Sie war bis in die Mitte der 90er Jahre mit einem Todesurteil gleichzusetzen: die Diagnose HIV positiv. Das sollte sich 1996 ändern, als ein neuer Medikamentencocktail auf den Markt kam. Dieser besiegt zwar den HI-Virus nicht, verhindert jedoch den Ausbruch der Krankheit Aids sicher, wenn der Infizierte sich an die Medikamenten-Einnahme hält. So ist die Zahl der Aidstoten gesunken, die absolute Zahl der HIV-Infizierten aber steigt. Weltweit leben 34 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, in Deutschland sind es 78000. Daran wird jedes Jahr am 1. Dezember, dem Welt-Aids-Tag, erinnert. Auch in Würzburg und Aschaffenburg sind Aktionen geplant. Über die Situation in der Region und die Arbeit der Aids-Beratung Unterfranken der Caritas, erzählt deren Leiter Michael Koch.
Wie viele Menschen in Unterfranken sind HIV positiv?
Michael Koch: In Unterfranken leben rund 780 Infizierte, jährlich kommen 25 bis 30 Neuinfizierte hinzu. Unter den 780 sind rund 130 Menschen, die selbst noch nichts von der Infektion wissen. Die Zahl wurde statistisch vom Robert-Koch-Institut errechnet. Von diesen 130 geht ein hohes Übertragungsrisiko aus.
Kann eine HIV-infizierte Frau ein gesundes Kind zur Welt bringen?
Koch: Ja, wer vom Virus weiß und zuverlässig seine Medikamente nimmt, braucht nicht zu erkranken und kann völlig gesunde Kinder bekommen. Die Medizin geht auch davon aus, dass er oder sie ungeschützten Geschlechtsverkehr haben kann, ohne den Virus zu übertragen, wenn alle Laborwerte im grünen Bereich sind. Das Erschreckende ist übrigens: Ein großer Teil der genannten 130 hat eine Ahnung davon, ein Risiko eingegangen zu sein, macht aber keinen Aidstest aus Angst vor der Diagnose. Und aus Angst vor einer Stigmatisierung durch seine Umgebung.
Ist Stigmatisierung tatsächlich noch ein Thema?
Koch: Ja, das Stigmatisierungspotenzial ist nach wie vor hoch. Bei bestimmt der Hälfte der Bevölkerung ist immer noch nicht angekommen: HIV ist im Alltag nicht ansteckend. Hinzu kommt, dass viele Menschen mit Aids etwas Dunkles, Verbotenes verbinden, das mit abnormalem Sex zu tun hat. Was viele unterschätzen: Keine Bevölkerungsgruppe ist von dieser Krankheit ausgenommen. Auch ein Bürgermeister und Banker gehören zu unseren Klienten.
Wie aufgeklärt sind junge Menschen?
Koch: Wir gehen sehr viel in Schulen und andere Ausbildungseinrichtungen. Der Kondomverbrauch bei Jugendlichen ist zwar sehr hoch, wir machen aber auch die Erfahrung: Eine gewisse Sorglosigkeit ist zurückgekehrt. Ganz eigenartig ist: Wir erleben bei Jugendlichen immer noch eine Angst vor HIV als todbringende Krankheit, wie sie sich in den 80er Jahren in den Köpfen eingebrannt hat.
Wie läuft ein Aidstest ab und wo macht man diesen?
Koch: Für einen Aidstest wird Blut abgenommen. Bei Gesundheitsämtern ist der Test kostenlos, das Ergebnis erhält man in fünf bis sieben Tagen. Schneller liegt es vor, wenn man für den Test direkt ins Labor geht, dann allerdings kostet dies. Die Aids-Beratung Unterfranken bietet zudem vier Mal im Jahr HIV-Schnelltests an, das Ergebnis liegt dann schon nach 30 Minuten vor. Pro Termin kommen in der Regel 15 bis 20 Leute, das Angebot wird gut angenommen und wir erreichen vor allem Menschen, die schon längst einmal einen Test machen wollten. Ab 2014 soll die Schnelltest-Aktion auf Aschaffenburg ausgeweitet werden.
Was bedeutet die Diagnose HIV positiv für die Betroffenen?
Koch: Ein Infizierter muss damit leben, dass er täglich Medikamente einnehmen muss. Natürlich kann dies Nebenwirkungen bedeuten und langfristig Organe schädigen. Unsere Erfahrung aber ist: Steigt man rechtzeitig in die Therapie ein, sind die Medikamente in den meisten Fällen sehr gut verträglich und die Lebenserwartung ist fast so hoch wie bei gesunden Menschen.
Muss der Arbeitgeber über die Infektion informiert werden?
Koch: Nein, rechtlich haben die Betroffenen keinerlei Einschränkungen, es handelt sich um keine meldepflichtige Erkrankung. Infizierte dürfen alle Berufe ausüben. Das Problem ist gesellschaftlicher Natur. Ich war kürzlich zum Beispiel bei Zahnärzten, um sie aufzuklären: Das normale Hygieneprogramm reicht in der Praxis nach der Behandlung eines HIV-Infizierten, Extramaßnahmen sind völlig überflüssig. Es ist regelrecht absurd, dass selbst Ärzte nicht richtig Bescheid wissen.
Was bedeutet das für die Patienten?
Koch: Ich weiß zum Beispiel von einer Frau, die ihre leeren Medikamentenpackungen in einem abschließbaren Schrank sammelt und dann 20 Kilometer entfernt entsorgt, aus Angst irgendjemand im Umfeld könnte von der Erkrankung erfahren. Es gibt kaum jemanden, der zum örtlichen Apotheker geht, um seine Medikamente zu holen. Das Dilemma für viele ist: Oft wäre es viel einfacher, offen mit der Krankheit umzugehen. Wir versuchen zu motivieren: Sprich mit Deinen Geschwistern, sprich mit deinem engen Umfeld. Aber nicht einmal untereinander reden etliche Patienten miteinander. Es gibt keine Selbsthilfegruppe in Unterfranken für HIV-Infizierte - ganz einfach aus der Angst der Betroffenen heraus: Vielleicht ist jemand da, der mich kennt. Dieses Schweigen belastet extrem.