„The Umbrella Academy": Netflix greift tief in die Heldenkiste und findet jede Menge extra-kaputte Helden in „The Umbrella Academy".
Superhelden haben ihren Stammplatz in Streamingangeboten längst sicher. Netflix hat sich vor allem den Antihelden zugewandt. Doch die Marvel-Produktionen „Jessica Jones", „The Punisher", „Daredevil" und einige mehr werden eingedampft - möglicherweise wegen eines Exklusiv-Deals des Comicriesen mit dem kommenden Streamingangebot von Disney. Aber was gibt es Besseres, als sich vollvergrippt mithilfe der Abgründe der Antihelden vom eigenen Elend ablenken zu lassen? Gut, dass Netflix per Eigenproduktion für neues Superserien-Junkfood gesorgt hat. Das Programm: Tee, Kräuterbonbons - und „The Umbrella Academy".
Die Serie beginnt mit einem perfekten Geigen-Solo. Phantom der Oper. Selbst der kränkelnden Zuschauerin ist sofort klar: Hier geht es um Masken, die früher oder später fallen müssen, Imperfektion, die doch nach Perfektion strebt - Superhelden-Serien Schnupfnasen-Bingen funktioniert hier nicht. Denn „The Umbrella Academy" bringt nicht nur einen Antihelden mit, sondern gleich fünf - und die sind richtig kaputt: Vaterkomplex, Konkurrenzdenken, soziale Störungen, Drogenabhängigkeit, Einsamkeit und Pillen, um das ganze Elend zu ertragen. Die dauerschniefende Zuschauerin erkennt sich darin wieder, schießt sich die nächste Dosis Schnupfenspray in die Nase und fühlt sich irgendwie verstanden.
Helden-Ausbildung mit Absturz-Garantie
Eigentlich sollte die Umbrella Academy eine Kaderschmiede für die Helden von Morgen sein. Doch stattdessen nährt ihr Gründer, ein harscher, preußisch-kalt anmutender Wissenschaftler, die psychologischen Abgründe seiner Schützlinge, die er allesamt adoptiert hat. Er ist eine lausige Vaterfigur, gibt den Kindern statt Namen Nummern - und statt familiärer Wärme einen genau dafür konstruierten Roboter in Gestalt einer stets lächelnden Frau, die in Manier der 50er-Jahre-Übermutter keksbackend und rückenstärkend überall zugleich zu sein scheint (außer natürlich an der Seite der kranken Autorin dieses Textes, aber das ist wohl etwas viel verlangt). Das Team wird komplettiert durch einen Butler-Schimpansen, der geradewegs der Trigema-Werbung entflohen zu sein scheint.
Kaum verwunderlich, dass das Schulungskonzept gnadenlos scheitert und die Helden-Azubis, inzwischen erwachsen geworden, weder super noch Helden sind. Erst der unerklärliche Tod des Adoptivvaters bringt die Ehemaligen zurück. Kaum wiedervereint, flammen Konkurrenzkampf, Herabsetzung und Ausgrenzung wieder auf. Dabei bringen sie - natürlich - Extrapower mit ins Sozialdrama: Realitätsveränderung, Zeitreisen, übermenschliche Kraft oder die Fähigkeit, mit Geistern zu sprechen. Ach ja. Dann ist da noch Vanya (Ellen Page). Sie kann nichts Besonderes, was sie zum Prügelknaben der Academy macht.
Die Rahmenhandlung ist schnell durchschaut, doch die „Umbrella Academy" unterhält mit ihrer Erzählweise. Die Serie nimmt sich viel Zeit, die menschlichen Abgründe ihrer übermenschlichen Protagonisten in Rückblenden aufzubauen, auszumalen, vieles zu überzeichnen. Mit geschickt platzierten Momenten, in denen Musik und Handlung weit auseinanderfallen, einem Protagonisten, dessen Darstellung eines Jack Sparrow würdig wäre, und Gegenspielern, die an eine wilde Mischung aus Blues Brothers, Bonnie und Clyde und einem alten Ehepaar erinnern, driftet die Serie immer aufs Neue in Slapstick ab. Die doch wieder ernsten Ermittlungen um den Tod des Adoptivvaters werfen den Zuschauer in Crime-Elemente, bis Zeitsprung-Power gegen Kugelhagel antritt und die Serie zurück ins Superheldentum findet. Garniert wird das Ganze damit, dass es - natürlich - den Weltuntergang abzuwenden gilt. Doch hier verhält es sich wie mit der Grippe: Probleme müssen warten, bis sie dran sind.
Original