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Stirbt das Trampen aus?

Daumen raus und rein ins Abenteuer - dafür steht das Trampen.

Das Trampen hat für viele seinen Reiz verloren / Manche suchen jedoch bewusst nach spontanen Begegnungen.


Philosophische Gespräche mit Lkw-Fahrern, nostalgische Sponti-Ausflüge mittelalter Damen ("Damals in den 68er Jahren, da haben wir noch gelebt. Gelebt!") oder Dobermänner auf dem Rücksitz, die beginnen, einem den Nacken abzulecken - irgendwas war immer los. Und heute? Heute wird nur noch übers Trampen geredet, wenn Hitchbot, der autonome Roboter aus Kanada, per Autostopp durch die Lande fährt. Irgendwie schade. Stirbt das Trampen wirklich aus?


Zahlen, die dies belegen, gibt es nicht. Fest steht jedoch: Verabredete Mitfahrgelegenheiten und billige Fernbusreisen machen dem Trampen Konkurrenz. Sie stellen zuverlässige und sichere Alternativen dar. Tourismuspsychologe Jürgen Kagelmann versucht, das zu erklären: "Die Menschen in Deutschland lieben ihre Sicherheit. Es geht mittlerweile nicht mehr nur um die billigste Reisevariante, sondern auch um die sicherste. Man will nichts dem Zufall überlassen."


Doch ist Trampen wirklich so unsicher und gefährlich? Kommt es dabei tatsächlich überdurchschnittlich oft zu Delikten? Auch das lässt sich kaum belegen. Weder das Landeskriminalamt in Baden-Württemberg, noch die Ämter in Bayern, in Hessen oder Nordrhein-Westfalen werten ihre Deliktstatistiken gesondert nach Übergriffen beim Trampen aus.


Die einzige Studie, die einen Anhaltspunkt bietet, ist bereits 25 Jahre alt. Auch das sagt wohl einiges über die Aktualität des Trampens aus. Im Jahr 1989 hat das Bundeskriminalamt in Wiesbaden die Universität Wuppertal beauftragt, die Gefährlichkeit des Trampens zu untersuchen. Die Studie trägt den fetzigen Namen "Anhalterwesen und Anhaltergefahren". Die Ergebnisse überraschten übrigens schon damals. Die Untersuchung kam zu dem Fazit, dass es statistisch gesehen bei einer von 10 000 mitgenommenen Tramperinnen zu einer Vergewaltigung und bei zwei von 1000 Fahrten zu einem Vergewaltigungsversuch kam. Das ist vergleichsweise wenig. Denn auch an anderen Orten werden Menschen angegriffen und sexuell misshandelt.


Doch selbst wenn das Trampen heute ähnlich ungefährlich wäre, würde es laut Kagelmann wohl immer unattraktiver werden. "Das Wertesystem der Menschen hat sich geändert. Sie wollen höchstmögliche Kontrolle. Abenteuerliche Reisen ja, aber nur wenn man weiß, woran man ist." Früher sei es einfacher gewesen, sich durch Reisen abzugrenzen: "Wenn man gesagt hat: Ich trampe nach Marseille und tuckere auf einem Bananendampfer nach Südamerika, war das gewagt. Will heute jemand nach Südamerika, blättert er im Aldi-Katalog. Also: Wenn ich Abenteuer und Sicherheit haben kann, warum sollte ich trampen?"


Weichen die Zufälligkeit und Spontanität des Trampens wirklich einem größeren Sicherheitsbedürfnis? Nicht, wenn man der Philosophiestudentin Christine Kath Glauben schenkt. In ihrer Bachelor-Arbeit mit dem Titel "Das Trampen - eine soziale Praxis zwischen Individualtourismus und Lebensstil" kommt sie zu dem Schluss, dass es vor allem die spontanen Begegnungen sind, die den besonderen Reiz für die Tramper ausmachen.

Da es wenig sozialwissenschaftliche Literatur zum Thema Trampen gibt, führte sie Interviews mit Trampern. Diese fand sie über das Online-Portal Hitchwiki und über den Verein "Abgefahren." Über diese Plattformen werden regelmäßig Tramprennen organisiert. Die Teilnehmer trampen (englisch: to hitchhike) dabei oft in Zweierteams zu einer Stadt, deren Name erst kurz vorher verkündet wird. Das Team, das am schnellsten da ist, gewinnt. Es geht aber auch ohne Rennen - über die Plattformen kann sich vernetzen, wer nicht allein trampen will.


Kath verortet den Hitchhiker des 21. Jahrhunderts zwischen dem Individualtouristen und dem Inhaber eines alternativen Lebensstils. Es gehe dabei weniger darum, zu zeigen, dass man einer Gegenkultur angehöre, die auf Geld und eigene Autos verzichtet. Vielmehr trampten junge Menschen, weil sie nach Abenteuern, Erlebnissen und Freiheit suchten. Und nach spontanen Begegnungen.

Autor: Nadine Zeller

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