Zurück aus den Spielspaßruinen
Alberne Actionfilme, Pornopüppchen und Tanktoptussi-Bettwäsche – Die Geschichte der „Marke“ Lara Croft ist an sich keine besonders schöne. Die einstige Pionierin des Videospiel gewordenen Abenteuers wurde im Laufe der Jahre seit dem ersten Teil (1996) bis über die Maße ausgeschlachtet. Tomb Raider war irgendwann ein Phänomen der Popkultur, etwas später nur noch der Herrenwitz mit türkis verpacktem Atombusen. Derweil wurde die waffenstarrende Archäologin immer älter. Und zwar in Bezug auf die Spielmechanik. Längst haben neue Helden das Abenteuergenre übernommen, inzwischen locken Uncharted und Assassin’s Creed auf filmreife Entdeckertouren voller Cineastic und Bombast. Ach ja, Tomb Raider … gibt’s das auch als Spiel?
Aber die alte Dame der Abenteuer-Action gibt nicht ohne Kampf auf. Der längst überfällige Relaunch der Serie durch Laras Entwickler Crystal Dynamics präsentiert eine optisch wie spielerisch verjüngte Ikone in zeitgemäßer Präsentation und vor allem: Sie hat bei ihren neuen Genrekollegen abgeschaut. Anstatt in nicht enden wollenden Höhlen nach Hunderten Schaltern zu suchen, seid ihr im neusten Abenteuer direkt mittendrin in einem deutlich Action-lastigeren Geschehen. Als ambitionierte 21-jährige Jungärchologin überredet Lara ihren Mentor, dem Geheimnis einer Insel im ominösen Delta-Dreieck nachzuspüren. Es kommt wie es kommen muss: Sturm, Schiffbruch, Desaster. Lara erwacht angespült an eben jener verwunschenen Insel und wird von fremden Männern überwältigt. Und so wie sich die Story um einen perversen Inselkult nach und nach herausschält, muss das der Gefahr ausgelieferte Mädchen mit der Hilfe des Spielers über sich hinauswachsen.
Für viele Kontroverse sorgte schon früh eine vermeintliche Vergewaltigungsszene, die letztlich nicht so schockierend wie prophezeit im Spiel erscheint. Aber Fakt ist: Tomb Raider ist kein Spaziergang und wartet mit harten Szenen auf. Ihr müsst für Laras Überleben sorgen, steuert sie durch das Dickicht der Insel. Lager wollen errichtet werden, Nahrung muss erjagt, Fähigkeiten einem Rollenspielsystem gleich verbessert werden – in dieser Form und Ausprägung Neuland für die bis dato angestaubte Serie. Das komplizierte Klettern der Vorgänger wurde weitestgehend entschlackt, ihr schafft mit wenigen Knopfdrücken und gefundenen Utensilien Steilwände, ohne euch frustigen Sprungpassagen oder aufwändigen Bergbesteigungen aussetzen zu müssen. Viel mehr ist die Umgebung kompakt, lädt aber mit diversen Felsvorsprüngen, Hüttendächern und Seitenwegen zum Erkunden aus. Falls ihr dazu kommt, denn nicht nur feindlich gesinnte Schergen und Kultanhänger sind nicht gut auf Lara zu sprechen, auch die Tierwelt des diabolischen Eilands bleibt lieber ungestört. Fällt euch ein Wolf an, den ihr nicht schnell genug mit Bogen oder Handfeuerwaffe anvisieren und erledigen konntet, folgt ein Quick-Time-Event. Drückt ihr rechtzeitig die angezeigte Taste, geht der Kampf weiter. Wenn nicht: Exitus, und zwar sofort. Meist dürft ihr aber direkt die kritische Szene wiederholen und werdet nicht weit zurückgesetzt. Gottlob, denn auch bei einfachem Schwierigkeitsgrad haben nervöse Naturen nicht allzu viel Zeit, den lebensretten Knopf zu treffen. Gut, dass diese Passagen nicht zu häufig Einsatz finden. Die zahlreichen Feuergefechte sind schließlich schon fordernd genug.
Wie oben erwähnt, erinnert das Abenteuer dank grandioser Inszenierung inzwischen eher an das wiederrum selbst durch Tomb Raider inspirierte Uncharted. Die Kamera folgt Lara, die sich hinter Holzverschlägen versteckt oder durch winzige Höhlenöffnungen quetscht. Absolut filmreif! Da kann man sich die zweifelhaften Kinoausflüge der Serie glatt sparen. Oft findet ihr euch von Feinden umzingelt in einem brennenden Verschlag und habt keinen Blassesten, welcher der direkte Weg aus der Misere ist. Euer Instinkt hilft euch weiter, was dem packenden Erlebnis der Gefahr einen eindrücklichen Schub verpasst. Es ist auch euer Instinkt, der euch die meisten Rätsel lösen lässt. Nerviges Trial-and-Error-Verfahren ist kaum nötig. Außerdem seid ihr bei allen Unternehmungen äußerst vorsichtig, denn ihr wollt Lara nicht sterben sehen. Die Todessequenzen sind nicht gerade zimperlich. Wenn so ein Wolf zupackt oder sich ein meterlanger Fallenspeer durch Laras Hals bohrt … Nein, das wollt ihr wirklich nicht sehen.
Von diesen abschreckenden Szenen und der einhergehenden Ab-18-Freigabe abgesehen, ist das Abenteuer ein optischer Augenschmaus. Die Texturen sind detailliert, die Gesichter und Bewegungen sehr realistisch geraten. Das triste Inselflair wirkt wie aus einem Guss mit der bedrohlichen Atmosphäre. Die akustische Seite hält ebenfalls mit, lasst euch nicht davon abschrecken (oder gar animieren?), dass Til Schweigers Trashkomödien-Darling Nora Tschirner Lara die deutsche Stimme leiht. Die Synchronisation ist überraschend gut gelungen und zeigt, dass die Schauspielerin mit ihrem Talent gerne mehr anfangen dürfte, als in austauschbarer Massenware das Dummchen zu geben.
Kritisch anzumerken ist die arg vorhersehbare, aber insgesamt zweckdienliche Story. Es geht mehr ums Überleben als um die große Rätsellösung am Ende. Der Weg ist das Ziel, deshalb ist es eben doch ein Spiel und kein 3D-Blockbuster mit Logenplatz. In der Fachpresse wurde zudem moniert, dass der Spagat zwischen der mal verängstigten und dann wieder knallharten Miss Croft zu krass geraten sei. Das mag stimmen, aber mit dem Realismusfaktor sollte man bei solchen Abenteuern wirklich nicht kommen. Dann müssten wir auch Drakes Superhelden-artige Überlebenskünste in Uncharted monieren oder Ezios schwerelosen Klettereinlagen in Assassin’s Creed. Es ist ein Spiel, da lässt sich manche Überzeichnung nicht vermeiden.
Fakt ist, dass Laras Reboot fesselt, die moderne Inszenierung den alten Trott der Serie gekonnt auflöst und sich ein gewisses Suchtpotenzial des Abenteuers nicht von der Hand weisen lässt. Wenn das nicht für ein gelungenes Spiel reicht, der hängt eindeutig zu sehr an der Vergangenheit. Augen auf, das Jetzt hat in Tomb Raider eine Menge Kurzweil zu bieten!
Wertung: 87%