TV-Beitrag für das ARD Magazin Plusminus, ausgestrahlt am 07.06.2017
Jedes Wochenende dasselbe Bild auf deutschen Autobahn-Raststätten. Sie sind komplett überfüllt mit tausenden Lastwagen. "Plusminus" schaut sich den Rastplatz Weiskirchen an der A3 genauer an. Die Fahrer hier sitzen am Samstag und Sonntag die vorgeschriebene Ruhezeit ab und übernachten in der Fahrerkabine. Aufstehen, Zähne putzen und kochen –das Leben der Ukrainer, Polen, Litauer oder Ungaren spielt sich direkt an der Autobahn ab. Für viele ist das kein Problem. Der eine erzählt uns, dass sein LKW neu sei und er alles habe, was er brauche. Ein anderer meint: "Ein LKW-Fahrer gehört in seine Kabine. Für mich ist das kein Problem."
Transitland Deutschland? Von wegen, denn die meisten Fahrer leben monatelang so auf deutschen Autobahnen. Das Fahrverbot am Wochenende nutzen sie für die vorgeschriebene Ruhezeit: alle zwei Wochen 45 Stunden am Stück. Auch Angel Detchev aus Bulgarien kennt das: "Ich arbeite 22 Tage im Monat, drei Monate fahre ich und dann bin ich einen Monat in Bulgarien." Angel Detchev bekommt einen Hungerlohn, inklusive Spesen sind es 800 Euro im Monat. Die Übernachtung gibt’s gratis in der Fahrerkabine.
Für deutsche Brummifahrer ist so etwas undenkbar. "Plusminus" besucht die Spedition Schmelz in Kassel. Mit 280 Mitarbeitern und 100 Fahrern führt der Chef Karl-Heinz Schmelz ein mittelständisches Unternehmen. Wie hart der Preiskampf in der Speditionsbranche ist, zeigt eine einfache Rechnung: Für die Strecke Frankfurt Hamburg kalkuliert er pro Fuhre 800 Euro. Die polnische Konkurrenz macht das für 650 Euro. Fazit: Pro LKW und Tag ist die Konkurrenz aus Osteuropa gut 20 Prozent günstiger. Für den Spediteur ist das ein Unding: "Hier in unserem Raum Kassel kann ich Ihnen zwei Hände voll Unternehmer nennen, die sich lieber heute als morgen davon trennen würden, wenn es überhaupt einen Käufer gäbe."
Immer mehr Unternehmen bleiben in diesem ungleichen Wettbewerb auf der Strecke. Die Zahl der deutschen Spediteure lag 2005 noch bei 56.000. Zehn Jahre später sind es noch 45.000. 11.000 haben demnach aufgegeben. Der Anteil osteuropäischer Lastwagen auf deutschen Straßen steigt hingegen rasant. 2007 waren es noch 18 Prozent. Anfang 2017 liegt der Anteil bei über 33 Prozent. Jeder dritte LKW kommt mittlerweile aus dem Osten.
Wer da überleben will, braucht ein anderes Geschäftsmodell. Der Mainzer Spediteur Daniel Hensel hat das klassische Speditionsgeschäft dicht gemacht. Er besitzt keine eigenen Fahrer und LKWs mehr. Hensel stellt nur noch die Anhänger. Die Zugmaschine mit Fahrer kauft er in Osteuropa ein. Das Modell rechnet sich, weil die Fahrer so viel weniger verdienen, erklärt Hensel: "Ich bezahle für meinen Fahrer so um die 5000 Euro im Monat, mein Kollege aus Osteuropa fährt im Optimalfall für unter 1000 Euro. Das heißt, im Monat reden wir über eine Differenz von 4000 Euro."
Jetzt soll ein neues Gesetz den deutschen Spediteuren helfen. Seit diesem Monat gilt: die Fernfahrer dürfen die lange Ruhezeit nicht mehr im LKW verbringen. Eine richtige Unterkunft statt Pritsche in der Kabine: "Plusminus" trifft auf den Rastplätzen viele, die da nicht mitmachen wollen. Ein Fahrer fragt, wie das denn gehen solle: "Wenn ein deutscher LKW-Fahrer von der Autobahn abfährt, der fährt einfach nach Hause. Was soll ich als polnischer Fahrer machen? Ein Hotel kriege ich nicht bezahlt." Ein anderer bezweifelt, dass das Gesetz streng durchgesetzt wird: "Hier in Deutschland wird doch lasch kontrolliert, hier wird nur viel geredet."
Ohne Kontrollen wird sich da wohl wenig ändern. "Plusminus" begleitet Ingo Nippe und Uwe Dassler von der LKW-Kontrollgruppe der thüringischen Autobahnpolizei. Sie sollen die neue Regelung durchsetzen: "Das ist Camping auf der Autobahn sozusagen. Ich finde es gut, dass die neue Verordnung das regelt. Bis jetzt sind wir da nicht richtig rangekommen, weil wenn die Ruhezeitnachweise da waren, war die Sache erledigt."
Wer erwischt wird, zahlt: 1500 Euro Strafe für die Spedition. Wie häufig aber wird tatsächlich kontrolliert? In Thüringen sind es 10 Beamte, die 50 LKW pro Tag schaffen. Das Bundesamt für Güterverkehr hat in ganz Deutschland gerade mal 240 Beamte. Viel zu wenig, sagt Dirk Engelhardt vom Bundesverband Güterkraftverkehr: "Wo wir nicht glücklich sind, ist die derzeitige Kontrolldichte. Unser Verband und unsere Mitgliedsunternehmen verlangen dort eine höhere Kontrolldichte, damit das Ganze umsetzbar wird."
Wie wichtig Kontrollen sind, zeigt Belgien. "Plusminus" schaut sich an einem Tag mit Fahrverbot kurz hinter der deutsch-belgischen Grenze die Lage an. Auf den Parkplätzen hier stehen nur wenige Lastwagen. In Belgien gilt bei der langen Pause von 45 Stunden, genauso wie in den Niederlanden und Frankreich, bereits seit 2014 ein Übernachtungsverbot im LKW.
Nur ein paar Kilometer weiter, in Nordrhein-Westfalen, zeigt sich ein ganz anderes Bild: Hier platzt die Raststätten aus allen Nähten. Lastwagen parken alles zu. Und sollte das neue Gesetz in Deutschland ab diesem Sommer wirklich greifen, haben die osteuropäischen Fahrer eine einfache Lösung, erzählen sie den "Plusminus"-Reportern: "Dann flüchten wir eben nach Österreich, nach Italien oder in die Slowakei."
Wirkt das Übernachtungsverbot, zieht die Lastwagen-Karawane an Wochenenden zu den Nachbarn. Im ungleichen Wettbewerb in der knallharten Speditionsbranche hilft dieses Gesetz nicht wirklich weiter.
Autor: Moritz Zimmermann
Stand: 08.06.2017 08:50 Uhr
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