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Eine Stadt, zwei Namen und viel Kultur

Sie trägt zwei Namen und ist reich an Kultur, Geschichte und Kulinarik: San Sebastián/Donostia. Die baskische Küstenstadt hat ihre gewalttätige Vergangenheit hinter sich gelassen und lädt zum friedvollen Miteinander.


Sie ist die Stadt der Superlative: 24-stündige Trommelfeste, 16 „Michelin“-Gourmetsterne, aber auch über hundert Tote durch Anschläge der ETA (siehe Infokasten auf Seite 47). Zwei Namen trägt die Stadt: auf Spanisch heißt sie San Sebastián, auf Baskisch Donostia. Die 186.000-Einwohner-Stadt wird auch „La Perla“, Perle des Kantabrischen Meeres, genannt. Gemeinsam mit Breslau in Polen ist sie Europäische Kulturhauptstadt 2016.


San Sebastián liegt idyllisch in einer Meeresbucht, deren Form einer Muschel (spanisch: la concha) ähnelt. An stürmischen Tagen brechen hohe Wellen an die Uferpromenade der „Concha“ und können die flanierenden SpaziergängerInnen schon einmal nasskalt erwischen. Die Mündung der Bucht wird durch zwei Felsmassive begrenzt. Der 200 Meter hohe Monte Igueldo kann mit der Standseilbahn erklommen werden. Von dort bietet sich ein schöner Ausblick auf die vorgelagerte Insel Santa Clara, die Fischerboote im Hafen und die feinen Sandstrände des Seebades.


Die Promenade des Stadtstrandes zieren Gebäude aus der Belle Époque. Bereits die Habsburgerin Maria Christina, Frau des spanischen Königs Alfonso XII., ließ Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Sommerresidenz in der Küstenstadt errichten. Auch der spätere König Juan Carlos I. sowie Diktator Francisco Franco pflegten die Sommermonate in San Sebastián zu verbringen. Aus dem ehemaligen Fischerdorf wurde dank des hohen Besuches und des Rufes seiner heilenden Luft ein mondänes Seebad.


Heute lockt die Stadt unter anderem mit schicken Geschäften, dem historischen Zentrum mit einer neugotischen Kathedrale und einem Museum über die Geschichte des Baskenlandes. Außerdem zählt der zweite Stadtstrand Zurriola zu einem beliebten Treffpunkt für SurferInnen.


Friedliches Zusammenleben


„Cultura para convivir“ – Kultur für das Zusammenleben, aber auch Kultur zum gemeinsam Erleben – ist das Motto der Kulturhauptstadt. In Donostia ziehen sich aufgrund der von Gewalt und Terror geprägten Geschichte bis heute Gräben durch Nachbarschaften und sogar Familien. Mit verschiedenen Kulturveranstaltungen sollen die Wunden geheilt werden, die der jahrzehntelange, gewalttätige Kampf der Untergrundorganisation ETA und die darauffolgenden Repressionen durch den spanischen Staat in der Gesellschaft hinterlassen haben. Das Kulturhauptstadt-Programm ist daher in erster Linie für die Bewohner und Bewohnerinnen, die Donostiarras, gedacht.


Die Gäste und Besucher von San Sebastián sind aber natürlich ebenfalls eingeladen, die diversen Veranstaltungen, Aufführungen und Ausstellungen zu besuchen. Im Gegensatz zu anderen Kulturhauptstädten davor verzichtet San Sebastián auf ein eigenes Veranstaltungsprogramm und arbeitet stattdessen mit bereits bestehenden Kultureinrichtungen zusammen. Unter den Programmpunkten sind unter anderem Konzerte gegen den Krieg, große Freiluftaufführungen des Sommernachtstraums von Shakespeare oder ein Großkonzert von Jugendorchestern mit insgesamt an die zwanzigtausend Musikerinnen und Musikern. Eine Ausstellung informiert in mehreren Museen über fünf Jahrhunderte Friedensgeschichte und deren Ausdruck in Werken von Picasso, Ribera oder Yoko Ono.


Kulinarik, Musik und Film


Neben der prachtvollen Architektur und den zahlreichen Veranstaltungen bietet Donostia auch viel für den Feinschmecker-Gaumen. 16 „Michelin“-Sterne haben Lokale der Stadt verliehen bekommen, eine der höchsten Gourmetsterne-Dichten weltweit. „Pintxos“ heißen die kleinen Essenshäppchen auf Baskisch, die in fast jedem Lokal an der Bar angeboten werden. Von karamellisiertem Ziegenkäse, Garnelenspießen bis hin zu mit Pilzen gefüllten Tintenfischen ist alles dabei.


Getrunken wird dazu entweder der besonders trockene Weißwein „Txakoli“ oder der für das Baskenland typische Sidra, ein saurer Apfelwein. Bereits lange vor der Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt bot San Sebastián über das Jahr verteilt ein vielfältiges Kulturprogramm. Dazu gehört unter anderem das Jazzfestival „Jazzaldía“ oder „Quincena“, Spaniens größtes Festival für klassische Musik. Neben Cannes und Venedig ist San Sebastián auch Gastgeber für ein internationales Filmfestival, bei dem sich jedes Jahr Hollywoodstars wie Julia Roberts oder Robert de Niro blicken lassen.


Zu Ehren Sebastians


Ein weiterer Höhepunkt im Kalender der Stadt ist am 20. Jänner die alljährliche „Tamborrada“. Mit diesem Trommelfest begeht die Stadt den Tag des heiligen Sebastian. Um Mitternacht des Vorabends wird auf dem Hauptplatz Plaza de la Constitución die Stadtflagge gehisst. Von da an ziehen die Trommelgruppen in ihren historischen Kostümen 24 Stunden durch die Stadt. Die 14.000 Teilnehmer an der Tamborrada gliedern sich in zwei Gruppen: die Trommler sowie die Köche und Wasserträgerinnen. Der Ursprung dieser Verkleidungen liegt im Spanischen Unabhängigkeitskrieg, als Napoleons Truppen die Stadt einnahmen. Die EinwohnerInnen machten sich damals über die Franzosen lustig, indem sie deren Trommelmärsche mit Kochtöpfen imitierten. Ob mondänes Seebadflair, historische Feste, moderne Architektur oder Musik: in San Sebsatián/Donostia kommt jede/r auf seine Rechnung.


Infokasten:


Blutige Geschichte


Mit dem Baskenland (Euskadi) im Nordwesten Spaniens wird unweigerlich die ETA in Verbindung gebracht. ETA steht für „Baskenland und seine Freiheit“ („Euskadi Ta Azkatasuna“) und ist eine Separatistenorganisation, die zahlreiche Anschläge verübte. Ihr Ziel war ein von Spanien unabhängiger Staat der Basken.


Das baskische Volk wehrte sich seit jeher gegen Unterwerfung und Fremdbestimmung: sei es gegen die Römer, die Mauren oder später gegen die Franco-Diktatur. Da die Basken im Bürgerkrieg auf Seite der Republikaner standen, trafen das Baskenland unter dem Regime von Francisco Franco harte Repressionen. Es war verboten, Baskisch zu sprechen, das Autonomiestatut des Baskenlandes wurde außer Kraft gesetzt, Kulturgüter zerstört.


1959 gründeten einige Studenten die ETA, um sich zur Wehr zu setzen. Nach anfangs friedlichen, aber erfolglosen Aktionen nahm die ETA 1968 den bewaffneten Kampf auf. 1973 tötete die Separatistenorganisation den spanischen Ministerpräsidenten Luis Carrero Blanco durch eine Autobombe. Anfangs konnte die ETA auf Unterstützung aus dem Volk zählen, da sie eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Diktatur spielte. Der Terror ging aber nach Ende der Diktatur weiter.


San Sebastián war eine Hochburg der ETA. In Donostia beging die ETA die meisten Morde: 107 Menschen kamen allein hier ums Leben, über 800 Opfer waren es landesweit. Anschläge in ganz Spanien, Entführungen und Erpressungen ließen die ETA aber den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren. Nach der Bekanntgabe von San Sebastián als Kulturhauptstadt, gab die ETA 2011 das Ende ihrer bewaffneten Aktivitäten bekannt.


Die baskische Sprache (Euskara) ist heute zusammen mit Spanisch die offizielle Sprache des Baskenlandes. Sie wird von rund 500.000 Menschen in Spanien gesprochen.