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Krim-Konflikt: Die Verantwortung Europas


Donnerstag 17. April 2014, von  Natalia Sadovnik


Ist die EU im Fall Ukraine mitverantwortlich für die Krise, wie der konservative Spitzenkandidat für die EU-Parlamentswahl Jean Claude Juncker sagt? Was er nicht erwähnt: Die westliche Politik in der Ukraine spielt vor allem Moskau in die Hände.

 

Es war abzusehen, dass die ukrainische Annäherung an die EU dem Kreml nicht in den Kram passen würde. Man hätte Russland vorher durchaus an den Verhandlungstisch bitten können. Dadurch wäre die jetzige Situation aber wohl nur vermeidbar gewesen, wenn Putin sich mit seinen Forderungen durchgesetzt hätte. Er hat seine eigenen Pläne, was die Ukraine angeht und das hat Tradition. Die Nachbarstaaten zu dominieren ist seit jeher fester Bestandteil russischer Außenpolitik. Der Zusammenbruch der Sowjetunion ist für Putin „die schlimmste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Polen, Tschechen, Letten, Esten, Litauer und viele andere Völker, denen Moskau nach dem Zweiten Weltkrieg ein totalitäres System aufzwang und jeglichen Widerstand brutal niederwalzte, sehen das naturgemäß anders.

 

Bedroht der Westen Russland?

 

Wenn Putin behauptet, die NATO- und die EU-Osterweiterungen wären eine Bedrohung für Russland, verkennt er mehrere Dinge. Erstens, wurde die NATO-Mitgliedschaft den ehemaligen Ostblockländern nicht aufgezwungen, sondern von ihnen selber angestrebt – vor allem, um sich vor imperialen Ambitionen Russlands zu schützen. Zweitens, zeigten sich bisher weder die EU noch die NATO bereit, die Ukraine in nächster Zukunft aufzunehmen. Zu viele Kriterien müssten noch erfüllt werden – von „drängen“ kann da nicht die Rede sein. In der ukrainischen Bevölkerung war der Gedanke eines NATO-Beitritts laut verschiedenen Umfragen nie sonderlich populär. Angesichts der Gefahr eines russischen Einmarsches werden jedoch vermutlich mehr Ukrainer eine mögliche NATO-Mitgliedschaft gutheißen.

 

Es drängt sich die Frage auf, warum sich Russland vom Westen eingekreist fühlt, obwohl das Land sich nach dem Zerfall der Sowjetunion zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bekannt hat. Zwar kann man nicht erwarten, dass russische Führungspolitiker plötzlich Sympathie für die NATO entwickeln. Doch von einer direkten Bedrohung können nur diejenigen ausgehen, die noch in den Kategorien des Kalten Krieges denken.

 

Wer also für Putins Behauptungen Verständnis zeigt, spricht Ländern wie der Ukraine das Recht ab, ihre Verbündeten selbst zu wählen. Damit wird die Unabhängigkeit der einzelnen Völker infrage gestellt, sie werden zu Schachfiguren im geopolitischen Spiel zwischen den Machtblöcken degradiert. Dabei geht es für diese Staaten um ihre Sicherheit und territoriale Integrität, die im Falle Ukraine bereits verletzt wurde. Die russische Führung zeigt, dass sie keine Verträge achtet, wenn ihre Interessen betroffen sind. Je aggressiver die Rhetorik der russischen Führungsspitze, je rücksichtsloser ihre Außenpolitik, desto mehr Schutz suchen die ehemaligen Ostblockländer.

 

Doch die EU hatte es mit ihrer Hilfe bislang nicht besonders eilig. Selbst der frühere Erweiterungskommissar Günter Verheugen bemängelte das Fehlen einer einheitlichen EU-Strategie für die Ukraine. Der konservative Spitzenkandidat Juncker sieht das ähnlich: „Ich bin generell der Auffassung, dass wir das Thema Ukraine unterbeleuchtet haben in den vergangenen zehn Jahren“, sagte er gegenüber dem Deutschlandfunk. Die EU habe im richtigen Moment den Ukrainern zu wenig Finanzhilfe zugesichert, weswegen die Staatengemeinschaft eine „Teilverantwortung“ am jetzigen Konflikt mit Russland habe.

 

Kontrolle über die Ukraine

 

Auch andere Argumente fallen, wenn es um die Schuld der Europäer geht. So würde das EU-Assoziierungsabkommen die „ohnehin gespaltene“ Ukraine zur Wahl zwischen Russland oder dem Westen zwingen. Dabei würde das Abkommen die wirtschaftliche Freiheit der Ukraine überhaupt nicht einschränken. Dagegen schließt die von Putin geplante Zollunion ein ukrainisches Freihandelsabkommen mit der EU aus. Selbst der Ex-Präsident Janukowitsch, der als pro-russisch gilt, hatte es nicht eilig, der Zollunion beizutreten. Vielmehr hielt ihn der Druck aus Moskau davon ab, das EU-Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen.

 

Unter keinen Umständen möchte Putin, dass die Ukraine sich Richtung Europa entwickelt. Russland betrachtet das Land als seine Interessensphäre und nicht als souveränen Staat. Mehrmals war von Putin zu hören, dass die Ukraine eine künstliche Nation sei. Damit steht der Staatspräsident in einer langen Tradition russischer Herrscher, die alles Ukrainische unterdrückten. Bereits im 17. Jahrhundert verbot Moskau das Drucken von ukrainischen Büchern und Zeitungen sowie das Abhalten von Gottesdiensten in der Sprache. Vor allem in Großstädten wurde Ukrainisch aus dem öffentlichen Leben verbannt. Noch heute werden in der Ukraine mehr Zeitungen und Bücher auf Russisch gedruckt, als in der Landessprache. Für Putin ist die Negierung ukrainischer Eigenständigkeit ein politisches Instrument, um das Land erneut unter russische Kontrolle zu bringen. Der Kreml fordert öffentlich eine Föderalisierung der Ukraine, was die Kontrolle im Osten des Landes erleichtern würde. Dort rufen pro-russische Aktivisten zu Referenden für einen Russland-Beitritt auf. Eine Destabilisierung der Ukraine kommt dem Kreml entgegen.

 

EU-Annäherung: Fluch oder Segen?

 

Doch auch die EU-Politik begünstigt die Eskalation. Noch immer verlässt sich der Westen auf die Kreditpraxis des Internationalen Währungsfonds (IWF), obwohl die von ihm geforderte radikale Marktfreiheit und strenge Sparauflagen vielen Ländern nachweislich geschadet haben.

 

Die Auflagen des IWF greifen tief in die nationale Politik ein. Die Prinzipien sind immer dieselben: Privatisierung, Marktöffnung, Haushaltskonsolidierung. Rappelt sich die Wirtschaft nicht wie erhofft auf, wird das Land über neue Kredite zur Tilgung vorheriger Schulden immer abhängiger. So erging es der russischen Wirtschaft in den 1990er Jahren. Die Privatisierung führte zur Konzentration von Vermögen in den Händen von Oligarchen, die heute ganze Branchen kontrollieren. Die Marktöffnung ruinierte die russische Produktion, die nicht konkurrenzfähig war. Nach der Krise 1998 wurde Russland wirtschaftlich und politisch immer abhängiger vom Westen. Viele Russen erinnern sich an eine Zeit der Massenarmut und Hilflosigkeit, ein gefundenes Fressen für Anti-Westler. Da sollte es niemanden wundern, wenn die Menschen in Russland sich nach starker Führung und wirtschaftlicher Stabilität sehnen.

 

In der Ukraine wird eine ähnlich neoliberale Politik verfolgt. Die dortige Übergangsregierung konnte gerade so die Zahlungsunfähigkeit verhindern. Die angespannte Beziehung zu Russland sorgt zudem nicht gerade für eine wirtschaftliche Erholung. Doch der IWF hält an seiner Sparpolitik fest. Als Folge sollen die Gaspreise um die Hälfte steigen und die ohnehin niedrigen Transferzahlungen gekürzt werden. In den Ländern, in denen viele bereits unter der Armutsgrenze leben und es keinen wohlfahrtsstaatlichen Schutzmechanismus wie in Westeuropa gibt, ist das unverantwortlich.

 

Eine solche Politik macht die Ukraine anfälliger für russischen Druck. Das westliche Spardiktat kann die Ukraine noch weiter destabilisieren, was vor allem dem Kreml in die Hände spielt. Erholt sich die Wirtschaft nicht, gerät die Ukraine in eine zunehmende Abhängigkeit vom Westen. Spätestens dann kann von einer partnerschaftlichen Politik auf Augenhöhe nicht mehr die Rede sein.