Frank Zappa sagte einmal, es mache einen Unterschied, ob ein Musiker über Gewalt singe oder vor die Tür gehe und Worte durch Taten ersetze. Das ist ein recht naheliegender Satz, aber es scheint, als müssten wieder einmal ein paar Dinge geklärt werden. Die Sache mit der Gewaltdarstellung und der Gewaltausübung beispielsweise. Und es muss vorschnellen Interpretationen widersprochen werden, die zu viel aus der langen Historie der Gewaltandrohungen im Hip-Hop schließen wollen.
Die Rede vom "Pop-Dschihad" ist der jüngste Kristallationspunkt. Sie ist die dunkle Seite der Einsicht, dass Pop politisch, subversiv und ermächtigend sein kann. Er kann manche politisch bedeutsame Haltung lehren: Geh aufrecht, mach den Mund auf, fight for your right. Dies alles kann er auch zum Schlechten, so muss man die derzeitige Debatte verstehen. Es wird beobachtet, wie die Bilder, die wir von Al-Kaida, vom IS zu sehen bekommen, uns ans Blockbusterkino erinnern, an die Gesten und Schnitte von Hip-Hop-Videos und ihre Logik der Überwältigung. Der Verdacht reift: Durch die Beeinflussung durch Popmusik, das Kino und durch die Inszenierung eines Terrors "mit Stil" werden Menschen politisiert für den Krieg.
In Deutschland dient der Werdegang des ehemaligen Rappers Deso Dogg, der mittlerweile unter dem Namen Abu Talha al-Almani angeblich als ein Führungskader des IS in Syrien wirkt, als Musterbeispiel. Zuvor zeigte er seine Muskeln in coolen Posen vor dicken Autos im Großstadtdschungel, jetzt posiert er mit Kalaschnikow in coolen Posen vor dicken Autos in Syrien (mutmaßlich). Oder auch mit einem abgetrennten Kopf in der Hand, wie eines der berüchtigten IS-Videos zeigt.
Dass auch der Gangsta-Rap gern Gewalt zeigt und sie permanent androht, führt oft zum Kurzschluss. Hip-Hop ist größer denn je, und er scheint allerorts den Sozialdarwinismus zu predigen. Ein Eko-Fresh-Double muss im Video zu Das Urteil von Kool Savas sein eigenes Grab schaufeln. Bushido wuchtet einen Song von einer Viertelstunde mit dem TitelLeben und Tod des Kenneth Glöckler in die Öffentlichkeit. Darin geht es vor allem um den zweiten Teil, ums Sterben, durch Bushidos harte Hand natürlich.
Ein Ruf zu den WaffenDie unter dem Begriff Pop-Dschihad aufgeflammte Diskussion darüber, wie viel die Hip-Hop-Kultur eigentlich mit Gewalt und Terror gemein hat, trägt die Handschrift der unzähligen Debatten zuvor, die immer, wenn wir Bilder von Gewalt zu sehen bekommen, zu ihrer eigenen Henne-Ei-Theorie kommen. Nach dem Attentat von Columbine war vielen, die nicht als Digital Natives mit Napster und LAN-Partys aufgewachsen waren, klar: Heavy Metal, Rammstein und Marilyn Manson haben durch ihre gewalttätige Musik, ihre koketten Totalitarismusreferenzen und ihre bösartigen Seitenscheitel einen Ruf zu den Waffen formuliert, der aus drangsalierten Jugendlichen Attentäter macht.
Und die labilen Jünglinge ziehen deswegen los mit ihren Waffen aus dem Schrank des Vaters und richten Menschen hin - weil die Gewalt auf dem Bildschirm und die Gewalt aus den Kopfhörern sie so sehr enthemmt, so abgestumpft hat. Viele Studien haben seitdem zeigen können, dass die Wirkungskette natürlich so simpel nicht ist: Vielmehr suchen sich manche der aggressiven Kids eben verschiedene Terrains, in denen diese Aggression anerkanntes Verhalten ist, Fußball, Gangsta-Rap oder Ego-Shooter zum Beispiel - und doch ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass sie zu Attentätern oder Terroristen werden, minimal.
Neu an dem aktuellen Pop-Dschihad-Narrativ ist, dass nicht mehr nur die 60-Jährigen im Feuilleton darauf bestehen, Internet und Popkultur habe einen allgemeinen Sittenverfall befördert, in dem Gewalt und Terror nur die radikalste Stufe ist. Moritz von Uslar stellte jüngst in einem Text einige äußerliche Ähnlichkeiten von Popkultur-Pose und Terror fest und leistet so bei Nacht und Nebel der Vorstellung Vorschub, es gebe eine Verantwortung der Kunst, es gebe eine Verwerflichkeit der Hip-Hop-Gesten, die etwas zu tun habe mit der greifbaren, systematischen Gewalt des IS.
Noch weiter geht der Philosoph Guillaume Paoli, der zwar dazu ermutigt, die Welt des Hip-Hops ernst zu nehmen, aber dieser doch nur mit kulturpessimistischer Untergangsstimmung begegnet. Doch, es besteht ein großer Unterschied, ob ich die eigene Überhöhung als Größter, Stärkster und Potentester in einem möglichst eloquenten Battle-Rap anstrebe oder der IS Krieg und Gewalt sät.
Paoli und von Uslar verwischen die Grenze zwischen Gewaltdarstellung und -faktizität, zwischen Fantasie und Tagesschau. Unausgesprochen ist dabei nicht nur der Vorwurf gegenüber den brutalen Gesten der Stärke - der freilich zulässig wäre -, sondern auch die Überzeugung, dass der Rap als Kunstform eine Verantwortung habe für das, was die Menschen in Fanshirts mit ihren Leben anfangen. Und hier liegt das Problem. Solche Kritik reduziert die Komplexität zunächst: Musik, die Gewalt ausstellt, führt demnach zur gewalttätigen Praxis. Dann erhöht sie die Komplexität ins Unbewältigbare, indem die Popstars die Haftung übernehmen sollen für das Verhalten ihrer mitunter Millionen Anhänger.
Warum hat der Hip-Hop eigentlich – mal wieder – eine solche Diskussion an der Backe? Und warum kommt die Popmusik im engeren Sinne immer glimpflich davon?
Offensichtlich hat es etwas
damit zu tun, wie beide die Rolle des Künstlers interpretieren. Der Hip-Hop kam
bereits in seinen Anfängen zu einem Ethos der realness. Es müsse echt sein,
was da erzählt wird. Wenn Chuck D. von Public Enemy den tausendfach zitierten
Satz sagt, Hip-Hop sei das "CNN des schwarzen Amerika", dann steckt darin auch
die Vorstellung, es handele sich um echte, reale Vorgänge. Dann ist es
entscheidend, wie die realen Verhältnisse politisch ausschauen.
Die Rolle der Musik besteht darin, zu informieren und Missstände aufzuzeigen. Zu so viel Ernsthaftigkeit passt das Selbstverständnis eines Künstlers nicht, dessen Bühnenpersönlichkeit sich deutlich davon unterscheiden darf, was er im echten Leben meint, denkt, tun muss. Der Begriff der street credibility ist da schon flexibler: Ihm geht es um die Glaubwürdigkeit der gespielten Rolle. Das Identifikationsproblem wird dadurch unterlaufen.
Auch dem Metal wurde im Laufe
seiner Geschichte wiederholt die Frage aufgenötigt, wie er es mit der Grenze
zwischen Darstellung und Gewaltausübung hält. Als eine kleine Gruppe in
Norwegen Anfang der Neunziger den Black Metal aus der Taufe hob, wirkten ihre
kriminellen Akte als eine Art Echtheitsgarantie: Sie taten nicht nur böse, sie
waren nicht nur rhetorisch kirchenfeindlich, homophob, elitär. Sie setzten ihre
Vorstellung vom Recht des Stärkeren auch durch Morde und
Kirchenbrandstiftungen um.
Die Grenzüberschreitung entspricht einer grundsätzlichen Logik der Verschärfung einerseits (Black Metal soll härter sein als alles zuvor) und einer schrägen Logik der Authentifizierung andererseits: "Ich beweise Dir, dass ich es ernst meine, indem ich die Grenze zwischen Bühne und Alltag verschwinden lasse." Aus der Kunst wird Leben. Der Ausnahmezustand wird zum Normalfall.
Der Pop im engeren Sinne reimt
seit Dekaden schon she auf me. Er ist Musik und Haltung der Normalität. Wenn er
vom Exzess spricht, meint er den Diskobesuch, den individualistischen
Hedonismus. Selbst seine schrägsten und prägendsten Figuren wie Michael Jackson
und Madonna besingen Alltäglichkeiten mit größtmöglichem Anschlusspotenzial.
Flirt, Liebe, Trennung, Schmerz.
Heroismus und Romantik
Die Verantwortung der Kunst, die auch in dieser Debatte wieder bemüht wird, gibt es nicht. Sie darf alles, sie sollte alles dürfen. Es ist sinnvoll zu fragen, welche Bedeutung ein jeweiliger Code in einer Szene hat. Und aus welchen gesellschaftlichen Problemlagen heraus Popkultur entsteht. Jedem Kunst-/Literatur-/Musikinteressierten müsste es eigentlich sauer aufstoßen, dass sich Rammstein früh weichkochen ließen von den kritischen Nachfragen der Ahnungslosen, die das für Faschismus hielten, und den Song Links, 2, 3, 4 schrieben, um die Pointe des Witzes auch der schwerhörigen Oma am Essenstisch noch zu erklären.
Die Band DAF, Deutsch-amerikanische Freundschaft, aus dem Punk kommend und Anfang der Achtziger ein Pionier von EBM und Techno, teilt mit Rammstein einige Symbole und Themen: den Flirt mit kollektivistischer und faschistischer Überwältigungsästhetik, ihre Betonung der Homoerotik des Heroismus, ihre aus Romantik und Lebensphilosophie angerührte Lyrik, die immer wieder die Jugend und die Rücksichtslosigkeit besingt. Auf die Nachfrage, ob ihre Ästhetik nicht doch auch Sympathien für den Faschismus ausdrücke, antworteten sie, sie wären zu lustvoll für den Faschismus. Punkt gemacht und dennoch die Regeln des Spiels missachtet. "Nee, wir sind keine Faschos. Aber natürlich nur aus ästhetischen Gründen, nicht aus ethischen."
Vielleicht ist die Popmusik ja doch ein ewiges Phänomen der satten Mittelschicht. Und Hip-Hop ist eben viel mehr. Der Pop motzt, um ein bisschen mehr Freiheit rauszuquetschen aus dem Leben zwischen Abiturprüfung und der Frage, wohin man zum Studieren geht. Der Hip-Hop greift noch nach der Macht, er will nach oben, sich ermächtigen. Starksein ist hier noch anerkanntes Ziel. Eine These wie ein Handkantenschlag, zugegeben. Aber eine, die erhellend wirkt, wenn man mal wieder verwirrt ist von der Tatsache, dass die IS-Videos ja gar nicht so rückständig sind, wie sich das der westliche Bildungsbürger ob der Barbarei vorstellt.
Kontostand und Körperkraft
Der Pop will ein bisschen Spaß, ein paar Regeln brechen. Aber vor allem: ausgehen, die Richtige oder den Richtigen finden. Die Popmusik will frei sein, von Langeweile, frei von einem allzu geregelten Leben, ohne Angst vorm Kater am nächsten Morgen. Pop ist recht genügsam: "Going to the discotheque. Getting high and getting wrecked. I don't wanna go to school. I just wanna break the rules", singt Charli XCX. In dieser Hinsicht ist der Pop individualistisch und idealistisch zugleich. Idealistisch auch, weil ihm der materialistische Blick so schwer fällt: Dass das Bewusstsein vom ökonomischen Sein bestimmt sein soll, leuchtet ihm nicht ein. Hauptsache, die Coolsten im Raum. "Arm aber sexy" als Lebensmotto hilft, wenn die Angst vor dem sozialen Abstieg dann doch mal durchschlägt.
Der Hip-Hop hat klar vor Augen, was er will. Er ist sich sicher, was zu tun wäre, damit es besser wird. Nichts ist mit Generation Maybe. Der Hip-Hop hält wenig vom Relativismus und Konstruktivismus des Mittelschichtspop. Er will dicke Muskeln, dicke Autos, körperliche Stärke, die man an der Hantelbank testen kann. Kontostand und Körperkraft. Das ist messbar. Der Hip-Hop ist materialistisch, er ist auf ökonomischen Aufstieg aus, weil er spürt, dass genau aus diesem eine auch bewusstseinsmäßige Transformation hervorgeht.
Die logische Reaktion auf diesen Unterschied, auf die Tatsache, dass der Mittelschichtspop sich mit ganz anderen Problemen aufhält als die harten Spielarten des Hip-Hop (von Cro und Casper kann hier natürlich nicht die Rede sein) und auch deswegen ganz andere, vielleicht weniger befremdliche Posen findet, müsste ein Blick in die soziologische Fachliteratur sein. Es geht hier um Sozialstruktur, um oben und unten. Es fehlt eine Auseinandersetzung über die Bedingungen, die die Posen von Stärke und Gewalt hervorbringen. Man müsste fragen, in welchen Kontexten Stärke, Dominanz und Gewalt als probates Mittel erscheinen. Das sind gar nicht wenige gesellschaftliche Sphären. Und die Friss-oder-Stirb-Erzählung ist nun wirklich keine Erfindung des Hip-Hop.erschienen bei ZEIT ONLINE, 17.3.2015.
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