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Zwischen Kiez und Elbphilharmonie | So war das Reeperbahn Festival 2017

Kat Frankie im Mojo Club. (Foto: Michael Schock)

Zwischen Alt und Neu, Laut und Leise, Fahr-zur-Hölle und Himmlisch-schön: Das Hamburger Reeperbahn Festival 2017 war ein besonderes. So war etwa erstmals die Elbphilharmonie Spielstätte des bunten Indie-Kiezfestes auf St. Pauli. Michael und Sven haben sich wieder ins Getümmel gewagt. Sven musste dafür als Anwohner quasi nur die Straße herunterlaufen. Zwei Musikliebhaber über das coolste Clubfestival des Landes und seine dennoch vorhandenen Tücken.


Spannendste Entdeckung:

Michael: Irgendwas muss mir beim Reinhören gefallen haben, aber wir stolperten direkt am Mittwoch eher ahnungslos in die Prinzenbar zu Ätna. Anfangs verwirrte mich das Duo aus Sängerin/Keyboarderin Inéz und Drummer Demian noch, drei Songs später war ich Fan und vollends im Bann. Die Mischung aus elektronischem Indiepop, Jazz-artigen Rhythmuswechseln und nahöstlich anmutenden Einflüssen ist wild, energetisch und dramatisch – und kommt auf den bisher nur fünf erhätlichen Studioaufnahmen gerade mal ein Drittel so genial rüber wie live.


Schönste Wiederentdeckung:

Michael: Loney Dear in der St. Pauli Kirche kam der Epiphanie eines lang Vergessenen gleich. Schon vor rund sechs Jahren mochte ich den Knust-Auftritt des Schweden Emil Svanängen, der mit seiner Loopstation das gängige Singer/Songwriterding auf- und durchbricht. Nun hatte er Stücke seines neuen Albums im Gepäck, darunter „Hulls“, das seither meine Hymne des Herbstes wird. So traumhaft schön, ich hätte fast geflennt.


Größte Enttäuschung:

Michael: Ab Freitag wurde es wie immer voll überall, zu voll. Das hat auch meinen Eindruck von Fink in der Großen Freiheit 36 getrübt. Wir fanden nur ganz hinten am Soundboard im brütend feucht-heißen Club Platz. Auch das neue Album des britischen Songwriters Fin Greenall konnte mich in seiner extrem monotonen Gangart nicht überzeugen. Sein Set wirkte ermüdend repetitiv, seine Stimme ging im matschigen Mix unter.


Liebste Location:

Michael: In der Prinzenbar mache ich fast jedes Jahr die besten Entdeckungen. In der St. Pauli Kirche kann ich den Kiezstress immer vollends abstreifen. Und der Mojo Club mausert sich trotz seines unfreundlichen Einlasspersonals immer mehr zum weiteren Muss jedes Jahres.


Denkwürdigste Momente:
Michael: Über das Konzert des von mir innig geliebten Kanadiers Owen Pallett in der Elbphilharmonie könnte ich eigens einen langen Artikel schreiben. Auf das Wichtigste heruntergekocht: Er hat nicht einfach seine auf Platte sowieso schon orchestral arrangierten Stücke vom mitgebrachten Stargaze-Ensemble nachspielen lassen. Er hat sie zerlegt und komplett neu arrangiert, wie das kaum mehr wiederzuerkennende Eröffnungsstück „The Riverbed“. Den Klang des Saales schöpfte er vollends aus, spielte auch viel neues Material. Aber ganz ehrlich: Gut, dass er es sich nicht nehmen ließ, auch wieder einige Songs alleine mit seiner Geige und Loopstation zu spielen. Das waren für mich dennoch die besten Momente.

Nötigste Verbesserung:

Michael: Ich bin trotz all der Liebe und tollen Momente auch echt sauer auf die Organisatoren. Ich freute mich seit Wochen auf den Auftritt Jacob Bellens, der mit „Untouchable“ wohl das mir wichtigste Lied des letzten Jahres komponiert hat. Und was war? Man steckte ihn ins Foyer des winzigen, überlaufenen St. Pauli Museums, wo vielleicht gerade mal 25 Leute direkt vor die „Bühne“ (einen kleinen Kasten mit Vorhang) passten, der Rest sich laut labernd im stickigen Saal verteilte. Man merkte, dass das dem sonst mit ganzer Band vollendeten Pop spielenden Dänen keinen Spaß machte, und uns auch nicht. Ich verließ das Museum, um in dieser katastrophalen Akustik und Atmosphäre nicht mein Lieblingslied hören zu müssen. Bitte, liebes Reeperbahn-Festivalteam, legt in Zukunft mehr Wert auf Klasse statt Masse. Locations wie das St. Pauli Museum sind nicht für Konzerte geeignet. Schickt die Bands doch anstatt dessen schon früher am Tag in die „richtigen“ Clubs und Theater.


Fazit:

Michael: Ich liebe das Reeperbahn Festival und freue mich jedes Jahr darauf. Ich habe inzwischen auch meine Wege durch die Seitenstraßen gefunden, um mich dem unerträglichen Tourikotzkiez am Freitag und Samstag nur minimal auf dem Weg zu den Clubs stellen zu müssen. Aber ich hoffe, dass es nicht der Jagd nach Superlativen verfällt und einfach immer mehr Künstler buchen wird, sondern sich stärker aufs Auffinden neuer und auch wirklich spannender internationaler Acts konzentriert. Sonst endet es wie ein „Spotify Mix der Woche“: eine Menge unbekannter Namen, von denen man zu 90 Prozent nach dem Durchhören denkt: zu Recht unbekannt.

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