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Les Flâneurs | Rückblick zum MS Dockville 2014

Hundreds live beim MS Dockville 2014

Mein Beitrag zum MS-Dockville-2014-Rückblick auf "Les Flâneurs"

Die Aussöhnung

Ja, es war die nötige Versöhnung zwischen mir und dem Mutterschiff Dockville. Wenn ich Gäste auf meinem kleinen Balkon empfange, um sie mit Cocktails und dem Ausblick auf den See vorm Fenster zu beeindrucken, wundern sie sich alle über das Paar Gummistiefel, das dort ausgebleicht vor sich hin vegetiert. Nun, dieses Paar steht dort genau drei Jahre, seit dem Dockville 2011. Es schüttete wie aus Kübeln, das Gelände war ein einziger Matschparcours, und wir gingen in letzter Minute auf stabilen Schuhwerkfang. Obwohl geglückt, hielt ich es einen ganzen Abend aus, also na ja, ein paar Stunden. Meine Begleitung versetzte mich noch auf dem Weg zum Gelände (damn you Mark, das werde ich dir noch am Grabe vorhalten!), betrunkene Teenies verzierten mich rempelnderweise mit nach Kot stinkendem Schlamm, und ich verlies ein gutes Set der Wild Beats, nur um mir von einem an sich sympathischen, aber gnadenlos überschätzten Casper entgegen grölen zu lassen „Fressen? Nein! Saufen? Jaaa!". Da stand fest: Dockville, mich siehst du so bald nicht wieder.


Aber dann kam 2014 und mit ihm ein wirklich feines Festival, das mich tatsächlich begeistern konnte. Am Freitag begrüßte uns strahlende Sonnenkulisse, an der Großschot-Hauptbühne vorbeituckernde Frachtschiffe und eine mysteriös kreisende Drone über dem Gelände. Allen dreien wurde fleißig zugewunken, während die queere Dancetrupppe Hercules & Love Affair eine gute Show ablieferte, die bloß besser in einen dunklen Club gepasst hätte. Auch Birdy fand ich höchstens putzig, Jake Bugg, der wie eine viel zu schnell abgespulte Johnny-Cash-Platte klang, absolut nervig, und Mø eigentümlich prollig, wie sie da so breitbeinig ihren Assipalmenzopf zu Dancerock schüttelte. In guten Momenten klang sie wie eine tanzbare Lana del Rey, den Leuten machte sie auch ordentlich Spaß, aber meins wird das nicht. Schlagt mich, ich habe ein dickes Fell. Dafür entschädigte mich Sohn aufs Vollste, der auf der Maschinenraum-Bühne (nanu, 2011 war das tatsächlich noch ein „Raum") vollends in seinen Bann zog. Der Wahlwiener hatte Bass, Melodie, Stimme und vor allem Atmosphäre, fast wie ein trippiger Cousin von James Blake. Großartig. Da störte mich auch kaum der Schweizer, der im Hintergrund lautstark offensichtlich in die Hose einer kleinen Tusse wollte („Ich bin in einer Band, du kannst uns auf Facebook liken!"), oder die obligatorische Mädchengang, die sich Hand-in-Hand als Polonaise durch die Menge drängelte („Sammy?! Hier Sammy! Digger, ich hab keinen Empfang! SAMMY!")


Am Samstag langweilten mich Warpaint zu Tode, die gehören nun wirklich nicht auf die Hauptbühne zur Primetime, und Dillon hatte leider Soundprobleme und startete mit halbstündiger Verspätung nur solo am Klavier. Im Publikum nahm ihr das keiner übel, aber ich hätte ihr und mir ein vollständiges Set gewünscht. Man steckt nicht drin. Dafür halt zu den Dockville-Stammgästen Kakkmaddafakka und bei ihrem grenzdebil genialen „Bailando"-Cover abgehen. Ja, auch diese Trashfaktor-Partytruppe braucht ein Festival, man sollte sich niemals zu ernst nehmen. Und dazu besteht eben die Tendenz, wenn das Lineup zu drei Vierteln aus Undergroundhypes besteht. Zum Thema: Die Antwoord haben mich regelrecht verärgert. Was soll das, diese obskure, völlig prätentiöse Mischung aus Elektro und Hiphop, eingeleitet von minutenlangem Drone, untermalt von pseudoschockierenden Videos? Im Endeffekt ist es aggressiver Käse mit Quäkstimme, der mehr anstrengt als irgendetwas anderes zu leisten. Was daran neu, innovativ, besonders sein soll, ist mir rätselhaft, denn es ist oller Mumpitz, der sich mit plumper Provokation neu verkaufen möchte. Könnt ihr behalten. Gut, dass ich sowieso zu den Hundreds wollte, die direkt gegenüber ihre schönste Show lieferten, die ich bisher sah. Ein Quasi-Best-Of-Set, gestartet mit „Beehive" und „Rabbits on the Roof", den Highlights der neuen Platte, dem gluckernden Blank Remix von „Happy Virus", natürlich „Let's write the Streets" und abgeschlossen mit den ekstatischen „Grab the Sunset" und „Song for a Sailor" - so, liebe Leute, komponiert man ein Festivalset. Das Publikum tanzte stellenweise ausgelassen und man spürte, dass jene, die sich hier einfanden, sich bewusst für die Geschwister Millner entschieden haben. Das merkten diese auch und spielten sich mit jedem Song weiter frei und gelöster. Für mich fast konkurrenzlos das beste Konzert des MS Dockville 2014.


Der Sonntag versackte im Dauerregen, aber das Gelände blieb angenehm begehbar. Die Wild Beasts, mein Festival-Déjà-Vu, begeisterten im Vorschot mit im Programm etwas zu kurz gekommenem Indierock, schafften es trotz eigenartiger Setliste ihre letzte Clubshow im Knust zu toppen. Von Chet Faker hätte ich gerne mehr gehört, oder auch nur ansatzweise gesehen - es war vor der Maschinenraum-Bühne so brechend voll, dass ich nur zwei Songs im Gedränge hinter einem Baum im nie enden wollenden Menschenstrom aushalten konnte. Schade drum und ein organisatorisches Fehlbooking, denn keine Ahnung, was genau Alligatoah darstellen sollte (so Comedyraprock oder sowas? Es stank), aber Faker hätte absolut stattdessen auf die große Bühne gehört. Sei es drum, im Vorschot gab es ein für Sonntagabend sehr passendes Ambientfinale mit Nils Frahm und Ólafur Arnalds. Beide habe ich dutzendfach live gesehen, Frahm immer wieder im Vorprogramm von Lieblingsbands, Arnalds seit 2007 in verschiedenster Besetzung. Klar hatten sie auch kleine Cameoauftritte in den Sets des jeweils anderen, das ist bei den befreundeten Musikern quasi unvermeidlich. Frahm zog erstaunlich viel Publikum, konnte auch Zufallszuhörer mit Glanzstücken wie „Says" oder „Said and done" für seine sehr eigene Mischung aus Klavierloops, Dub und Neoklassik begeistern. Arnalds lieferte danach ein gewohnt starkes Set ab, das vom Gastgesang des Agent-Fresco-Frontmannes Arnór Dan bei den neueren Stücken profitierte. Denn es war nicht einfach, gegen die von nebenan herüber wummernden Technobässe und von oben literweise strömenden Regenmassen anzuträumen, aber der Isländer schafft es immer wieder mit seinen perfekt austarierten Mischungen aus Elektro und vollendet arrangierten Streichersätzen, auch solchen Widrigkeiten zu trotzen.


Kurzum, es hat mich wieder, das MS Dockville. Wegen der Bandauswahl, auch wenn manche Verteilung auf die Bühnen nicht ganz aufgegangen ist. Wegen der einmaligen Atmosphäre der Wilhelmsburger Elbinseln, für die man auch den Shuttlebus hin und zurück liebend gern in Kauf nimmt. Und auch wegen des inzwischen sehr entspannten Publikums. Gerade im Vergleich zu 2011 fiel mir der dezent gestiegene Altersdurchschnitt auf (also von gefühlt 17 wohl jetzt so auf Mitte Zwanzig), was ebenfalls wichtig ist. Denn Hamburg kann sich wirklich glücklich schätzen, neben dem Reeperbahn Festival noch ein Musikfest in so toller Atmosphäre und mit so stilsicherer Bandauswahl zu haben. Damit kann sich, nichts gegen das Berlin Festival, nicht mal die Hauptstadt rühmen. Und auf so ein Festival gehören alle: durchdrehende Teenies mit Glitzer im Gesicht, dezent vor sich hin schwofende Pärchen in den 40ern oder der umherziehende Musikfetischist auf der Suche nach der Bühne mit seiner Lieblingsband. „Music belongs to everyone, but not in some Apple, iPod, Television commercial kinda way. Not in the way that Bono would say that music belongs to everybody, but in the true way ... fellow workers, you know ", wie es Efrim Menuck einmal so schön sagte. Und deswegen kann man auch jedem empfehlen, sich 2015 wieder oder erstmals fürs Dockville zu entscheiden. (Michael)

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