Bäm! Der Baseballschläger landet krachend auf der Windschutzscheibe. Die Alarmanlage, die eben noch ein ohrenbetäubendes Heulen von sich gegeben hat, verstummt. David Owen lächelt. Endlich Stille. Der New Yorker Anwalt hat eine Mission. Er will die Metropole von Lärm befreien und schreckt dabei vor nichts zurück.
In der Filmsatire "Noise"- auf Deutsch: Lärm - treibt der allgegenwärtige Krach einen Großstadtbewohner so in den Wahnsinn, dass er zurückschlägt und zum stadtbekannten Lärmgegner wird, dem kein Mittel zu extrem ist. Die Sehnsucht nach Stille teilen viele Menschen. Dennoch ist unser Alltag geprägt von Autohupen, Reifenrauschen, Laubbläsern, Flugzeugdröhnen, Hintergrundmusik in Kaufhäusern, Handygebimmel, Telefongeprächen und Tastaturgeklacker der Kollegen.
Dabei stören den einen Geräusche, die den anderen kalt lassen: Während Musikfans freiwillig zum Heavy-Metal-Festival Wacken strömen und wohlig im Dezibelrausch schwelgen, nervt andere schon das leise Summen einer Stechfliege. Genaugenommen meint der Begriff Lärm also nicht nur die Dezibelzahl, sondern auch die Qualität eines Geräusches. Dennoch ist das Drosseln der Lautstärke ein erster Schritt.
Um Lärm zu vermeiden, greifen Wissenschaftler mitunter zu ungewöhnlichen Methoden. So haben Forscher aus Darmstadt einen Weg gefunden, Lärm mit Lärm zu bekämpfen: Um Innenräume vor den Geräuschen des Straßenverkehrs zu schützen, platzieren sie Lautsprecher in Doppelglasfenstern.
Akustiker Joachim Bös lacht, wenn er von der Arbeit seiner Kollegen erzählt: "Das klingt natürlich erst mal widersinnig: Lautsprecher gegen den Lärm. Aber die Methode ist ziemlich effektiv." Fährt ein Auto vor der Wohnungstür vorbei, bringt der Schall die Luft zum Schwingen. Diese Schwingung trifft auf die äußere Fensterscheibe und drückt sie leicht ein. Durch den im Fensterzwischenraum entstehenden Unterdruck bewegt sich auch die innere Scheibe. Das Resultat: Der Schall landet in der Wohnung. Also versuchten die Forscher mit einem Trick, die inneren Fensterscheiben vom Schwingen abzuhalten.
Generell tritt Schall in Wellen auf. Er bildet Wellenberge und Wellentäler. Wellenberge kennzeichnet höherer Schalldruck höher, Wellentälern niedrigerer. "Wir wussten: Wenn wir es schaffen würden, mit dem Lautsprecher Wellen loszuschicken, die der ankommenden Lärmwelle derart entgegen schwappen, dass Wellental auf Wellenberg trifft, würde es uns gelingen, die Wellen einzuebnen", erklärt Bös. Experten nennen dieses Phänomen destruktive Interferenz, weil sich Schallberg und Schalltal gegenseitig auslöschen.
Also bauten die Forscher kleine Lautsprecher in die Scheiben der Doppelglasfenster ein. Ein Sensor misst dabei die Oberflächenschwingungen der äußeren Fensterscheibe und stellt den Lautsprecher so ein, dass er den ankommenden Schalldruck ausgleicht. Das Problem: Auf diese Weise bekommt man zwar Doppelglasfenster leise, aber viele andere Räume nicht. Denn Schall breitet sich kugelförmig aus. Das Kontern mit Gegenwellen funktioniert also nur, wenn die ankommende Welle berechenbar und geradlinig ist.
Im Innern eines Doppelglasfensters breitet sich der Schall wegen der kurzen Distanz nahezu linear aus. "Die Wellen gehen von A und B - also von der Außen- zur Innenscheibe. Wir haben einen flächigen Schalldruck, auf den wir gut reagieren können. Bei vielen anderen Geräuschquellen jedoch, etwa bei Windrädern, funktioniert diese Technik nicht. Kugelförmige Schallwellen einzuebnen, ist ähnlich aussichtslos, wie der Versuch, Zwiebelscheiben ineinanderzuschieben", sagt der Akustiker. Im schlimmsten Fall erziele man damit genau den gegenteiligen Effekt: Ein Wellenberg treffe auf einen Wellenberg und verstärke das Geräusch.
Aus diesem Grund hält Bös ein anderes Vorgehen für effizienter. Generell lassen sich drei Schallbekämpfungsmethoden unterscheiden. Die bereits beschriebene nennt sich "active noise control": Lautsprecher werden eingesetzt, um gezielt Gegengeräusche zu erzeugen. Die zweite Methode heißt "active vibration control". Hier geht es darum, potenzielle Geräuschquellen so zu beeinflussen, dass sie gar keine Schallwellen aussenden.
Diese Methode greift also eher an der Wurzel des Problems und versucht, bestimmte Schwingungen erst gar nicht entstehen zu lassen. So gibt es beispielsweise Apparate, die dafür sorgen, dass bestimmte Teile von Windkraftanlagen nicht zu schwingen beginnen. Auch Automobilhersteller haben ein Interesse daran, Schallabstrahlungen in Autos zu verhindern, um einen größeren Fahrkomfort für den Fahrer zu gewährleisten.
Doch nicht nur der Verkehrslärm belastet unseren Alltag. Die Geräuschquellen können auch viel leiser sein und dennoch unsere Konzentration beeinflussen. In Großraumbüros zum Beispiel. Markus Meis vom Hörzentrum Oldenburg hat sich intensiv mit der akustischen Situation in Arbeitsräumen und Klassenzimmern befasst. Sein Fazit: Sprache kann man kaum ausblenden. "Je deutlicher die Sprache der Kollegen, desto mehr bin ich in meiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Und im Gegensatz zu einem Rauschen kann man Informationen, die über die Sprache kommen, nicht einfach ignorieren."
Großraumbüros oder Newsrooms würden zudem meist eingerichtet, um genau diesen Informationsfluss zu unterstützen. In diesen Fällen sei eine gute Raumakustik wichtig. Abgehängte Decken, Stellwände und Teppiche trügen dazu bei, dass der Raum nicht halle. Manche Firmen arbeiteten sogar mit sogenannten Rauschmaskierern, die mit einem Rauschen Gespräche neutralisierten.
Keine Ideallösung. Das findet auch Michael Jäcker-Cüppers von der Deutschen Gesellschaft für Akustik in Berlin. Aus seiner Sicht ist es die effektivste Methode, Lärm gar nicht erst entstehen zu lassen oder ihn zumindest gering zu halten. "Asien übernimmt hier eine Vorreiterrolle. In Tokio nutzen gerade einmal 18 Prozent der Menschen den Individualverkehr - eine bessere Methode um Verkehrslärm in den Griff zu bekommen, gibt es nicht", sagt Cüppers.
Auch Tempo 30 in den Innenstädten trage zur Stille bei. "Ich persönlich finde Baulärm am schlimmsten. Da bauen die Nachbarn ihre Wohnung um, lassen ihre Fenster offen stehen und der Krach hallt über die Straße." Hier gebe es bislang zu wenig Anreize, für mehr Stille zu sorgen. Zu David Owen aus dem Film "Noise" mutiere er deshalb trotzdem nicht. Denn Baseballschläger, die auf Autoscheiben krachen, um die Alarmanlage zum Schweigen zu bringen, verursachten ja letztlich auch wieder Lärm.
Von Nadine Zeller