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Selbstbedienung im EU-Agrar-Ausschuss?

EU-Agrarsubventionen beschließen und anschließend kassieren - das könnte bei einigen der Abgeordneten des EU-Agrarausschusses in Brüssel der Fall sein.

Am Donnerstag stimmt der Agrar-Ausschuss des EU-Parlaments über Milliarden-Hilfen für Landwirte ab. Mehrere Abgeordnete entscheiden dabei über Gelder, die sie selbst bekommen.

Von Florian Neuhann, Moritz Baumann, Brüssel

Es gibt dieses Vorurteil, dem Maria Noichl oft begegnet. Und dem sie stets widersprechen will: Ihr Politiker bedient Euch doch alle nur selbst! Nur dass es mit dem Widerspruch manchmal nicht so leicht ist. Seit Jahren ärgert sich die SPD-Europaabgeordnete Noichl über Parlamentarier, die mit ihr im Agrar-Ausschuss des Europa-Parlaments sitzen - und die nebenher als Landwirte tätig sind.

Parlamentarier, die also selbst jene EU-Subventionen erhalten, über die sie im Parlament mitentscheiden. "Das Europäische Parlament darf kein Selbstbedienungsladen sein", kritisiert die SPD-Europaabgeordnete, Maria Noichl.

Es geht um knapp 400 Milliarden Euro


Am morgigen Donnerstag ist es erneut soweit. Der Agrar-Ausschuss des Europäischen Parlaments stimmt über einen, nein: über DEN Milliarden-Kompromiss zu Landwirtschaftshilfen der nächsten sechs Jahre ab. Es geht um knapp 400 Milliarden Euro, rund ein Drittel des EU-Haushalts.

Künftig sollen 25 Prozent der Direktzahlungen nur an Landwirte gehen, die sich an noch zu definierenden Umweltprogrammen beteiligen. Die restlichen 75 Prozent werden weiterhin rein nach Größe vergeben.

Expertin sieht klaren Interessenskonflikt

Das Pikante: Zahlreiche der 48 Mitglieder des Agrarausschusses oder ihre engsten Familienangehörigen führen nebenbei landwirtschaftliche Betriebe. Sie profitieren also finanziell von dem System, über das sie abstimmen. "Das ist ein klarer Interessenskonflikt", meint die Agrarexpertin Sini Eräjää aus dem Europa-Büro von Greenpeace. "In jedem Stadtrat wäre es normal, sich bei einer solchen Abstimmung für befangen zu erklären", sagt Noichl.

Abgeordnete verweisen auf "Erfahrung"

Doch die Abgeordneten selbst sehen das anders. Zumindest die vom ZDF befragten Parlamentarier mit eigenen Höfen wollen an der Abstimmung teilnehmen. Alle verweisen in ähnlichen Worten auf ihre Erfahrungen, die sie einbringen - und darauf, dass ihr Abstimmungsverhalten nicht von persönlichen Interessen beeinflusst werde.
So antworten Abgeordnete verschiedener Fraktionen auf die ZDF-Anfrage zu möglichen Interessenskonflikten:

Ulrike Müller (Freie Wähler)
Ulrike Müller, Abgeordnete der Freien Wähler: Ihr Mann und Sohn führen einen Hof, an dem sie zu fünf Prozent beteiligt ist und der zuletzt rund 35.000 Euro an EU-Subventionen bekam. "Selbstverständlich wird Frau Müller für die Reform stimmen, die sie ja als Berichterstatterin in wichtigen Teilen federführend mit ausgehandelt hat", schreibt ihr Büro auf ZDF-Anfrage.

Sarah Wiener (Grüne Fraktion)
Beispiel Sarah Wiener, Grünen-Abgeordnete aus Österreich. Wiener ist am Landwirtschaftsbetrieb "Gut Kerkow" beteiligt, der im letzten Jahr EU-Subventionen in Höhe von knapp 389.000 Euro erhielt. An der Abstimmung teilzunehmen aber ist für Wiener eine Selbstverständlichkeit: "Zum einen bin ich Minderheiten-Gesellschafterin, zum anderen sollten doch bitteschön im Agrarausschuss auch Bäuerinnen und Bauern sitzen, die wissen wovon sie reden", so Wiener zu ZDFheute. "Wenn Sie Vorteilsnahme vermuten, dann empfehle ich Ihnen einfach nachzuschauen, wie ich abstimme. Das ist ja zum Glück transparent und bestätigt meinen langjährigen Kampf für eine Ökologisierung der Landwirtschaft, für eine gerechtere Verteilung und für regionale Kleinbauern und Handwerk."

Elsi Katainen (Liberale Fraktion)

Die Familie von Elsi Katainen, die der liberalen Fraktion Renew Europe angehört, besitzt einen Bauernhof im finnischen Venetmäki, den ihr Sohn Anfang des Jahres übernommen hat. Im vergangenen Jahr erhielt der Milchviehbetrieb rund 37.000 Euro aus dem EU-Agrartopf. Abstimmen will Katainen selbstverständlich, wie sie ZDFheute mitteilt - und damit auch ihr "Fachwissen" als Landwirtin auf EU-Ebene einbringen.

Norbert Lins (CDU)
Und schließlich verteidigt auch der Ausschuss-Vorsitzende Norbert Lins von der CDU die Häufung von Abgeordneten mit Agrar-Hintergrund: "Ich bin dankbar für jeden Landwirt und jede Landwirtin in meinem Ausschuss, weil sie viel Wissen und Erfahrungen mitbringen."

Verhaltenskodex enthält kein klares Verbot

Im Verhaltenskodex des Parlaments heißt es, die Abgeordneten handelten "nur im öffentlichen Interesse und erlangen keinerlei unmittelbaren oder mittelbaren finanziellen Nutzen". Sollte ein Parlamentsmitglied einen Interessenskonflikt feststellen, dann ist es am Mitglied selbst: die "notwendigen Maßnahmen" zu treffen.

Dass der Agrar-Ausschuss des Parlaments dem von Rat und Kommission erzielten Kompromiss morgen zustimmt, gilt in Brüssel derweil als Formsache.

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