"Im Prinzip ist es ja ein Widerspruch, dass eigentlich Personalmangel besteht, dass viele Leute gebraucht werden in der Pflege und gleichzeitig nur befristete Verträge vergeben werden", meint Sarah, eine Krankenschwester, die ihren wirklichen Namen nicht öffentlich nennen möchte. Sie gehört zu den jungen Leuten, die als Arbeitskräfte begehrt sind wie noch nie. Doch gleichzeitig erleben Menschen wie sie, dass ihre Position im Beruf unsicherer ist, als es in der Generation ihrer Eltern der Fall war. Nach ihrer dreijährigen Ausbildung zur Krankenpflegerin hat ihr Chef ihr einen Ein-Jahres-Vertrag angeboten.
Auf ihrer Station mit 32 Betten sei sie häufig die einzige ausgebildete Krankenpflegerin. Eigentlich müsste sie nach so einem Dienst eine Überlastungsanzeige an ihre Vorgesetzten schreiben. Dazu ist sie rechtlich verpflichtet.In der Praxis trauen sich die Krankenpflegerinnen aber meistens nicht, die Überlastung zu melden, erzählt Sarah. Sie hätten Angst davor, negativ aufzufallen und nicht in ein geregeltes Arbeitsverhältnis übernommen zu werden. Denn die meisten Krankenpflegerinnen würden in dem Krankenhaus nur befristet eingestellt, obwohl Personalmangel herrscht. Die deutschen Krankenhäuser befänden sich im Umbruch und müssten auf die Kosten achten, erklärt die Klinik in einer schriftlichen Stellungnahme: "Geht es dem Unternehmen gut und gelingen die strukturellen Veränderungen, ist die Wahrscheinlichkeit auf ein 'unbefristetes' Beschäftigungsverhältnis wechseln zu können, groß. Geht es dem Unternehmen hingegen schlecht, müssen keine Versprechen gebrochen werden. Der Mitarbeiter erhält, was vereinbart wurde, nämlich ein auf Zeit befristetes Arbeitsverhältnis."
Doppelt so viele befristete Arbeitsverträge als vor zwanzig JahrenDie rot-grüne Bundesregierung hat im Jahr 2001 die Befristung von Arbeitsverhältnissen erheblich erleichtert, um Arbeitsplätze zu schaffen. Unternehmen können seitdem, ohne einen konkreten Grund anzugeben, Menschen befristet bis zu zwei Jahre lang einstellen. Diese Möglichkeit wird weiterhin fleißig genutzt - trotz der guten Konjunktur und geringer Arbeitslosenzahlen. Trotz der Klagen über Fachkräftemangel. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung meldet über 2,7 Millionen befristete Arbeitsverträge in Deutschland. Das sind doppelt so viele wie vor zwanzig Jahren.
Der Arbeitsmarktforscher Professor Werner Eichhorst am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn sieht darin einen vertretbaren Preis für das deutsche Jobwunder. Doch er beobachtet auch Fehlentwicklungen. Ob an den Universitäten, bei sozialen Trägern wie Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt oder im klassischen öffentlichen Dienst: Der Anteil der befristeten Jobs ist dort auf über 15 Prozent aller Arbeitnehmer gestiegen. 60 Prozent der Neueinstellungen sind befristet. Solche Verträge spielen im öffentlichen Sektor mittlerweile eine größere Rolle als in der Privatwirtschaft. Und die Übernahmechancen sind schlechter. Wenn die öffentlichen Arbeitgeber nicht umschwenken, werde es ihnen schwer fallen, in Zukunft qualifizierten Nachwuchs zu gewinnen, glaubt Eichhorst.
Befristung erweitert die Probezeit auf zwei JahreJunge Leute werden in allen Branchen gebraucht. Bei der Essener Verkehrs AG zum Beispiel ist fast jeder zweite Bus- und Straßenbahnfahrer über fünfzig Jahre alt. Das heißt: Fast die Hälfte der Fahrer geht in den kommenden zehn Jahren in Rente. Trotzdem gibt es für neues Personal nur befristete Verträge. "Wir brauchen als Nahverkehrsunternehmen nun mal halt nicht jeden", argumentiert Wolfgang Hausmann, Personalleiter in Essen. "Wir vertrauen unseren neuen Fahrerinnen und Fahrern 340.000 Fahrgäste jeden Tag an und da erwarten wir natürlich auch, dass die neuen Mitarbeiter wirklich diesen Anforderungen gerecht werden." Das sei in sechs Monaten nicht zu erkennen. Arbeitgeber nutzen demnach heutzutage befristete Arbeitsverträge, um die Probezeit auf zwei Jahre auszuweiten.
Doch Menschen, die einen befristeten Job haben, können nicht gut planen. Sie haben schlechtere Karten bei der Wohnungssuche, Banken verweigern einen Kredit. Vor allem werden sie schlechter bezahlt. Der Anteil der Geringverdiener ist doppelt so hoch wie bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen. Betroffen sind vor allem Dienstleistungsjobs, zum Beispiel im Handel. Zwei Drittel der Verkäuferinnen und Verkäufer mit Niedriglohn sind in Deutschland nur befristet angestellt.
Autor des Hörfunkbeitrags ist Miltiadis Oulios.