Heidelberg. Der Regen prasselt ans Fenster, als sich Liza Chernova auf Skype zuschaltet. Ihr Hintergrund: ein Regal, ein Kleiderschrank, auf dem Yoga-Matten und ein Koffer verstaut wurden. Platz sparen - das Übliche im Studentenleben. Den Lockdown verbringt sie in ihrer WG im Neuenheimer Feld mit ihren zwei Mitbewohnern: "Ich bin froh, sie zu haben, so ist es nicht ganz so einsam", sagt sie.
Das R rollt Liza Chernova mit einem klaren russischen Akzent. Liza gehört zu den etwa 5000 ausländischen Studierenden an der Universität Heidelberg. Seit diesem Jahr darf sie sich auch zu den 27 Preisträgern des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) zählen. Im Januar erhielt sie in einer kleinen Zeremonie die jährliche Ehrung für besonders engagierte Studierende aus dem Ausland. Der Preis ist mit 1000 Euro dotiert.
Liza, eigentlich Elizaveta, ist gebürtige Russin und verbrachte die ersten elf Jahre ihres Lebens in Moskau, bis die Arbeit ihrer Eltern die Familie nach Kroatien zog. In Rijeka, einer Großstadt an der Adria, mussten sie sich zunächst orientieren: Weder Liza, noch ihre Familie sprachen ein Wort kroatisch. Unklar war vor allem, wie lange sie bleiben würden. "Meine Eltern wollten nicht, dass wir uns die Mühe machen, kroatisch zu lernen und dann auf einmal wieder umziehen müssen", sagt sie. Somit besuchten sie und ihr jüngerer Bruder zunächst eine Schule für die italienische Minderheit in Kroatien. Alle Fächer waren auf Italienisch - eine Sprache, die Liza zu diesem Zeitpunkt noch nie gesprochen hatte. Wenn sie doch wieder umziehen müssten, wäre Italienisch nützlicher, so die Überlegung.
Die letzten vier Jahre ihrer Schullaufbahn wechselte sie dann doch auf eine kroatische Schule. Die Sprache sei ihr dabei gar nicht so schwergefallen: "Kroatisch ist sehr ähnlich zu Russisch", sagt sie. "Ich kann mich auch gar nicht richtig an die Zeit erinnern, in der ich die Sprache gelernt habe. Ich glaube, als Kind ist es immer leichter." Am kroatischen Gymnasium begann sie auch, Deutsch zu lernen und besuchte zum ersten Mal bei Ausflügen verschiedene Ecken Deutschlands.
Deutsch, Russisch, Kroatisch und Italienisch, spricht sie also. "Und Englisch", fügt sie hinzu. Es wirkt nicht wie Angeberei - Liza erklärt, dass sie mit 20 Jahren fünf Sprachen spricht, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sie scheint kein Mensch für Firlefanz: Sie trägt einen schlichten Pullover, ihre dunklen Locken fallen ganz natürlich auf ihre Schultern. Ihre Erfolge und Erlebnisse schildert sie nüchtern und gelassen. Und davon gibt es einige.
Seit 2019 studiert sie in Heidelberg Molekulare Biotechnologie, mittlerweile ist sie im dritten Semester. Allein das ist schon ein Verdienst: "Es haben schon einige abgebrochen", sagt sie. "Viele kommen mit einer 1,0 aus der Schulzeit und müssen sich dann plötzlich in einem Studiengang zurechtfinden, in dem jeder auf einem hohen Niveau ist." Für Liza stehen aber Naturwissenschaften schon immer an erster Stelle. Im Technischen Museum in Moskau habe sie das erste Mal bei Chemievorführungen ihre Leidenschaft dafür entdeckt. Und überhaupt: In einer Familie von Physikern und Ingenieuren wäre sie eher der Außenseiter, wenn sie eine andere Richtung eingeschlagen hätte.
Ihre Eltern wohnen noch in Kroatien, lediglich zwei Großeltern hat sie noch in Russland. Gäbe es kein Corona, würde sie sie öfters besuchen, sagt sie. Eine große Verbindung zu Russland habe sie aber nicht mehr wirklich. Stattdessen zog es sie nach Deutschland, wo die Chancen auf ein gutes Studium besser schienen als in Kroatien.
In Heidelberg fand sie sich mit einer Sprache konfrontiert, die so ganz anders klang als die, die sie aus ihren Schulbüchern kannte. Vor allem wenn Einheimische von "Erschtis" redeten. Ihre Liebe zu Stadt und Studiengang fand sie aber schnell. Im Herbst empfahl ihre Studienkoordinatorin sie für den DAAD-Preis, im Dezember wurde sie ausgewählt. Liza habe sich insbesondere durch ihr wissenschaftliches Interesse und ihr soziales Engagement qualifiziert, hieß es in der Begründung.
Ihr wissenschaftliches Interesse konnte sie dabei besonders im letzten Jahr ausleben: Von Dezember 2019 bis November 2020 war Liza Mitglied des "Team Heidelbergs" beim iGEM Wettbewerb (International Genetically Engineered Machine Competition), einem Biologie-Wettstreit für Studierende und Schüler aus aller Welt. Das Ziel ihres Teams war - ganz simpel ausgedrückt - Proteine mit RNA zu verknüpfen und damit neue Möglichkeiten bei der Kontrolle von Zellsystemen zu schaffen.
Von der Entwicklung bis zur Fertigstellung beteiligte Liza sich an jeder Etappe. "Als Zweitsemester hatte ich natürlich viel zu wenig Ahnung", gesteht sie. Trotzdem habe sie viel gelernt: "Es war so viel möglich, was man im Studium nicht selber machen kann", sagt sie. "Man macht Fehler, auch dumme, aber man lernt ständig dazu." Und das machte sich bezahlt: Das Team Heidelberg gewann eine Goldmedaille. Dieses Jahr setzt Liza erst mal aus - das Projekt habe zwar Spaß gemacht, aber nehme auch sehr viel Zeit in Anspruch. Stattdessen berät sie das diesjährige Team.
Aber auch außerhalb ihres Fachs engagiert sich die Studentin auf unterschiedliche Weise. Sie spielt seit ihrer Kindheit Querflöte, bis Corona im Blasorchester der Uni. Sie engagiert sich in ihrer Fachschaft, ist Mentorin für Erstsemester in ihrem Studiengang, und beteiligte sich bis zum Herbst bei "Studieren ohne Grenzen". Und das alles neben einem Vollzeitstudium: "Ich glaube, es ist wichtig, sich auch Pausen zu nehmen", sagt sie. "Nicht vergessen zu schlafen, Sport zu machen, jeden Tag mal rausgehen. Sonst wird man verrückt." Was Liza nach Bachelor und Master machen möchte, weiß sie noch nicht genau. Fest steht, dass sie zunächst in Deutschland bleiben möchte, auch wenn sie manchmal ihre Heimat an der Mittelmeerküste vermisst. Und was macht sie mit den 1000 Euro Preisgeld? "Die brauche ich zum Leben", sagt sie. "Aber vielleicht gönne ich mir einen kleinen Urlaub." Wenn die Pandemie es zulässt, natürlich.