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Die Sterne sind verblasst

Das ehemalige Jugoslawien war auf dem besten Weg zum Fussballriesen. Dann kam der Balkankrieg. Auch Partizan Belgrad, morgen im Rahmen der Europa League zu Gast bei den Young Boys, hat eine bewegte Geschichte hinter sich.


https://www.derbund.ch/sport/fussball/Die-Sterne-sind-verblasst/story/22194330


Was bleibt, sind Bilder. Etwa jenes aus dieser Nacht in Bari 1991. Es zeigt den vielleicht grössten Moment jugoslawischer Fussballgeschichte; verzückte Gesichter und Dutzende Hände recken sich hoch zum silbernen Henkelpott. Prosinecki, Savicevic und Jugovic: Mit diesen Grössen vergangener Tage gewann Roter Stern Belgrad damals den Europapokal der Landesmeister. Ausgerechnet sie hatten den Final gegen Marseille gewonnen, die Fussballer von Roter Stern, einem Verein aus dem eigentlich schon längst gescheiterten Jugoslawien, einem sozialistischen Staat, den es nur ein Jahr später bereits nicht mehr geben sollte.


Der Sternenhimmel hat sich verdunkelt. Heute findet man im Fussball auf dem Balkan Talent dicht neben Wahnsinn, geniale Spieler neben sich bekriegenden Fangruppen, hervorragende Nachwuchsarbeit neben mafiösen Strukturen in den Vereinen. Dazwischen: eine Geschichte der Gewalt. Während Jahren bestimmten schreckliche Bilder aus dem Jugoslawien-Krieg die Nachrichten, all der Terror, die Gräueltaten, die Toten. An Sport war nicht zu denken, und doch ist es schon fast zu einer Art Reflex in der Fussballwelt geworden, der ehemaligen sozialistischen föderativen Republik Jugoslawien nachzutrauern. Eine Weltauswahl wäre das heute, heisst es vor EM und WM, wenn es die stark besetzten Teams aus Kroatien, Serbien oder Bosnien-Herzegowina auf die grosse Bühne schaffen. Ja, die Nationalmannschaft der SFR Jugoslawien genoss einen guten Ruf im europäischen Fussball, erreichte zweimal das EM-Finale und holte 1960 Olympia-Gold, und sie brachte berühmte Spieler und grosse Mannschaften hervor.


Auch bei Partizan Belgrad, Stadtrivale von Roter Stern und morgen Gegner der Young Boys in der Europa League, schwingt ständig etwas aus dieser jugoslawischen Zeit mit. Der serbische Rekordmeister ist ein stolzer Verein mit grosser Geschichte, mit 27 Meistertiteln und 14 Pokalsiegen, dessen Anhang sich aber nicht immer ganz grün mit der eigenen Geschichte zu sein scheint. «Partizan war vielleicht für Jugoslawien etwas bedeutsamer, Roter Stern ist es nun für Serbien», sagt Dario Brentin, Historiker an der Universität Graz, der derzeit in London zur Verbindung von Fussball und nationaler Identität promoviert.


Die umstrittene Idee Balkan-Liga

Schon die Anfänge Partizans sind ein kleiner Widerspruch zu den nationalistischen Ansichten der heutigen Ultras. Gegründet wurde der Verein 1945 in Zagreb, jetzt Hauptstadt Kroatiens, von Offizieren der jugoslawischen Volksbefreiungsarmee, den sogenannten Partisanen. Die Gründer nahmen sich vor, die besten Spieler aus ganz Jugoslawien unter den schwarz-weissen Clubfarben zu vereinen. Fussballer serbischer und kroatischer Herkunft spielten gleichermassen für Partizan, in den 50er-Jahren sass der spätere kroatische Staatspräsident Franjo Tudjman sogar der Fussballabteilung des Clubs vor. Das alles dürfte kaum dem Geschmack der «Grobari» (Totengräber) entsprechen, wie sich der Fan-Dachverband heute nennt.


Fussball auf dem Balkan scheint politisch noch viel intensiver aufgeladen als sonst schon. Sozialistische Regimes instrumentalisierten das Spiel seit jeher als eine Art Ersatzhandlung für Krieg, als Möglichkeit, Stärke zu demonstrieren. Diese martialische Gesinnung hat sich in den jungen, nach ihrer Identität suchenden Nationen fortgesetzt. Von aussen wirkt das jeweils absurd und auch schauerlich, etwa wenn Ivan Bogdanow, Serbiens berühmtester Hooligan, im EM-Qualifikationsspiel 2012 zwischen Italien und Serbien mit seinen Leuten seelenruhig das Stadion zerlegt, Hitlergrüsse zeigt und einen Spielabbruch erwirkt. Oder wenn zwei Jahre später im selben Bewerb zwischen Albanien und Serbien eine Drohne mit der Flagge Grossalbaniens die serbischen Fans provoziert und erneut zum Spielabbruch führt.


«Viele Anhänger verfolgen eine Art Eskalationsstrategie, wenn sie mit diesem oder jenem Vorhaben ihres Verbandes nicht einverstanden sind», erklärt sich Brentin die Ausschreitungen. So sorgt die Idee einer Balkan-Liga immer wieder für erhitzte Gemüter. Was im Basketball und im Handball längst Realität ist, scheint für den Fussball noch immer unvorstellbar. Seit dem Zerfall Jugoslawiens haben die Ligen in Serbien, Kroatien und Slowenien international an Bedeutung verloren, über die Gruppenphase hinaus hat es in der Champions League kein Club mehr geschafft. Im Sinne einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit hätte die Idee durchaus Potenzial. Doch die Fans würden das kaum zulassen. «Die Clubs müssten mit einem auf null herabgesetzten Uefa-Koeffizienten antreten. Und dann wäre da natürlich die immense Rivalität zwischen all den Vereinen», sagt Brentin.


Bereits wenn Roter Stern und Partizan in Belgrad jeweils zum «Veciti Derby» – dem «ewigen Derby» – aufeinandertreffen, sind die Behörden überfordert. Ende August war es mal wieder so weit, vor 33 000 Zuschauern im Marakana genannten Stadion von Roter Stern gab es weder Tore noch grössere Ausschreitungen. Aber Begegnungen wie Dinamo Zagreb gegen Roter Stern oder Partizan gegen Hajduk Split wären kaum zu verantworten. «Die Kroaten sollen zu Gott beten, dass es diese Liga niemals geben wird, denn dann könnten sie nicht mehr weglaufen», liessen Partizans «Grobari» im Dezember verlauten, als die Verbände den bislang letzten Vorschlag machten.


Wohin fliesst all das Geld?

Zwar haben Traditionsvereine wie Dinamo Zagreb (10 Meistertitel in den letzten 10 Jahren) und Partizan Belgrad (8 Titel in den letzten 10 Jahren) national eine beeindruckende Vormachtstellung. Und selbst in der Nachwuchsarbeit scheint einiges richtig zu laufen, wenn man bedenkt, dass europäische Talente wie Mateo Kovacic (Zagreb, heute bei Real Madrid) oder gestandene Stürmer wie Stevan Jovetic (Partizan, aktuell AS Monaco) im eigenen Haus ausgebildet wurden. Beide Serienmeister haben in den letzten Jahren grosse Transfergewinne verbucht, Luka Modric brachte Dinamo über 20 Millionen Euro ein, Partizan verdiente mit Stefan Savic 12 Millionen. Doch wohin fliesst all das Geld? In Zagreb steht Ex-Präsident Zdravko Mamic seit Jahren im Verdacht, den Verein systematisch abzupumpen – die Verfahren gegen ihn laufen. Und in Belgrad gilt der Fussball als von mafiösen Strukturen regelrecht infiziert. «Das ist im Krieg während des UNO-Embargos entstanden», erklärt Brentin. Zigarettenschmuggel, Drogenhandel, Erdölimport – der Fussball-Untergrund in Belgrad stillte damals so manches zwielichtige Bedürfnis. «Und die Verquickung von Fangruppen und organisiertem Verbrechen hat eher noch zugenommen.»


Fussball ist in den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien eines der wenigen sozialen Felder, die sich seit den 90er-Jahren nicht mehr verändert haben. Ansonsten streben die Länder auf dem Balkan nach Europäisierung, die Startup-Szene in Belgrad zählt zu den grössten des Kontinents, der Handel mit europäischen Playern wie Deutschland ist intensiv. Im österreichischen Fussballmagazin «Ballesterer» sagte vor einiger Zeit ein Anhänger von Partizan: «Jetzt sollen wir Mitglied der EU werden. Eine multikulturelle Staatengemeinschaft, in der es viele kleine Länder gibt. Aber das haben wir doch schon vorher gehabt.»