Der Berliner Comic-Zeichner FiL ist für den Max-und-Moritz-Preis nominiert. Sein Herz schlägt für die Marginalisierten. Seine Maulhelden verschanzen sich wie soziale Autisten in einer Wagenburg aus Derbheiten und Geprolle. Im inneren Kreis darf gekuschelt werden.
Aus dem Jahr 1987 stammt ein Cartoon, der eine Menge über FiLs Kunst erzählt: Um einen Kneipen-Tisch sitzen drei Gestalten: Ein hagerer, eierköpfiger älterer Herr mit halblangem Haarkranz, mit Brille und Frack. Daneben ein grobschlächtiger, zugeknöpfter Typ mit platter Stirn und Stoppelhaar. Rechts am Tisch ein Jungchen im Shirt, mit Knopfaugen und Sommersprossen. Mit hochgezogenen Brauen führt der ältere Herr einen Monolog: „Für mich wird es immer nur Beethoven geben:
Beethoven, Beethoven, Beethoven und nochmals Beethoven! Das ist die einzige Musik, die ich akzeptiere... Vielleicht noch Modern Talking, die kommn auch noch ganz gut rüber, aber ansonsten: Nur Beethoven!“ Der Dicke äußert, den Blick direkt auf den Betrachter gerichtet: „Bin arbeitslos“ und in separater Sprechblase: „Scheisse“. Dem Alten zugewandt und mit seeligem Grinsen ob der Spielsteinchen in seiner Hand das Jungchen: „Also ich fahr ja zur Zeit mal wieder volle Kanülle auf Lego ab“, „Lego – The Best“.
Das dargestellte Leben – eine Farce, der Titel des Strips: „Man kann doch drüber reden“. Selten sieht man das Mitteilungsbedürfnis des Menschen, die Vergeblichkeit des ganzen täglichen Gequassels so überzeugend in Szene gesetzt. Und doch freut man sich, dass die drei einander haben. Randständige und absurde Gestalten bevölkern die Comics von Philip Trägert, der seine zahlreichen Pseudonyme zugunsten des einheitlichen FiL niedergelegt hat. Irgendwann wurde ihm der nominale Mummenschanz zu doof.
Es geht bergab
Aufgewachsen ist FiL, Jahrgang 1966, im Märkischen Viertel, einst einer der problematischsten Bezirke des Berliner Westens und auch heute noch nicht die allerbeste Adresse. „Die Kindheit war hart, dann wurde es besser“, sagt er. Trägert wurde Punk und begann zu zeichnen. Für das Berlin unserer Tage hat er deutliche Worte: „Es geht bergab. Die Unterschiede zwischen arm und reich, zwischen hot und not, klaffen weiter auseinander. Es gibt immer mehr Deppen, die immer höhere Mieten zahlen und einen ständig neuen Deppenstandard schaffen.“
Sein Herz schlägt für die Marginalisierten, die umso intensiver ihre Eigenheiten kultivieren, je weniger sie Gehör finden. Seine Figuren sind überzeichnete Prototypen. Was sie von Klischees unterscheidet, die FiL kräftig durch den Kakao zieht, ist ihre Suche nach menschlicher Wärme. Bei allem absurden, surrealen Witz, der aus jedem Bild und jeder Sprechblase strömt, schwebt Melancholie über seinen kraftmeierisch auftretenden Charakteren. Seine Maulhelden verschanzen sich wie soziale Autisten in einer Wagenburg aus Derbheiten und Geprolle. Im inneren Kreis darf gekuschelt werden.
Sexistische Großtuer, zarte Seele
Für die Comic-Reihe „Didi und Stulle“, wohinter sich die berlinernden Vollprolls mit Punk-Attitüde Dieter Kolenda und Andreas Stullkowski verbergen, ist FiL für den Max-und-Moritz-Preis nominiert. Der renommierteste deutsche Comic-Preis wird am 20. Juni beim Internationalen Comic-Salon in Erlangen verliehen. Eine verdiente und gleichermaßen bemerkenswerte Ehre. Denn FiLs Kunst lebt von anarchischem Witz, der sich den Regeln professionellen Storytellings, humorvollen Possierlichkeiten und politischer Korrektheit ebenso verweigert, wie zeichnerischem Kunstwollen. „Didi und Stulle“ sind laut, derb und nicht nur zeichnerisch Schweine. Die beiden unzertrennlichen Freunde sind sexistische Großtuer, provokante Opportunisten – und zerbrechliche Seelen, die zwei Seiten haben.
Tiefgründige Ironie ist FiLs Kennzeichen. Sein lässiger Dilettantismus kümmert sich nicht um Erwartungen, auch nicht um die von Fragestellern. „Ich fürchte, das ist nur mein Unvermögen, mich lange auf eine Sache zu konzentrieren – ich verlier’ schnell die Lust, und dann bring ich’s irgendwie unbefriedigend zu Ende. Ich mach das jetzt so lange, dass ich gar nicht mehr weiß, wie eigentlich die Erwartungen sind.“
Ob FiL mit Handpuppe Sharky, eine andere Figur des Künstlers, auf der Bühne steht und sich keine Mühe gemacht hat, den Text auswendig zu lernen, ob er musiziert oder eben zeichnet: Durch Nonkonformität überführt er gekünstelte Posen. „Ich habe keinen Beruf gelernt, und so seh ich mich auch: als einen ohne Beruf und mit viel Glück.“ Die Nominierung für den Max-und-Moritz-Preis bedeutet ihm „überhaupt nichts. Preise sind scheiße. Wir machen doch kein Wettrennen. Ich mag meine Kollegen, ich will nicht gegen die antreten.“ Unter www.comicforum.de kann das Publikum heute noch voten – warum nicht trotzdem für FiL?
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