und sie wohlwollender lesen möchte: Er belehrt, anstatt
eine
Diskussion zu führen, er will unterscheiden zwischen Richtig und Falsch,
anstatt das ganze Grau dazwischen herauszustellen. Lamar
behandelt seine Zuhörerschaft wie derangierte Teenager, denen man eine
Richtung vorgeben sollte. Das ist schön für die Minderheit, die es
braucht. Oder
jene, die sich freiwillig in die Rolle der Bepredigten begeben
wollen. Die merken offensichtlich auch nicht, wie sein
Daueroptimismus im Chaka-Modus nerven kann.
Das scheint die Wahl zu sein, vor der man mit Lamar derzeit steht: Entweder man stört sich daran, wie zahm er jüngst agiert. Oder man fragt nach der politischen Agenda und den Möglichkeiten, die To Pimp a Butterfly erschließt. In beiden Fällen ist das, was Kendrick Lamar derzeit anzubieten hat, nicht das, was die meisten darin sehen. Protestmusik? No way.
erschienen bei ZEIT ONLINE, 27.1.2016.
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