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Feature

Popkultur und Proficatchen (Zitty-Porträt Berni Mayer)

Der Berliner Krimiautor Berni Mayer schickt ein ungleiches Detektivteam von abgehalfterten Musikjournalisten in mörderische Abgründe der Popkultur – und in den Wrestling-Ring


Berni Mayer ist ein kultureller Hansdampf in allen Gassen. Er singt und spielt Gitarre in der Heavy-Metal–Band The Gebruder Grim, tritt als Stand-Up-Comedian auf und ist Schöpfer der Mandel–Krimitrilogie. Im April  erscheint  der  abschließende  dritte Band  „Der  große  Mandel“  bei  Heyne Hardcore.  Im  Finale  seines  lakonischen Moritatenzyklus lässt Mayer seine Verlegenheitsdetektive  in  der  Profiwrestling- Szene ermitteln und hängt schließlich im Ring deren Freundschaft in die Seile.


Wie passend: In seinen Noir-Krimis schickt Berni Mayer reihenweise unter die Erde, meistens recht spektakulär. Und als Treffpunkt für ein Gespräch schlägt der Niederbayer, der seit gut zehn Jahren in Berlin verwurzelt ist, den Dorotheenstädtischen Friedhof vor.

Mit Frau und jungem Sohn wohnt Mayer, der sich 2003 zum Bruch mit der eigenen Berufsbiografie entschied, in Berlin- Mitte. Die Wahl der neuen Heimat geschah nicht zufällig: Seinerzeit in München als Online-Redakteur  für  den  Musikfernsehsender MTV  tätig,  beschloss  Meyer,  die  eingeschlagenen Karrierepfade in der Medienbranche zu verlassen und sich neu zu erfinden.  Für  solche  Umbrüche mag  es schlechtere Orte als Berlin geben.

Der junge Mann, Mayer feiert 2014 seinen 40. Geburtstag, empfand eine „primitive Selbsterfindungswut“,  das „Unfertige, die faszinierende Tristesse“ an Berlin zog ihn an. Zunächst in Friedrichshain hielt er sich mit Kneipenjobs über Wasser, gründete eine Band und wohnte in WGs. Zu dieser Zeit gehörte es, „sich mindestens ein Jahr lang von Gin Tonic, Döner und Paracetamol zu ernähren“;  soviel  zum ernährungsbezogenen Fundament der Selbstfindung. Liebe Hipster, nicht nachmachen.


Inzwischen wirkt Mayer, als hätte er als Künstler und Familienvater in Berlin seine persönliche Mitte gefunden. Im Gespräch strahlt er Gelassenheit und Ruhe aus, er spricht in langen und reflektierten Sätzen. Es entwickelt sich ein angenehmer Gedankenaustausch.
Neuanfänge und die Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln prägen die Prosa Mayers. Parallelen zur eigenen Vita kennzeichnen seine Figuren Max Mandel und Sigi Singer. Die beiden ehemaligen Musikjournalisten und ungleichen Freunde noch aus Schulzeiten werden in Zeiten der Krise des Printjournalismus von ihrem Arbeitgeber, einem Rockmagazin, vor die Tür gesetzt. Aus dieser beruflichen Verlegenheit treten der neurotische und von Selbstzweifeln geplagte Singer, der als Ich-Erzähler von den Fällen der Ermittler-Dilettanten berichtet, und sein Kompagnon Mandel, ein wortkarger und doch sehr gewandter Dandytyp, dessen Erbe an: Mandels Onkel hat ein schlecht gehendes Detektivbüro hinterlassen, das die Verlegenheitsdetektive wider  Willen  übernehmen.  Ihre  Ermittlungen führen immer wieder ins Musikmilieu, in welchem das Duo für gewaltige Turbulenzen sorgt. Ständige Begleiter sind Leichen und skurrile Methoden, die aus der Not geboren werden, weil die Zeit für den Handelskammer-Kurs in Sachen professionelle Ermittlerarbeit fehlt.


Mayer erzählt seine humorvollen Hard-boiled Geschichten in lakonischem Ton, melancholische Selbst- und Lebensbetrachtungen Sigi Singers  und kenntnisreiche Exkurse in die Welt der Musik runden die Krimis zu späten Coming-of-Age-Panoramen ab. Eine Generation langsam in die Jahre kommender Großstadt-Hedonisten spricht sich hier aus.
Die Charaktere geraten nie eindimensional, eine Stimmung des Uneigentlichen schwebt über der Handlung und der Reflexion der Figuren. Katalysator bleibt die Arbeit an der Freundschaft der beiden Detektive, die unausgesprochenen Spannungen ausgesetzt ist. Durch die blutigen Kulissen der Handlung wandeln die Anti-Helden im Rhythmus von augenblickshafter Entspannung und Zweifeln am großen Ganzen. Dass sie letztlich trotz aller Unpässlichkeiten auf ihrem Weg bleiben, auf ihre Art sogar Erfolge verbuchen, kann als positive Grundbotschaft angesehen werden.


Berni Mayer jedenfalls scheint die Entscheidung, nach seinem zweiten Engagement bei MTV – 2007 wurde er in Berlin Chefredakteur des Musikfernsehsenders – ganz auf die Kunst zu setzen, nicht zu bereuen. „Als ich als Chefredakteur zurückkam, war der Sender eine ganz andere Bestie. Die Mitarbeiterzahl hatte sich verdreifacht, es war VIVA dazugekommen, es herrschte ein mörderischer Quoten- und Reichweitendruck. Entsprechend wurden in den Abteilungen die Messer gewetzt und eine Politik der Angst betrieben“, blickt Mayer kritisch auf die Entwicklung des Musikfernsehens in Deutschland zurück. Das fiktionale Personal aus der Musikbranche kommt in der Mandel-Reihe als gekonnte Parodie exaltierten Ignorantentums rüber. Immerhin ist Berni Mayer aus seiner Zeit bei MTV eine produktive und vertrauliche Arbeitsbeziehung zu Moderator Markus Kavka geblieben. Als Leser seines Blogs habe Kavka ihn ermuntert als Buchautor zur Feder zu greifen und so eine wichtige Rolle bei der künstlerischen Neuerfindung gespielt. Auch die Liveauftritte Mayers unterstützt Kavka gelegentlich.


Spekulationen, ob die Beziehung Mandels und Singers eine Aufarbeitung der gemeinsamen Erlebnisse mit Markus Kavka seien, tritt Mayer entgegen. Das Wechselspiel seiner Charaktere sei durch die BBC-Comedy „The Mighty Boosh“ inspiriert, Mandel und Singer erlebt Mayer als zwei Seiten des eigenen Charakters. Die Dynamik zwischen seinen Hauptfiguren steuert mit dem dritten Teil der Reihe auf ihr furioses Finale zu. Das geht so weit, dass die beiden faulen Lebemänner als Undercovercops selbst in den Ring steigen müssen.


Die Recherchen zum Roman haben den Wrestlingfan seit Kindertagen in Berliner Sporthallen geführt und für unterhaltsame Stunden am Ring und im Gespräch mit Proficatchern gesorgt. Neben intimer Kenntnis der Wrestlingszene verfügt der abschließende Teil der Reihe über gesellschaftskritisches Potential: Auftraggeber der Detektive ist ein Wrestler, der wegen seiner homosexuellen Orientierung erpresst wird.


Am 15. April stellt Berni Mayer im Kaffee Burger  seinen  neuen  Krimi  „Der  große Mandel“ vor. Für die Premiere verspricht er den gewohnten zusätzlichen musikalischen  Einsatz  samt  Frauenchor und Besuch von Gaststar Markus Kavka. Wer nicht so lange warten möchte, kann mit etwas Glück Mayer als Stand-Up-Comedian  auf  der  Open  Stage des Scheinbar Varieté sehen.