Buchmesse, dritter Tag. Bereits der Weg zu den Messehallen lässt wieder Schlimmes erahnen. Wie in den letzten Tagen wird die U-Bahn immer voller, je näher mein Ziel kommt. Es scheint, als wolle ganz Frankfurt dahin, wo auch ich hinwill: Zur Buchmesse.
Ich drängele mich samt viel zu schwerem Laptop an den anderen Besuchern vorbei. Die erste Veranstaltung, die ich mir für heute notiert habe, fängt um 11 Uhr an. Eine Frau mit Koffer rempelt mich an, die Rollen quetschen kurz meine Zehen. Dann geht es plötzlich nicht mehr weiter. Ich kenne das Spiel schon. Anstehen. Sicherheitskontrolle. Warten, warten, warten. Tasche auf, Tasche zu, weiter geht's. Menschen unterhalten sich vor den Rolltreppen.
„Entschuldigung. Entschuldigung, kann ich kurz vorbei? Entschuldigung!" Geschafft. „Rechts stehen, links gehen" steht auf einem gut sichtbaren Schild. Nicht alle sehen es. Kurz nach 11, durchgeschwitzt, erreiche ich die Lesung, die ich mir notiert hatte. Notizblock raus, elf Zeilen später, Notizblock rein. Laptop raus. „Können Sie bitte den Tisch freimachen, wir verkaufen jetzt hier Bücher für die nächste Lesung." Laptop rein. Tasche eins, Tasche zwei, noch alles dabei, weiter geht's.
Ein Wasser für drei EuroKurzer Halt. „Kann ich bitte ein Wasser haben?" - „Das macht dann drei Euro bitte." - „Haben Sie kein Leitungswasser?" - „Nein, tut mir leid, das verkaufen wir hier nicht." Kaufen wollte ich das Leitungswasser ja auch nicht. Ich zahle. Wieder ausreichend hydriert geht es weiter. Rolltreppe rauf, falsche Richtung, Rolltreppe runter. „Entschuldigung. Entschuldigung, kann ich kurz vorbei? Entschuldigung!" Verdammt, ich bin schon wieder in die Falle gelaufen. Überall stehen Kameras und es geht nicht weiter.
Nach zwei Tagen Buchmesse weiß ich, was das bedeutet. Was auch immer ich vorhabe oder vorhatte interessiert jetzt niemanden mehr. Das habe ich hier schnell gelernt. Für VIPs müssen eben alle stehen bleiben, ist doch klar. Warten, warten, warten. Ich erkundige mich bei einer Dame neben mir: „Wissen Sie, wer da ist?" „Uuuudo!" kreischt sie mir ins Ohr. Ah, ich kenne keinen Uuuudo. Später erfahre ich, dass es Udo Lindenberg war. Vorgestern musste ich einer Königin den Weg freimachen. Oder war es eine Prinzessin? Adelsfamilien sind nicht mein Spezialgebiet. Immer noch warten. Ich sehe nicht einmal, wo Udo überhaupt ist. Er interessiert mich eigentlich auch gar nicht. Warum darf ich nicht einfach meiner Wege gehen? Plötzlich laufen die Kameras weg, alle in eine Richtung, schön brav Udo hinterher. Ich gehe in die andere Richtung. Tür auf, Tür zu.
Zeit für einen MännerteeEs ist an der Zeit, mir einen guten Essenstand auszusuchen. Suppe, Currywurst, Crêpes, Thai Wok, Flammlachs. Flammlachs! Quer über den großen Platz, Geldbörse raus, 10 Euro raus, Geldbörse rein. 10 Minuten später, ich stelle fest, dass mein Mittagessen 1 Euro pro Minute gekostet hat, ein Arbeitsplatz muss her. Im Lesezelt gibt es Tee. Aber ich bin nicht die Einzige die davon weiß. Warten, warten, warten. „Sie können zu mir kommen." Die Frau hinterm Tresen winkt, der Mann vor mir reagiert nicht. „Halloooo, Sie können auch zu mir!" Ich stupse den Herrn kurz an, er erwacht und begibt sich endlich auf die winkende Frau zu. Jetzt bin ich dran.
„Hallo, einmal Männertee, bitte." Der junge Mann schaut mich an wie ein Autobus. Hat er mich nicht gehört? Ich warte. Der Männertee kommt. Ich finde einen freien Platz. Laptop auf. Mein Glückspegel steigt wieder. Tee trinken und schreiben, was will man mehr. Nur Wein trinken und schreiben könnte das noch schlagen. Während ich in Gedanken schon ein Glas Rotwein sehe, versuche ich mich ins WLAN einzuloggen. Fehlgeschlagen. Ich schaue nochmal in den Unterlagen nach. Ist das Passwort falsch? Ach, mein Zugang ist nicht für das Premium-Messe-Presse-WLAN, schon wieder vergessen. Internetzugang für Normalsterbliche gibt es hier nur an ausgewählten Hotspots, die so rar sind wie Leitungswassser in deutschen Restaurants. Ich vermisse die Berliner U-Bahn. Da funktioniert das kostenlose WLAN einwandfrei. Aber hey, wer braucht schon Internetzugang, um einen journalistischen Text zu schreiben? Ich.
Laptop zu. Die Tasse ist leer. Ich verlasse das Lesezelt und begebe mich erneut in die Hallen. Tür auf, Tür zu. „Entschuldigung. Entschuldigung, kann ich kurz vorbei? Entschuldigung!" Wieder Menschen vor den Rolltreppen. Einige Kilometer später stehe ich im Pressezentrum. Alle Sitzplätze sind besetzt. Wer braucht auch schon einen Sitzplatz zum Schreiben? Ich. Aber der Weg nach Hause ist nicht lang. Nur 15 Stationen. „Entschuldigung. Entschuldigung, kann ich kurz vorbei? Entschuldigung!" Die Bahn ist wieder voll. Ich warte und hoffe, dass einige Leute aussteigen. Andere warten hingegen nicht. Gedränge. Ich habe den Drang zu brüllen „Zuerst aussteigen lassen!", verkneife es mir aber. Fünf Stationen später hat sich die Bahn geleert, so, als würden sich die Frankfurter während der Buchmesse nicht gerne zu weit vom Literaturtempel entfernen wollen. Ich lasse mich auf einen der freien Sitze fallen und erinnere mich daran, dass ich ja sogar noch ein Buch dabeihabe. Buch raus, Buch auf, endlich.