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Leicht entzündliche Proteste

In vielen Teilen Mexikos gibt es seit Jahresbeginn Proteste gegen die Erhöhung des Benzinpreises. Zeitweise arteten diese in Plünderungen aus, es gab bei Zwischenfällen Tote.

VON MIRJANA MITROVIĆ
Die ganze Nacht sind Hubschrauber und Polizeisirenen zu hören. Es gehen erste Gerüchte um, dass in Estado de México, dem an die Hauptstadt Mexiko-Stadt angrenzenden Bundesstaat, Läden geplündert wurden. Die Polizei- und Militärpräsenz auf den Straßen soll immens sein. Eine Ausgangssperre wird verhängt. Es ist die Nacht vom 3. auf den 4. Januar, eine der heißesten Nächte des Protestes in den ersten Tagen des neuen Jahres. Brennende Autos, Lastwagen, die Straßen blockieren, und Menschen, die Supermärkte plündern – das sind die Bilder, die in den nächsten Tagen ihren Weg in mexikanische und internationale Medien finden. Bereits am Neujahrstag soll es erste Plünderungen und Blockaden gegeben haben. Doch vervielfältigt haben sie sich erst in jener Nacht vom 3. auf den 4. Januar, damit sorgten sie für weltweite Aufmerksamkeit.

Auslöser der Proteste war der gasolinazo, wie er in Mexiko genannt wird, der rapide Anstieg der Benzinpreise. Der amtierende Präsident Enrique Peña Nieto hat im Rahmen der Energiereform den Ölmarkt für private Investoren geöffnet. Davor gab es nur das staatliche Ölunternehmen Petróleos Mexicanos (Pemex). Die Preise wurden bis dato vom Finanzminister bestimmt. Bereits Ende 2016 war abzusehen, dass es mit der Liberalisierung des Marktes einen drastischen Preisanstieg geben würde. Doch dass der Benzinpreis um bis zu 20 Prozent und der von Diesel um bis zu 16 Prozent anstiegen, sorgt seitdem für anhaltende Proteste. Die Bilanz ist erschreckend: Es wird von landesweit Hunderten geplünderten Geschäften, über 1 500 Festnahmen und mindestens sechs Toten berichtet.

Keine Woche später hält ein Bus, der von Süden in die Innenstadt von Mexiko-Stadt fährt, abrupt an. Kurz halten die Passagiere inne, dann murmelt einer etwas von gasolinazo und so steigen nach und nach alle aus. Eine Pemex-Tankstelle wurde blockiert. Zum Glück verläuft die Metro parallel und so können die Passagiere, die eben noch im Bus saßen, nun die Proteste vom Gleis aus beobachten, bevor die Metro kommt und sie mit in die Innenstadt nimmt. Erst später werden sich dort Passagiere und Protestierende am Zócalo, dem Hauptplatz, wiedertreffen. Dort steht an diesem 9. Januar vor den Geschäften weit mehr Sicherheitspersonal als zuvor, doch ansonsten flanieren die Passanten in gewohnt konsum-orientierter Manier bei Sonnenschein die Einkaufsstraßen entlang.

Es gibt nun weniger Plünderungen und Barrikaden, mittlerweile ist kaum noch etwas von den Protesten zu hören. Ob es sie nicht mehr gibt oder nur nicht mehr über sie berichtet wird, ist nicht ganz auszumachen. Die Bevölkerung hat weiterhin mit den Folgen der Regierungsentscheidung zu kämpfen. Denn nicht nur die Benzinpreise sind angestiegen, auch Strom und Gas sind teurer geworden. Durch die Erhöhung der Treibstoffpreise wird zudem mit einem Anstieg der Preise für den öffentlichen Nahverkehr und aufgrund der höheren Transportkosten auch für Lebensmittel gerechnet. Für die Menschen in Mexiko, die bereits unter oder an der Armutsgrenze leben, ist dies existenzbedrohend. So wurden in den Medien viele Bürger und Bürgerinnen mit der Aussage zitiert, dass nun »das Fass zum Überlaufen gebracht wurde«. Die immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich sorgt für Forderungen nach einem Rücktritt Peña Nietos. Der historische Tiefstand des mexikanischen Peso spiegelt die wirtschaftliche Situation des Landes wider. Der Wert der Währung ist innerhalb der vergangenen zwei Jahre stark gesunken.

Auch die Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten lässt die Zukunft Mexikos nicht rosig aussehen. Trump sorgte bereits im vergangenen Jahr für Unruhe bei der mexikanischen Regierung. So war es der damalige Finanzminister Luis Videgaray, der Trump während des Wahlkampfs zu einem Treffen mit Peña Nieto nach Mexiko einlud. Ein Treffen, das in der mexikanischen Gesellschaft von vielen als katastrophal bewertet wurde. Schließlich ist Trump wegen Aussagen wie der, dass Mexiko Vergewaltiger in die USA schicke, und seinen Wahlversprechen, eine Mauer zwischen die beiden Staaten zu bauen und Mexiko dafür bezahlen zu lassen sowie Arbeitsplätze aus Mexiko wieder zurück in die USA zu holen, im Nachbarland nicht sonderlich beliebt. Das Treffen der beiden wurde auch kritisiert, weil Peña Nieto nicht klar genug Stellung bezogen habe, sondern sich von Trump überrumpeln ließ. Nach diesem Fehlschlag hatte Peña Nieto seinen Finanzminister schnell entlassen. Umso peinlicher, dass er Videgaray nun – nach dem Wahlsieg Trumps – auf das Amt des Außenministers berufen hat.

Dass viele Mexikanerinnen und Mexikaner wütend sind, wird anhand der vielen Proteste und Demonstrationen deutlich. Doch ist der Unmut gegen die Regierung im Allgemeinen groß. Selbst die Anstiftung zur Plünderung wird der Regierung zugetraut. Bereits in der Nacht vom 3. auf den 4. Januar gab es Gerüchte, dass die Plünderungen durch Schlägertruppen, die von der Regierung geschickt worden seien, angezettelt wurden. Es soll eine gängige Praxis der Regierung sein, diese grupos de choque bei Demonstrationen und Protesten loszuschicken, um ein härteres Vorgehen gegen Demonstrierende sowie ein hohe Polizei- und Militärpräsenz zu rechtfertigen.

Zwei Tage später berichtete die Tageszeitung La Jornada, dass auch das Bündnis der nationalen Kammer für Handel, Dienstleistung und Tourismus (Concanaco Servytur) den Einsatz von Provokateuren zur Diskreditierung der Proteste nicht ausschließt. Grupos de choque der Regierung können nicht sämtliche Plünderungen zugeschrieben werden, jedoch zeigen die Gerüchte, wie groß das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Regierung ist.

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