Seit über 60 Jahren ist er durchgehend offen. 24 Stunden am Tag. Der Elbschlosskeller in Hamburg. Manche Gäste verbringen drei Tage dort, schlafen mit dem Kopf auf dem Tresen. Bloß, um dann weiter zu saufen. Hier trinkt der Millionär mit dem Obdachlosen, die Prostituierte mit dem Pastor.
Heinz Strunk sagte: "Der Elbschlosskeller ist der Vorhof zur Hölle". Der Elbschlosskeller, der am Hamburger Berg 38 liegt - direkt gegenüber vom Goldenen Handschuh - hat seine Geschichte:
[Instagram Embed: https://www.instagram.com/p/BtBM8RxAkkg/]Daniel Schmid ist der Pächter. Vor ihm führte schon sein Vater den Laden. Mit 14 betrat er das erste Mal die heilige Hölle. Mit 18 stand er selbst am Tresen. Mittlerweile ist er Familienvater, betreibt noch zwei weitere Kneipen und hat ein Buch veröffentlicht: „Elbschlosskeller. Kein Roman". Darin erzählt er von seinen Stammgästen, ihren Schicksalen und seiner eigenen Geschichte. Wir sprachen mit dem härtesten Wirt Deutschlands über seinen schlimmsten Moment, seine soziale Ader und den heftigsten Adrenalinstoß, den er je hatte.
[Instagram Embed: https://www.instagram.com/p/BscfRlAADGi/]Meine Frau, ich, die Angestellten und die Gäste. Bei uns ist so eine herzlich-warme Aura. Die kriegt man aber erst mit, wenn man sich die Mühe macht, mal ein oder zwei Stunden zu bleiben.
Manchmal riecht es schon am Eingang schlimm, weil wir rund um die Uhr geöffnet haben. Aber falls die sich dann doch reintrauen, trinken die ein Bier und gehen wieder. Du musst dir die Mühe machen, ein, zwei Stunden zu bleiben. Dann wirst du herzlich aufgenommen. Irgendjemand kommt auf dich zu und empfängt dich mit offenen Armen. Dem geht es meist zehn Mal schlechter als dir. Trotzdem ist er für dich da. Bietet dir in irgendeiner Form Hilfe an.
Egal, ob die Angestellten, oder die Stammgäste, das sind alles Menschen, die viel hatten und viel verloren haben. Und deshalb halten die zusammen.
Exzessiv. Radikal. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich nur noch Dienstag und Mittwoch im Elbschlosskeller arbeite - immer von 14 bis 22 Uhr. Ich habe mein halbes Leben lang ohne Ende Party gemacht.
[Instagram Embed: https://www.instagram.com/p/Bs5dqA0g2i-/]Du musst ein dickes Fell haben. Du kannst nicht normal sein, um den Job zu machen. Du brauchst Leute, die zuverlässig sind. Aber normal sterbliche Arbeiter geben nach zwei Tagen auf.
Man muss einen an der Marmel haben. Bis auf meine Frau und mich, waren alle meine Angestellten im Gefängnis. Das ist jetzt aber keine Voraussetzung (lacht). Was Voraussetzung ist: Soziale Kompetenz und Trinkfestigkeit.
Also mein Vater, der den Elbschlosskeller auch schon geschmissen hat, sagte immer: „Trinken ja, saufen nein." Das ist auch mein Credo. Es ist nicht verkehrt, zwei, drei Bier während der Schicht zu trinken. Du musst ja auch die ganzen Nervigen und Psychos aushalten, die vor dem Tresen stehen.
Ja, für gescheiterte Existenzen, verlorene Seelen, Verrückte. Ich zähle mich selbst dazu. Ich fühle mit den Menschen mit. Sie sind Teil unserer Gesellschaft. Und somit Teil von uns. Und jeder von uns kann so werden. Ich bin nicht besser als die.
[Instagram Embed: https://www.instagram.com/p/Bs_xLeZgCo9/]Es stand schon jemand mit einem Schlachterbeil vor mir. Es sind Leute gestorben. Ich habe mit 20 schon mehr gesehen, als andere mit 40. Du verbringst zwei, drei Tage im Keller und erfährst mehr, als woanders in einem Jahr: Mord. Drogen. Sex.
Ich hatte eine Frau am Tresen sitzen. Silke. Die sagte dann irgendwann im Suff zu mir, dass sie ihren Kinderwagen am Albersplatz stehen gelassen hat. Der ist so hundert Meter vom Elbschlosskeller entfernt. Mitten im Nachtleben, mitten im Rotlichtmillieu. Und ich: „Wie deinen Kinderwagen?!" - „Ja, ich habe vor drei Tagen ein Kind bekommen."
Ich habe einem Bekannten Bescheid gegeben, dass der sich darum kümmern soll. Der ist dann weg und kam nicht wieder. Ich hoffe, der hat das gemacht.
Ja, immer. Im Moment sind es drei Männer. Einer von ihnen ist ein türkischer Familienvater, der von seiner Frau rausgeschmissen wurde und sich total dafür schämt.
Ich habe eine Pflicht, eine Verantwortung. Natürlich will ich Geld verdienen, freue mich, wenn jemand richtig tanken kann. Aber ich will die Leute nicht bis zum Tod abfüllen.
Und manche haben kein Geld und versuchen kackfrech an Drinks zu kommen. Von denen lasse ich mir dann zunächst das Portemonnaie zeigen. Das sagt mir meine Menschenkenntnis.
[Instagram Embed: https://www.instagram.com/p/Bt0QRuRAdMy/]Letztens saß ein Vater bei mir am Tresen, der seinen Sohn ins Heim gegeben hatte, weil der ADHS hat. Ich habe ihn dann ganz dreist gefragt, warum er das gemacht hat. Ich kannte den Mann nach zehn Minuten. Ich wusste sofort, was das Problem der beiden war. Er saß die ganze Zeit hier, um den Frust wegzusaufen. Der Sohn, der mittlerweile wieder bei ihm wohnte, oben in der Wohnung. Ich habe dann zu ihm gesagt: Du bist sein Schutzbefohlener. Das Kind fühlt sich nicht gewollt und abgeschoben. Du kannst das nicht rückgängig machen. Aber wenn du was gut machen willst und das bist du ihm schuldig, dann nimmst du ihn in den Arm, richtig doll und sagst ihm, dass es dir leidtut, dass du damals versagt hast. Dass du ihn losgelassen hast.
Ja, hat er. Sowas kann ich. Ich sehe das. Das liegt in unserer Familie: Meine Oma war eine weiße Hexe. Sie konnte Gürtelrosen und Warzen besprechen. Sie war Heilerin. Mein Onkel ist Physiotherapeut. Meine Mutter ist Altenpflegerin. Meine Oma ist Kindergärtnerin. Meine Schwester war Erzieherin.
Er ist das Beste, das mir je passiert ist. Ich habe außer Heroin jede Droge genommen, die es gibt. Einige harte, schöne und auch schlimme Rauschzustände. Ich war lange Hooligan, bin mit 300 km/h mit dem Motorrad über die Autobahn gefahren. Ich bin Fallschirm gesprungen. Ich hatte in Thailand, im größten Puff der Welt, Sex ohne Gummi, und hatte Glück, mir nichts einzufangen. Das ist Russisch Roulette. Ich bin Adrenalinjunkie. Aber den krassesten Adrenalinstoß hatte ich, als mein Sohn geboren wurde. An dieses Gefühl kommt keine Droge, kein Motorradfahren, kein Fallschirmspringen ran.
Zehn Tage bevor mein Sohn geboren wurde, ist meine Schwester gestorben. Zum selben Zeitpunkt hatte ich auch eine Exfreundin verloren. Und mein Vater hat mir die Vaterschaft gekündigt. Es war so viel auf einmal, dass ich, vor drei Jahren einen mega krassen Drogenrückfall hatte.
[Instagram Embed: https://www.instagram.com/p/BuBmdHuADFv/]Durch meine Struktur, meine Rituale, den Sport. Ich gehe vier Mal die Woche zum Thaiboxen und anschließend in die Saunalandschaft, meditiere. Wenn ich aus der Struktur draußen bin, dann geht das ganz schnell nach hinten los. Das liegt auch an meinem ADHS. Anfangs bin ich bei einer Sache Feuer und Flamme - wie ein Streichholz am Benzinkanister. Das schlägt schnell um. Im Keller ist das nicht so. Da passiert immer was Neues. Da habe ich ein freies Leben.
"Elbschlosskeller. Kein Roman" von Daniel SchmidtFalls Sie mehr über Daniel Schmidt, den skurrilen Keller und die krassen Geschichten der Gäste erfahren wollen, lesen Sie "Elbschlosskeller. Kein Roman" von Daniel Schmidt, erschienen bei Edel Books, um 18 Euro.
Sie sind auf den Geschmack gekommen und wollen diesem einzigartigen Ort einen Besuch abstatten? Dann empfiehlt Daniel Schmidt von Montag bis Donnerstag zu kommen. Denn am Wochenende, eigentlich schon ab Donnerstagabend, kommen die Touri-Horden.