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Das lange Warten - ein Afghane in Mainz hofft auf Asyl

Von Neli Mihaylova


MAINZ - "Was hast du heute gemacht?", frage ich Amir* (32) per Kurznachricht. "Nicht viel", antwortet er sofort. "Ich habe mir etwas zu Essen gemacht und ein bisschen Deutsch gelernt."

24 Stunden, erzählt mir Amir später, können sehr lang sein. Besonders, wenn man nichts anderes zu tun hat, als zu warten. Warten auf die Post vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, auf den nächsten Termin für die Anhörung bei einer Behörde, auf Klarheit, auf Zukunft, auf die Möglichkeit, wieder planen zu können, arbeiten zu gehen.

Amir hat in Kabul für die United States Agency for International Development (USAID) gearbeitet, eine amerikanische Behörde für Entwicklungszusammenarbeit. Nach dem Feierabend hat sich der Arzt ehrenamtlich in einer Klinik engagiert. "Ich war gerade fertig mit dem Medizinstudium und wollte noch ein bisschen Praxis sammeln, bevor ich mich für eine Spezialisierung entscheide", schildert er.

Für USAID hat Amir den Angestellten geholfen, Visaanträge zu stellen: "Ich kannte Leute in der Regierung und konnte die Dokumente deswegen schneller bekommen", erzählt er. Er war glücklich mit seinem Leben: "Ich habe viel Geld verdient, war jeden Abend mit Freunden unterwegs, hatte eine Freundin und ein schickes, neues Auto", erzählt der 32-Jährige.

Vier gegen einen

An einem Abend im Juli 2015 kam dann die Morddrohung. Amir war mit seinem Auto an einer Tankstelle. Als er wieder losfahren wollte, kam ein Wagen von der Seite und blockierte seinen Weg. Vier bewaffnete Männer stiegen aus. "Sie wollten wissen, warum ich jeden Tag zur Botschaft fahre", erzählt Amir. Er dachte sich etwas aus. Einer der Männer schlug ihn zu Boden. "Wir wissen alles über dich. Du arbeitest für die Amerikaner. Wir wissen, wo du wohnst und werden dich überall finden. Wenn du uns nicht hilfst, sie aus Afghanistan zu vertreiben, werden wir dich töten", schrien die Männer.

Wer sie waren, weiß er nicht genau: "Wahrscheinlich Taliban, sie haben sich nicht vorgestellt."

Amir versprach, ihnen zu helfen. Er stieg wieder ins Auto und fuhr zu einem Freund: "Ich rief sofort meinen Vater an. Er sagte, ich solle nicht nach Hause kommen."

Am nächsten Tag waren die Männer bei ihm zu Hause: "Sie versammelten meine ganze Familie im Wohnzimmer und fingen an, meinen Vater zu schlagen. Sie wollten wissen, wo ich mich verstecke."

Der Vater erzählte ihnen, Amir sei ins Ausland geflohen. Die Männer gingen. Amir blieb 21 Tage lang in der Wohnung seines Freundes, ohne das Haus zu verlassen. "Mein Bruder fand jemanden, der mir half, unter falschem Namen zu fliehen. Mir war völlig egal, wohin. Hauptsache weg von Kabul."

Alle ausländischen Angestellten der USAID durften einen Antrag auf eine Greencard stellen. "Die Bearbeitungszeit beträgt jedoch über ein Jahr. Ich hatte nicht so viel Zeit."

Am Abend des 21. Tages kam der Anruf des unbekannten Schleppers: "Deine Dokumente sind fertig. Morgen fliegst du nach Dubai. Von dort nach Kiew und danach nach Frankfurt. Nimm nur eine kleine Tasche mit". "Ich hatte Glück, dass ich mir die Flugtickets leisten konnte und nicht über das Meer fliehen musste. Das hätte ich nicht geschafft."

Am Frankfurter Flughafen zerstörte er seinen falschen Ausweis und ging zur nächsten Erstaufnahmestelle in Gießen. Von dort wurde er nach Trier transportiert. Vor vier Monaten kam er nach Mainz.

Amirs Tage in Kabul begannen jeden Morgen früh um halb sieben: "Ich liebe es, früh aufzustehen. Und ich hatte so viel zu tun, dass mir nur wenig Zeit zum Schlafen blieb."

In Mainz wird er auch sehr früh wach. Aber er bleibt im Bett: "Ich surfe zwei bis drei Stunden im Internet, lese Nachrichten aus Afghanistan, schreibe meinen Freunden, danach frühstücke ich." Dreimal in der Woche besucht er einen Deutschkurs. Die restliche Zeit verbringt er an seinem Handy.

Die Trauer kommt meist am Abend: "Ich vermisse meine Familie sehr. Sie wohnen nicht mehr in unserem Haus in Kabul, weil sie Angst haben, dass die Männer wieder kommen. Ich mache mir Sorgen um sie."

"Bereust du es, Afghanistan verlassen zu haben?", frage ich ihn. Amir schweigt kurz. Sein Blick sinkt zu Boden. Er seufzt und sagt: "Ich kann nicht mehr zurück."


* Name der Redaktion bekannt.

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