Präzise, lautlos, kontrovers: ein fünftes Mal heizt Klonagent 47 die Diskussionen an. Dieses Mal aber nicht wegen der rohen Gewaltdarstellung der strategischen Mischung aus Action, Adventure und Shooter, sondern aus rein qualitativen Gründen: Ist Hitman: Absolution wirklich das beste Spiel des Jahres?
Er hat also doch ein Herz … irgendwie. Natürlich erfüllt Agent 47 seinen Auftrag und entledigt sich schon zu Anfang von Hitman: Absolution in einer dramatischen Duschszene seiner ehemaligen Killeragentur-Kontaktperson Diana Burnwood. Auch wenn sie die Agentur hintergangen hat – irgendwie hatte 47 doch eine abstrakte Art von Gefühlen für sie. Wahrscheinlich nur deshalb erfüllt er ihren letzten Willen: der unterkühlte Anzugträger aus dem Reagenzglas soll die kleine Victoria beschützen, koste es was es wolle. Auf das Mädchen haben es erstaunlicherweise einige Gangster abgesehen, nicht nur 47s Killeragentur. Warum? Das wird hier natürlich nicht gespoilert und ist sowieso wenig überraschend. Für eine spannende Story war die Serie noch nie bekannt.
Nein, Hitmans Stärken liegen woanders, dieses Mal besonders in der Präsentation. Im düsteren Mörderalltag schimmert Agent 47s kahlgeschorene Murmel im Gegenlicht, Absolution protzt mit atmosphärischen Schauplätzen und cineastisch inszenierten Zwischensequenzen auf. Da kann man nicht meckern, immerhin schaut es schön aus, wenn ihr mit Klaviersaite bewaffnet schmierige Waffenhändler beseitigt, die es auf den Schützling der lautlosen Tötungsmaschine abgesehen haben.
Okay, wir sollen also eine Menge kriminelles Gesindel ausschalten. Ihr kennt das sicher, nennen wir es einfach den „Metal-Gear-Effekt“: Man nimmt sich vor, ab dem ersten Level alles schön brav unentdeckt und lautlos zu erledigen. Dann schleicht ihr euch in einer fünfminütigen Schleichoperation an einen Dummbatzsoldaten heran, der sich genau im kritischen Moment umdreht und alles ist für die Katz: also doch wieder durchballern – und die Ruhe kehrt zurück in den Karton. Dann gibt es da noch den Fall Assassin’s Creed: Hallooo liebe Wache, ich stehe genau vor dir! Ist dir egal? Na ja, dann klettere ich mal auf dieses verfallene Häuschen da und stürze mich gleich mit meiner Doppelklinge auf deinen Schädel, okay, warte kurz. In beiden Fällen bleibt die groß beworbene, tatsächliche Schleicherfahrung ziemlich auf der Strecke. Vom Fall Batman wollen wir erst gar nicht anfangen.
Aber so nicht hier: Natürlich könnt ihr euch den Killeralltag einfach machen und waffenstarrend die Zielpersonen des jeweiligen Abschnitts und ihre Leibwächter über den Haufen knattern – zumindest auf den niedrigen Schwierigkeitsgraden. Aber Absolution schafft es trotzdem, euch anhaltend zum Stillhalten zu motivieren. Warum? Weil ein Slogan des Spieles sein könnte: Entdecke die (Mord)Möglichkeiten! Dort hinten pimmelt Drogenboss XY auf einem Ledersofa herum. Schalte ich ihn aus, indem ich seinen Chardonnay mit den Schlaftabletten seiner Freundin aus dem Badezimmer versetze? Oder sorge ich durch einige umgeworfene Mingvasen für Verwirrung unter seinen Wachleuten und nutze den Trubel für ein paar gezielte Hiebe mit der Axt des Gärtners? Ach, wozu der Aufwand, spätestens wenn er sich ins Schlafzimmer zurückzieht, ist er fällig und schnell im Kleiderschrank verstaut. Es ist schon schwer, wenn man die Qual der mörderischen Wahl hat.
Agent 47 ist mit einem Killerinstinkt ausgestattet, der euch auf Knopfdruck relevante Mordwerkzeuge und Zielpersonen anzeigt. Ihr verkleidet euch mit den von überrumpelten Wächtern gezockten Klamotten und nutzt liegen gebliebene Utensilien für taktisches Vorankommen zum Missionsziel. Aber immer schön sauber bleiben! Leichen stinken nicht nur mit der Zeit, sie locken auch unnötige Aufmerksamkeit auf euch. Also ab mit ihnen in die Regentonne oder fein säuberlich in die Biotonne mit den Kadavern. Die Gegnerintelligenz ist hier (meistens) äußerst ausgefeilt, ihr solltet selbst in der passenden Verkleidung nicht zu oft an gelangweilten Bodyguards vorbeischleichen oder eure Opfer dort mit einem Schraubenzieher erledigen, wo die Blutlache ein Zimmermädchen alarmieren könnte. Seid ihr enttarnt, beginnt die Jagd auf Agent 47 und dann darf, beziehungsweise muss im Schlimmstfall geballert werden. Doch während ihr euch so durch die Räume einer Gangstervilla meuchelt, fallen euch die zig anderen Wege auf, mit denen ihr ohne großes Tamtam zum tödlichen Ziel gelangt wärt. Hitman: Absolution ist der wohl taktischste Actiontitel derzeit auf dem Markt.
Damit ihr nicht wie andere große Strategen vor euch mitsamt eures schönen Planes vor die Hunde geht, ist einiges an Planung nötig. Hier liegt eine Schwäche des Spiels: manches Mal irrt ihr minutenlang durch die Szenarios und wisst nicht so recht, wo ihr anfangen sollt. Außerdem ist der Tipps gebende Instinkt auf höheren Schwierigkeitsgraden nur sehr limitiert einsetzbar. Da wird es schnell knüppelhart, es ist euch keiner böse, wenn ihr erst einmal zum leichten Schwierigkeitsgrad greift, sonst verstrickt ihr euch schnell in frustigen Try-and-Error-Spielchen. Aber irgendwo muss die Motivation für geübte Killer ja herkommen. Natürlich werden die Szenarios mit der Zeit immer umfangreicher, die Schritte zum Erfolg immer kleinteiliger. Einfaches Verkleiden oder das zur Ablenkung eingeschaltete Radio hilft später nicht mehr so einfach weiter. Während ihr euch im unentdeckten Beseitigen übt, schüttelt ihr des Öfteren den Kopf, so brillant verzahnt und komplex ist mancher Auftrag inszeniert. Hier geht es nicht ums stumpfe Töten, sondern um den klügsten Weg dorthin.
Hitman: Absolution packt ein Phantom am Kragen, das schon seit Urzeiten durch die Spielepresse geistert, aber nur selten gesehen wird: den Wiederspielwert. Mal ehrlich, wer hat denn heute noch die Zeit und Lust bei der Flut an neuen Titeln, irgendein ausuferndes Action-Adventure mehr als einmal durchzuspielen? Hier habt ihr diesen Effekt nach jeder einzelnen Mission. Anstatt der banalen Story zu folgen, sucht ihr lieber nach alternativen Tötungsmöglichkeiten und noch ausgefuchsteren Strategien. Die fabelhaft präsentierte Mischung aus Action und bedachtem Mörderpuzzle lässt euch alle Freiheiten und belohnt jeden neu gefundenen Gegenstand. Sicher ist auch dieses Mal fraglich, ob die Gewaltdarstellung so explizit ausfallen musste. Doch Fakt ist: Hitman: Absolution ist so klug und fesselnd, dass stumpfe Sadisten schnell das Handtuch werfen. Hitman ist wie Tetris mit einer Menge menschlicher Klötzchen. Wenn ein Teil nicht passt, kann schnell alles den Bach runter gehen. Agent 47 ist lautloser als Ezio, taktisch versierter als Solid Snake und fieser als Batman. Der schwachen Geschichte zum Trotz: ja, Hitman: Absolution ist ein fast unschlagbarer Anwärter auf das Spiel des Jahres. Und wenn die Konkurrenz lautlos vom Erdboden verschwindet, wisst ihr sicher, wer Schuld daran ist.
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